VON JANINA TOTZAUER | 14.11.2016 13:29

Fees Must Fall: Studierendenproteste auf der anderen Seite der Welt

Im Jahre 2009 protestierten Tausende deutscher Studierender gegen die Studiengebühren. Universitäten wurden besetzt, Volksküchen eingerichtet und hitzig mit Bildungs- und Finanzpolitikern diskutiert. Zum Wintersemester 2014/15 schließlich war der Sieg komplett: Das letzte Bundesland erließ die Studiengebühren für alle Studierenden. Bildung in Deutschland ist somit theoretisch jedem, ob arm oder reich, zugänglich. Auf der anderen Seite der Erdkugel, in Südafrika, sieht es anders aus. Wo dank horrender Studiengebühren nur die Kinder reicher Eltern studieren können, entsteht Zorn unter den jungen Menschen. Eine Generation junger Südafrikaner/-innen erhebt ihre Stimme und wir in Europa bekommen nichts davon mit.


Es begann mit einer Statue, die im März 2015 der Wut vieler Studierender an der University of Cape Town ein Gesicht gab. Es war das Ebenbild Cecil John Rhodes’, der da mitten am Campus auf den Ausläufern des Tafelberges auf einem throngleichen Stuhl über den Köpfen der Studierenden saß. Die bronzenen Augen blickten hinab auf die Vororte Kapstadts. Cecil Rhodes, ein ehemaliger Kolonialist und Mitbegründer des Apartheid-Regimes, hatte aufgrund seiner großzügigen Spenden an das Land als Statue auf dem Campus Einzug gefunden. Doch für viele Studierende sitzt dort nicht das Abbild eines spendablen, älteren Mannes, sondern ein Monster, das am Ende des 19. Jahrhunderts die schwarzen Ureinwohner dem weißen Manne unterordnete und den Weg zu einem rassistischen Regime ebnete, das bis 1994 die Bevölkerung Südafrikas teilte. Aus Zorn über die Statue versammelten sich hunderte junger Südafrikaner und pilgerten durch Kapstadts Straßen. Sie nannten sich die Rhodes Must Fall-Bewegung. Am 9. April 2015 schließlich hatten die Protestierenden gesiegt: Ein Kran hob die inzwischen besudelte und beschmierte Statue von ihrem Sockel. Doch damit war es nicht vorbei, die Studierenden hatten Blut geleckt. Sie hatten erfahren, dass ihr Protest etwas bewegen konnte.

Der Protest geht weiter

Die Mehrzahl an Studierenden an südafrikanischen Universitäten kann sich mit Stolz die ersten ‚Freeborns' nennen. Sie sind die erste Generation, die nach dem Fall der Apartheid geboren wurde. Sie wuchsen in gespaltenen Verhältnissen auf. Wo die Mütter und Großmütter noch von den Qualen des Rassismus berichten, spüren die jungen Südafrikaner/-innen die Freiheit. Mit dem Fall von Cecil Rhodes war ein kleiner, aber bedeutender Schritt zu Gleichberechtigung in Südafrika gemacht, doch die hohen Studiengebühren gewähren weiterhin nur den Reichen Zugang zur Bildung. Pro Jahr muss ein südafrikanischer Studierender an der Universität von Kapstadt mindestens 1.300 Euro in sein Studium investieren, was für viele Familien schlicht unmöglich ist. Die deutlichen Unterschiede in der Bevölkerung trieben auch die Studierenden gegeneinander auf. Viele Schwarze sahen sich benachteiligt gegenüber ihrer ‚white privileged' Kommilitonenund Kommilitoninnen und sie hatten recht. 68,2 % der höheren Positionen auf dem südafrikanischen Arbeitsmarkt werden von Weißen besetzt, obwohl sich der Anteil der Weißen in der Bevölkerung auf knapp 10% beschränkt. Dabei spielt fehlende Bildung bei der Vermögensverteilung im Land die größte Rolle. Wer kein Geld hat, kann nicht studieren. Ein ewiger Teufelskreis.

So formten sich im Oktober 2015 die ersten Protestbewegungen, die die horrenden Studiengebühren anprangerten. Die Fees Must Fall-Bewegung war geboren. Bald standen Tausende Demonstrierende auf den Straßen Südafrikas. Es wurde getanzt und gesungen. Alte Lieder gegen den Rassismus erinnerten an die Proteste von 1976, die das Ende der Apartheid einläuteten. Eine Reaktion seitens der Regierung blieb nicht lange aus: Bereits im November standen den Protestierenden erstmals Polizeikräfte gegenüber. Rauch- und Heulgranaten sollten die Menge auseinandertreiben und hinterließen die ersten Verletzten. Doch auf Gewalt folgte weitere Gewalt und so eskalierte die Lage im Oktober dieses Jahres.

Ein Jahr an der Universität von Kapstadt

Der Ausnahmezustand

Während die Universitäten versuchten, das Studienjahr zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, zogen im September die ersten Polizeikräfte auf den Campus ein. Steine und Molotow-Cocktails flogen, Fenster klirrten und Autos brannten. Die Polizei reagierte mit Gummigeschossen und Tränengas. Während die Mehrzahl der Studierenden nicht in die Proteste involviert war und versuchte für die anstehenden Prüfungen zu lernen, heulten draußen die Sirenen. Demonstrierende kämpften sich durch die Sicherheitskräfte und verbarrikadierten sich in eingenommenen Gebäuden. Kleine stinkende Bündel menschlicher Fäkalien schwirrten durch die Luft und landeten auf den Einsatzkräften. Die Universitäten wussten sich nicht anders zu helfen, als den Studienverkehr einzustellen. Statt Bildung für alle möglich zu machen, erreichten die Proteste bislang genau das Gegenteil: Die Universitäten verriegeln ihre Tore und Südafrika befindet sich im Ausnahmezustand.

Mehr als ein Jahr des Protests hinterlässt seine Spuren: Unzählige Verletzte, bislang 619 Verhaftungen und mehr als 35 Millionen Euro Schaden. Erst vor einigen Tagen fand ein junger Demonstrant den Tod, als ein Auto unkontrolliert durch die Massen raste. Die Proteste halten bis zum heutigen Tag an und fraglich bleibt, wann die Regierung eingreift. Wann sind genügend Häuser angezündet und Menschen verletzt, um die Dringlichkeit eines neuen Bildungsfinanzplanes zu erkennen? Eventuell sollte der südafrikanische Präsident, Jacob Zuma, künftig davon absehen, nur sein eigenes Vermögen zu mehren und stattdessen den verzweifelten Rufen einer neuen Generation zuhören.

Bild: "'Do not shoot' a group of students shout". Von Myolisi - Own work - wikimedia.org
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