VON CHARLOTTE MEYER | 06.04.2015 16:57

Permafrost im Sommer – drei Wochen an der Uni von Jakutsk

Minus 40 Grad im Winter und plus 40 Grad im Sommer. Die Stadt mit der größten Temperaturdifferenz der Welt – so sagte man es mir zumindest – ist Jakutsk. Dass der Boden im Sommer trotz der hohen Temperaturen immer noch tiefgefroren ist, durfte ich während einer dreiwöchigen Sommerschule an der dortigen Universität am eigenen Leib miterleben. Dass der ferne Osten Russlands ganz und gar nicht russisch ist, hätte ich vorher gar nicht gedacht.



Unvorstellbare Eiseskälte

Jakutien – oder Sacha – ist eine von 21 Republiken der Russischen Föderation. Ganz im Nordosten Sibiriens gelegen, ist die Republik flächenmäßig das größte Föderationssubjekt Russlands und die größte unterstaatliche Territorialeinheit der Welt. Jakutsk, die Hauptstadt Sachas, ist aus der Ferne nur mit dem Flugzeug zu erreichen, da es keine Zuganbindung gibt und der Weg über die im Sommer oft verschlammten Straßen mit dem Auto beschwerlich ist. Die Sommerschule, die vom go-east-Programm des DAAD unterstützt wird, fand im August statt, in der kurzen Sommerphase der Region. Winter und Sommer wechseln sich sehr schnell ab in Jakutien und im Oktober fällt meist schon der erste Schnee, der in der Regel bis April liegen bleibt. Viele Fotos wurden mir gezeigt von Temperaturanzeigen, die minus 40 Grad angeben oder Geschichten erzählt von Wasser, das ausgeschüttet in der Luft gefriert. Ein bisschen neugierig war ich dann schon und habe mich gefragt, wie es sich wohl anfühlen muss, bei so einer Kälte auf der Straße zu sein und wie die Welt um einen herum bei 40 Grad unter Null wohl aussehen mag.

Bunte Mischung in der Sommerschule

Der Sommer in Jakutsk war für mich aber auch schon sehr exotisch und ich glaube sogar, dass unsere Studentengruppe bei weitem weniger herumgekommen wäre, wenn die Temperaturen um 80 Grad niedriger gewesen wären. Allerdings wären uns dann auch die Massen an Moskitos erspart geblieben, die uns bei den Exkursionen aufs Land geplagt haben. Das Programm der Sommerschule war unglaublich vollgepackt mit Sprachkursen, Kulturprogramm und Exkursionen. Die Teilnehmenden der Sommerschule waren dabei bunt durchmischt: Es gab solche, die ihr Studium unlängst begonnen hatten und solche, die promovierten, solche, die Medizin studierten und solche, deren Hauptfach Slawistik war. Es waren Studierende aus ganz Deutschland dabei und für mich war es sehr faszinierend zu sehen, dass an einem so ungewöhnlichen Ort so unterschiedliche Profile in einer homogen deutschen Gruppe zusammen kamen.

Ohne Angst verschieden sein

Jakutisch – ein weit entferntes Türkisch

Ich habe mich gemeinsam mit einer anderen Teilnehmerin entschieden, einen Jakutisch-Kurs zu belegen. Jakutisch ist Teil der Familie der Turksprachen und sehr früh durch Völkerwanderung aus Zentralasien von den anderen Turksprachen abgespalten worden. Das führte dazu, dass viele Elemente aus dem Alttürkischen erhalten geblieben sind und sich auch viele Elemente aus dem Russischen im Laufe der Zeit hineingefügt haben. Aus Spasibo wird so etwa bahyba. Viel anwenden konnte ich die Sprache bei dem kurzen Aufenthalt nicht, aber der kleine Ausflug in die Sprachwelt der Jakuten hat meinen Horizont dennoch erweitert. Und nebenbei hat es auch sehr viel Spaß gemacht, sich selbst dabei zuzusehen, wie man sich abmüht, die ungewohnten Laute zu artikulieren.

Die Jakuten – eine ganz eigene Kultur

In Jakutien sind die Jakuten vor den Russen die größte Volksgruppe und sie verfolgen ihre eigenen kulturellen Traditionen. Manche Jakuten, die unsere Gruppe begleitet haben, witzelten, dass wenn sie im Ausland seien, glaube ihnen niemand, dass sie aus Russland stammen. Eher aus China oder Korea, würde man vermuten, den Gesichtszügen nach. Die Jakuten sind ein Reitervolk und haben einen besonderen Bezug zu Pferden und zur Natur. Der Bezug zu den Tieren ist ein freundschaftlicher: Man reitet auf Pferden, sie spenden Gesellschaft, aber auch Fleisch und Felle. Das jakutische Pony ist dabei sehr robust wie man mir gesagt hat, denn es sei in der Lage, auch im Winter autark zu leben, da es Trinken und Fressen im Schnee finden kann. Den besonderen Bezug zur Natur habe ich vor allem daran erkannt, dass ich bei Exkursionen immer wieder kleine Pfannkuchen, Oladi, im Kreis angeordnet auf dem Boden gesehen habe. Auf meine Frage, wer hier so achtlos seinen Müll hat liegen lassen, wurde mir gesagt, das sei Brauch, um der Natur einen Teil des Eigenen zurückzugeben.

Sommerschulen sind super, um Neues zu entdecken

Ich habe so viele Eindrücke von dieser Sommerschule mitgenommen, dass ich wahrscheinlich noch viel mehr davon berichten könnte. Etwa von der Dampfschifffahrt auf der Lena zu den Lenafelsen oder von unserem Ausflug in ein jakutisches Dorf, wo uns traditionelle jakutische Tänze und Gesänge gezeigt wurden und neugierige Wildponys Überraschungsgäste waren. Zu erwähnen wäre auch das Maultrommelspiel der Jakuten oder die jakutische Küche, die aus gefrorenem Fischsalat, viel Fleisch und süßer Schlagsahne besteht und für Fettreserven für einen langen Winter sorgen soll. Es existieren in Russlands entlegensten Regionen spannende Kulturen, von denen wir gar nichts wissen und die mit viel Exotik aufwarten. Die jakutische Kultur ist so ein Beispiel dafür. Dank der Sommerschule konnte ich eine ganz neue und unrussische Seite Russlands entdecken, die mir vorher verschlossen gewesen ist.