VON ANGELA SCHWEIZER | 04.11.2016 13:16

Menschenrechte: Zwischen Universalismus und Kulturrelativismus

Obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen bereits vor über einem halben Jahrhundert verfasst wurde, sind Menschenrechtsverletzungen bis heute weltweit an der Tagesordnung. Zwischen dem universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte und der Realität herrscht in vielen Ländern eine große Kluft. Gerechtfertigt wird dies von den jeweiligen Staaten oft mit einem Rückgriff auf Kultur und einer Relativierung der Universalität der Menschenrechte. Seit langem wird daher ein erbitterter Streit darüber geführt, ob Menschenrechte universell für alle Menschen gelten oder ob sie kulturell relativierbar sind. UNI.DE geht der Frage nach, was mit Kulturrelativismus gemeint ist, und ob Menschenrechte tatsächlich mit manchen kulturellen Traditionen nicht zu vereinbaren sind?


Ohne Gegenstimmen wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 angenommen. Wesentlich sind dabei, neben der Egalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, die Universalität: Menschenrechte sind in ihrem Anspruch allgemein gültig, sie gelten für alle Menschen, überall und zu jeder Zeit. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist in ihrer Rechtsform jedoch eine Empfehlung, die juristisch nicht bindend ist und in der keine Kontrollmechanismen vorgesehen sind. Die Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte ist demnach sehr schwierig, und die Menschen sind auf ihre Regierungen angewiesen. Diese garantieren oft nicht die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger, und reagieren auf Kritik mit einer kulturrelativistischen Argumentationsweise.

Was bedeutet Kulturrelativismus?

Aus kulturrelativistischer Perspektive sind Kulturen nicht vergleichbar und können nicht aus dem Blickwinkel einer anderen Kultur beurteilt werden. Intrakulturelle Verhaltensformen, aber auch Gesetze und Traditionen einer Gesellschaft müssen im Licht des jeweiligen Wertekontextes und Kulturverständnisses gesehen werden. Ein Urteil darüber darf demnach nur im eigenen kulturellen Kontext gefällt werden. In Ländern, die andauernde Menschenrechtsverletzungen begehen und wo diese sogar staatlich legitimiert sind, wird das mit der vermeintlichen Andersartigkeit der Kultur belegt. „Homosexualität ist unnatürlich und unafrikanisch“, sagen beispielsweise Regierungsvertreterinnen und –vertreter in Uganda, wo Homosexuelle vom Staat verfolgt werden. Diese kulturrelativierende Sichtweise dient vor allem dazu, Kritik von außen und innen abzuwehren und keine interkulturelle Debatte darüber zuzulassen. Somit kann jegliche Grausamkeit gerechtfertigt werden.

Der Begriff „Kultur“ dient zudem nicht als Erklärungsmuster für gesellschaftlich und historisch gewachsene Prozesse. Kultur ist immer im Wandel und muss selbst erklärt werden. Auch innerhalb einer vermeintlich „afrikanischen“ Gesellschaft gibt es riesige kulturelle Unterschiede. Eine andere Auslegung des Kulturrelativismus besteht darin, die Existenz von Menschenrechten anzuerkennen, aber kulturrelativistisch zu interpretieren. So wird das Recht eines Individuums in China auf das Recht der Masse umgedeutet, deren Stabilität nicht dadurch gefährdet werden sollte, dass ein Individuum sein Recht beansprucht. In der Kritik steht der Kulturrelativismus auch dadurch, dass er selbst postuliert, eine kulturübergreifende Norm zu sein, die er, ausgehend von den ihm zugrunde liegenden Prinzipen, eigentlich ablehnen müsse. Einen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit könne er demzufolge gar nicht erheben.

Zwischen Kulturrelativismus und Universalismus

Der Gegenpol von Kulturrelativismus, nämlich Universalismus, besagt, dass die Gültigkeit von Menschenrechten kulturübergreifend, und somit universell, ist. Dem zugrunde liegt die Vorstellung, dass der „Kern des Menschen“ bei allen Menschen gleich sei. Diese Debatte über die „Natur des Menschen“ geht zurück bis in die Antike. Menschenrechte im Universalismus gelten daher vor- und überstaatlich, was bedeutet dass sie nicht durch den Staat oder dessen Verfassung verliehen werden, sondern immer gelten und Grundrechte für alle Personen sind, die sich im Staat aufhalten.

Keine Papiere, keine Rechte?

Werden kulturrelativistische Argumente konsequent vertreten, ist es schließlich auch nicht mehr möglich, Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Dies verfestigt unterdrückerische Zustände und erschwert es Gesellschaften immens, sich und ihren Wertekanon zu verändern. Kulturrelativismus begünstigt also Menschenrechtsverletzungen. Es kommt in der Diskussion immer darauf an, von wem und in welchem Kontext kulturrelativistische Argumente eingebracht werde.

Auf der Weltkonferenz über Menschenrechte im Jahr 1993 setzte sich die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte erneut durch. Alle Staaten wurden aufgefordert, nationale Menschenrechtsinstitutionen einzusetzen, um die Menschenrechte in allen Ländern zu schützen und zu fördern. In Deutschland gibt es daher seit 2001 das Deutsche Institut für Menschenrechte. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan brachte die Universalität der Menschenrechte folgendermaßen auf den Punkt: "Human rights are African rights. They are Asian rights; they are European rights. They belong to no continent, for they are fundamental to mankind itself."