VON ANGELA SCHWEIZER | 22.07.2015 14:20

Keine Papiere, keine Rechte? Deutschlands Schattenmenschen

Schätzungsweise zwischen einer halben und einer Million Menschen leben in Deutschland ohne staatlich anerkannte Aufenthaltserlaubnis. Selbstverständliche Dinge werden so zum Spießrutenlauf, die Angst vor Kontrolle und Abschiebung ist allgegenwärtig. Selbst elementarste Menschenrechte gelten für illegalisierte Menschen nicht. Welche Mechanismen treiben Menschen in die Illegalität und was bedeutet es, ein Leben ohne Papiere zu führen?



„Sei freundlich, aber sprich nicht mit jedem. Ein kurzes Hallo, das muss reichen. Weiche Fragen aus, gib nichts preis aus deinem Leben. Traue niemandem“

Diese Aussage spiegelt nur einen Ausschnitt der Lebensrealität illegalisierter Menschen in Deutschland wider. Ein Arztbesuch? Undenkbar! Illegaler Aufenthalt ist in Deutschland eine Straftat, und nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, wie etwa in Frankreich. Dass Ärztinnen und Ärzte jedoch der medizinischen Schweigepflicht unterliegen und daher nicht der Beihilfe schuldig gesprochen werden können, regelte erst die 2009 erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz. Die Angst, entdeckt zu werden, ist jedoch viel zu groß, und so sind illegalisierte Menschen weiter abhängig vom guten Willen einzelner oder von Organisationen, die sich um medizinische Versorgung kümmern. Am sozialen Leben der Gesellschaft können sie nicht teilhaben. Meist arbeiten sie in Privathaushalten oder anderen prekären Gelegenheitsjobs, ohne jegliche soziale Absicherung und ohne Rechte.

Gefangen vor den Toren Europas

Was treibt Menschen in die Illegalität?

Besonders für geflüchtete Menschen gibt es viele Gründe, in die Illegalität gedrängt zu werden. Den Großteil bilden jedoch die Menschen, die einen legalen Status hatten und diesen irgendwann verloren haben. Beispielsweise nach Ablauf ihres Studenten- oder Touristenvisums, der Saisonarbeit oder einer staatlich bewilligten Duldung. So lassen Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung oft ihre Papiere verschwinden, um nicht identifizierbar zu sein und so eine drohende Abschiebung zu verhindern. Dies nennt sich „Widerstand gegen die Verwaltung“ und ist nur im Ausländerrecht ein Straftatbestand. Obwohl die Einreise selbst nicht kriminalisiert werden darf, sieht die Realität anders aus: Laut der Dublin - II – Verordnung, ist der Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, in dem der oder die Asylsuchende ankommt. Da jedoch in vielen EU-Staaten der Zugang zu einem Asylverfahren sowie einer den europäischen Sozialstandards entsprechenden Versorgung nicht gewährleistet ist - oder aufgrund der banalen Tatsache, dass Menschen selbst entscheiden, wo sie leben möchten - kommen viele trotzdem nach Deutschland und leben fortan als Unsichtbare.

Ein politisch ungelöstes Problem

In der politikwissenschaftlichen Migrationsforschung herrscht längst der Konsens, dass die staatlichen Kontroll- und Grenzregime überall auf der Welt scheitern. Alternativen und andere Wege gäbe es viele, die schon auf kommunaler Ebene gegangen werden können: So bietet beispielsweise die amerikanische Stadt New Haven seit 2007 allen Bewohnerinnen und Bewohnern kommunale Personalausweise an. Diese ID-Cards ermöglichen den Zugang zu Dienstleistungen, wie beispielsweise der Eröffnung eines Bankkontos oder den Eintritt in Bibliotheken.

Aufgrund der europäischen Abschottungspolitik und der großen Flucht- und Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts werden auch in Zukunft immer mehr Menschen in die Illegalität gedrängt. Anstatt diesem entgegenzuwirken und die Aufenthalts- und somit Lebensbedingungen zu verbessern, setzt die Politik verstärkt auf repressive Maßnahmen. Anstatt beispielsweise das Dublin-Verfahren abzuschaffen und für mehr legale Einreisewege zu sorgen, wird das politisch ungelöste Problem genutzt, um die Migrationskontrollen weiter zu verschärfen und Grenzgebiete in militärische Sperrzonen zu verwandeln.