VON MAXIMILIAN REICHLIN | 10.02.2016 16:25

Umwelt-Enzyklika polarisiert – Lieferte Papst Franziskus ein verständiges Statement oder abgestandene Polemik?

In der zweiten Enzyklika des amtierenden Papstes Franziskus nimmt der Pontifex eine kritische Analyse des aktuellen Weltklimas vor – im wahrsten Sinne des Wortes, denn vor allem widmet sich Franziskus in seiner Verlautbarung „Laudato si“ dem Klimawandel sowie der Umwelt. Als treibende Kräfte für die Zerstörung derselben benennt er Politik und Wirtschaft und ruft zu einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel auf: Jeder Mensch solle sich seiner Verantwortung bewusst sein und entsprechend handeln. Für seinen Kommentar zur weltweiten Umweltpolitik erntet Franziskus einiges an Lob, von manchen Seiten hagelt es aber auch Kritik auf das heilige Haupt. UNI.DE berichtet.


Im Mai des vergangenen Jahres hatte der amtierende Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si“ herausgegeben, die auch „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ genannt wird. Der Name und der Texteinstieg der Verlautbarung sollen an den „Sonnengesang“ des Heiligen Franz von Assisi erinnern, nach dem sich das Oberhaupt der katholischen Kirche zu seiner Amtseinführung benannt hatte. Der Text, der aus insgesamt sechs Kapiteln besteht, ist bereits die zweite Enzyklika des Papstes und dürfte eines der klarsten und prägnantesten Statements sein, die jemals von einem Pontifex herausgegeben wurden. Die Themen: Umweltschutz, soziale Ungerechtigkeit und die Rolle von Politik und Wirtschaft.

Umweltzerstörung und Klimawandel – Franziskus benennt Probleme

In seiner Enzyklika zieht Franziskus eine traurige Bilanz über die aktuelle Lage auf der Welt – ökonomisch, wirtschaftlich und politisch. So nimmt er eine Analyse über die Klima- und Umweltpolitik vor und ruft die Menschheit zum Umdenken auf. Die übermäßige Nutzung von begrenzten Ressourcen, wozu er auch das Klima zählt, habe die Erde in einen erschreckenden Zustand versetzt und es sei die Aufgabe der Weltbevölkerung, den entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Umwelt, Atmosphäre und Klima, das alles sollte, nach Ansicht des Papstes, nicht mehr länger von Einzelnen übernutzt und ausgebeutet, sondern vielmehr als Gemeingut betrachtet werden. Er fordert einen Paradigmenwechsel in der menschlichen Denkweise: Nicht mehr nach Profit oder den Maßgaben wirtschaftlichen Wachstums, sondern auf die gegenseitige Verantwortung innerhalb der „Weltfamilie“ sollte Denken und Handeln ausgerichtet sein.

Öko-Enzyklika klagt an – Klimaforscher jubeln

Dabei stützt sich Franziskus auf aktuellste Erkenntnisse aus der Wissenschaft, wofür die Enzyklika auch durchweg gelobt wird. Der Aufruf sei „State of the Art“, so Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klima-Berater der Bundesregierung und der EU. Er betont, in welchem „phänomenalen“ Maße die Enzyklika eigentlich separate Bereiche des menschlichen Lebens zusammenführt: Wissenschaft und Religion, Vernunft und Glaube, Moral und Innovation. Marcia McNutt von der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift „Science“ nannte die Enzyklika ein „unverblümtes Klima-Statement“ und erhebt Franziskus in den Rang des „derzeit sichtbarsten Vorkämpfers für die Eindämmung des Klimawandels“.

Egoismus oder Gemeinschaftssinn – Erschaffen wir das System, oder erschafft das System uns?

Dabei ist die Enzyklika auch einigermaßen spirituell. Franziskus ruft darin zu einer „ganzheitlichen Ökologie“ auf. Damit meint er eine Art der Lebensführung, in der der Mensch erkennt, dass alle Bereiche des Lebens miteinander verbunden sind und aufeinander Einfluss nehmen und das jeder Akteur in dieser Ökologie sich seiner Verantwortung bewusst sein muss. Dementsprechend thematisiert der Papst auch die Weltwirtschaft und das Finanzwesen und entlarvt sie als Haupttriebkräfte der Klimakatastrophe sowie der schädlichen Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Franziskus geht sogar noch einen Schritt weiter: Wie bereits in seiner ersten Enzyklika „Evangelii Gaudium“ bezeichnet er die Weltpolitik und ihre Akteure in weiten Teilen als Diener und Träger des Wirtschaftssystems. Die Politik sei demnach eine Marionette von Wirtschaft und Finanzwesen, und, wie diese, lediglich an Gewinnmaximierung und nur am Rande an den entstehenden Problemen interessiert, zu denen er auch soziale Ungerechtigkeit zählt.

Gegenstimmen kritisieren: Nichts neues, dafür umso mehr Polemik

An dieser Stelle haken kritische Stimmen ein. Daniel Deckers, Politik-Redakteur der FAZ, verlieh der Enzyklika zwar ebenfalls das Prädikat der „Schönheit und Wahrheit“ und konstatiert: „So klar hat noch kein Papst gesprochen“. Andererseits offenbare sie auch die Tendenz zu „abgestandener Polemik“. Deckers kritisiert den schrillen Ton, den Franziskus in seinen Tiraden gegen Wirtschaft und Politik in Strecken der Verlautbarung anschlage: „Versatzstücke von Verelendungs- und Weltverschwörungstheorien machen dieses ökologische Manifest mitunter ungenießbar“. Darüber hinaus zeichne der Papst ein verzerrtes Bild der Realität, indem er behaupte immer mehr Menschen würden heutzutage ihrer Rechte beraubt: „Durch die Anstrengungen der Weltgemeinschaft sind seit den neunziger Jahren viel mehr Entwicklungsziele verwirklicht worden oder ihrer Verwirklichung näher gekommen, als viele Skeptiker es vorhergesagt hatten“.

Am Ende des Tages bringt die Enzyklika von Papst Franziskus keine neuen Erkenntnisse. Die meisten relevanten Aussagen in „Laudato si“ sind wissenschaftlich bereits ausreichend belegt oder „uns allen mittlerweile klar“, wie beispielsweise Klimaforscher Mojib Latif festhält. Nichtsdestotrotz bleibt es ein klares und unmissverständliches Statement von einem der einflussreichsten Männer der Welt, das man als interessierter Mensch und vor allem als gläubiger Christ kaum ignorieren kann. Franziskus tut damit, was er auch fordert: Er übernimmt Verantwortung und stellt sein Pontifikat unter die Maßgabe der „ganzheitlichen Ökologie“. Bei aller Polemik und allen aufgewärmten Phrasen, die man der Verlautbarung möglicherweise vorwerfen kann, ist es am Ende genau das, was zählt: Dass das Oberhaupt der katholischen Kirche nach Ursachen sucht, Probleme benennt – und sie in Gottes Namen zu lösen versucht.

Bild: "Papst Franziskus im Vatikan". © Marco Verch - flickr.com. Von UNI.DE zugeschnitten und mit ©-Hinweis versehen.
Lizenz: CC BY 2.0