VON JANINA TOTZAUER | 31.10.2016 12:39

Studieren in Kapstadt: Zwischen Weinbergen und Townships

Kapstadt liegt am letzten nur vorstellbaren Zipfel Afrikas und somit von Deutschland aus gesehen am Ende der Welt. Ist man allerdings zum ersten Mal in der 3,5 Millionen Einwohner starken Metropole, fühlt man sich gar nicht so fremd. Vor meinen deutschen Freunden beschrieb ich Kapstadt immer als den einfachen Einstieg nach Afrika. Afrika light sozusagen. Wo vor mehr als 350 Jahren die ersten Europäer Fuß an Land setzten, wo Apartheid noch vor gut zwanzig Jahren das Land spaltete und wo vor einigen Wochen die Globalisierung den ersten H&M eröffnete, zog es mich 2015 zum Studieren hin.

Alles begann bereits zwei Jahre zuvor, als ich das erste Mal Südafrika bereiste. Zwei Monate befuhr ich als Tourist kreuz und quer dieses wunderschöne Land, das an unterschiedlichen Klimata, Landschaften und Nationalparks nicht geizte. In Kapstadts Township Langa tanzte ich in Mama Sheilas Wohnzimmer, das am Wochenende zu einer Bar umgebaut wurde, zu Rihanna und trank aus riesigen Flaschen Bier. In Johannesburg hielt mir jemand am helllichten Tag eine Waffe an den Kopf und fragte nach meiner Handtasche. Irgendwo in der Einöde nördlich von Durban saß ich auf einem Festival an einem Lagerfeuer und unterhielt mich zum ersten Mal mit einem jungen Mann, der später zu meinem Freund werden sollte. Und in den unendlichen Weiten des Kruger National Parks sah ich Löwen, Büffel, Elefanten und die Nasenspitze eines Nilpferdes, konnte mir aber nach nur zwei Nächten, den teuren Zeltplatz zwischen Hunderter Autos nicht mehr leisten.

Bei meiner ersten Reise durch das Land erfuhr ich, wie naiv-europäisch ich war und wie gut ich damit vorankam. Wie viel Glück ich in manchen Situationen hatte, erkannte ich erst später bei unzähligen Gesprächen mit meinem Freund. Afrika ist ein raues Pflaster, doch scheinbar brachte mich das nicht davon ab, 2015 die Koffer zu packen und mich für ein Jahr an der Universität von Kapstadt einzuschreiben. Da ich Kunst studiere und mein Professor in der Heimuniversität jegliche Art des Reisens und Erkundens schon immer unterstützte, war es kein Problem, zwei Urlaubssemester einzulegen. Ende Januar saß ich im Flugzeug, das mich vom deutschen Schneematsch in das brennende Kapstadt bringen sollte. „Brennend“ sei an dieser Stelle im wörtlichen Sinn zu verstehen, da bei gut 40 Grad die Wälder rund um den Tafelberg in Flammen standen. Meine ersten Tage verbrachte ich damit, in den bereits runtergebrannten Waldteilen nach überlebenden Schildkröten, Schlangen und anderem Kleingetier zu suchen und diese an Wasserstellen überzusiedeln. Auch mein Freund war neu in Kapstadt und ungläubig starrte ich auf den Mietvertrag, den wir nach nur einer Wohnungsbesichtigung unterschrieben. Der gebürtigen Münchnerin in mir war es schier unvorstellbar, wie leicht und billig eine schöne Wohnung zu haben war.

Alltag mit Hindernissen

Nur eine Woche später begann das Semester und dank tausender Formulare, die in dem einen Büro abzuholen, im anderen zu unterschreiben und im dritten abzugeben waren, lernte ich den Campus sehr schnell kennen. Die Aussicht von den Hängen des Tafelberges über die Weiten Kapstadts verschlug mir regelrecht den Atem. Schon allein dieses Ausblicks wegen würde ich jedem empfehlen, in Kapstadt zu studieren. Gewöhnungsbedürftig war vor allem, dass es gravierend an öffentlichen Verkehrsmitteln mangelte. Das verwöhnte U-Bahn-Kind in mir forderte mehr als nur ein paar Buslinien und eine Art Vorortzug, die nach 21 Uhr abends aus Sicherheitsgründen nicht mehr fuhren. So war ich schließlich doch gezwungen, mich in meines Freundes Pickup durch den Linksverkehr zu chauffieren. Schnell erfuhr ich, dass so mancher Verkehrsteilnehmer ab und an auch richtig wütend werden kann, wenn die dumme Deutsche bei Rot tatsächlich auf die Bremse steigt. Ich lernte, dass gefühlte zwanzig Stunden am Tag Stau auf Kapstadts Straßen herrscht und dass der Standstreifen auf Autobahnen gern als Bürgersteig verwendet wird. Nach einigen Wochen hielt ich immer genug Kleingeld im Auto bereit um einer plötzlich auftauchenden Polizeikontrolle geschickt zu entgehen. Ich übte mich in Geduld auf dem Postamt, wenn das Abschicken eines einzigen Briefes mal wieder eine Stunde dauerte und brüstete mich stolz mit zwei vereitelten Handtaschenrauben.

Schwer zu ertragen war die Hitze, wenn das tägliche Load Shedding unseren Ventilator verstummen ließ. Da Südafrikas Energiekonzerne nicht genügend Strom erzeugen, um alle Haushalte im Land mit ausreichend Elektrizität zu versorgen, führte die Regierung 2014 geplante Stromsperren ein. Auf Zeitplänen in Zeitungen und im Internet stehen Beginn und Ende der täglichen zweieinhalb Stunden Stromlosigkeit gelistet. Doch risikofreudig wie ich war, begann ich so manches Mal zu kochen ohne davor einen dieser Pläne zu studieren und wurde oft mit einem halb rohen Spiegelei oder harten Nudeln belohnt. Doch vor allem lernte ich, aufmerksam zu sein.

Südafrika hat eine hohe Kriminalitätsrate und mein Freund lehrte mich alle Tricks, um kein Opfer zu werden. Ich mied die Öffentlichkeit nach Sonnenuntergang, fuhr dann nur noch mit dem eigenen Auto und ließ immer ein wenig Abstand zum Vordermann, wenn ich an einer Ampel anhielt. ‚Rangierraum bei bewaffnetem Überfall’ nannte das der Einheimische. Ich beobachtete die Menschen in meiner Umgebung immer genau und führte immer genügend Geld mit mir, so dass mich kein Räuber aus Zorn über zu wenig Beute abstach. Während meiner Zeit in Kapstadt wurden vier Mädchen in den frühen Abendstunden auf dem Campus vergewaltigt, einige meiner besten Freunde wurden ausgeraubt und meines Freundes Opa wurde in seinem eigenen Haus überfallen und erdrosselt.

Nelson Mandela - Kampf ist mein Leben

Die Stadt der Gegensätze

Wer den Aufstieg wagt und vom Plateau des Tafelberges hinab auf die im Sonnenuntergang liegenden Häuser blickt, kann es nicht fassen, wieviel Böses in all dieser Schönheit schlummert. Zu gern vergisst man bei einer Flasche Bier, die grässliche Armut, die die Menschen in die Kriminalität treibt. Zu gern möchte man gar nicht mehr zurück paddeln, wenn man da draußen auf dem Surfbrett nur Seehunde und das tiefblaue Meer um sich hat. Oft vergisst man die feine Schicht an Rassismus, die in jeder Kultur und Hautfarbe Südafrikas schlummern kann, während man mit offenem Mund einer Walfamilie nachstarrt. Südafrika feiert - nicht zuletzt seit der Fußballweltmeisterschaft 2010 - die Vielfalt seiner Kulturen und zeigt nach außen freudig strahlende, schwarze und weiße Topmodels auf Werbeplakaten. Die Realität ist leider noch weit entfernt von einem Land des friedlichen Miteinanders.

Während ich mit Hunderten zornigen Studierenden für eine Entkolonialisierung der südafrikanischen Universitäten protestierte, drang es langsam in mein Hirn: Kapstadt lehrte mich Dankbarkeit für unser deutsches funktionierendes Sozialsystem, für U-Bahnen und sichere Straßen. Das Jahr gab mir einen minimalen Einblick in eine andere Welt und das Privileg, in dem ich daheim mit einer ekelerregenden Selbstverständlichkeit lebe. In Kapstadt trifft Europa auf Afrika. Während am einen Ende der Stadt die Reichen auf einem Weinberg Rotwein schlürfen, schütten sich am anderen Ende die Obdachlosen Putzalkohol durch einen Laib Toastbrot, um so die Giftstoffe herauszufiltern und das blaue Gemisch trinkbar zu machen. Kapstadt sei jedem zu empfehlen, der sich nicht scheut, auch die unschönen Seiten der Welt zu sehen, denn wer sich nur feige zwischen dem Yachthafen und den Dachterrassenbars bewegt, kann genauso gut gleich in Europa bleiben.