VON CLEMENS POKORNY | 18.06.2014 17:59

15 Jahre Bologna-Prozess: Keine Erfolgsgeschichte

Mit der Bologna-Erklärung von 1999 nahm ein damals bereits elf Jahre alter Gedanke Gestalt an: Der Europäische Hochschulraum sollte vereinheitlicht und das Studieren im Ausland gefördert werden. Dazu wurden BA-/MA-Studiengänge eingeführt, die in Module unterteilt sind und in denen ECTS-Punkte gesammelt werden müssen. 15 Jahre später ist klar: Die Ziele des Bologna-Prozesses wurden völlig verfehlt und die Hochschulbildung zur Ware gemacht.

Studieren wird endlich international – das war der Kerngedanke des Bologna-Prozesses, der vor fünfzehn Jahren, mit der Bologna-Erklärung vom 19. Juni 1999, von fast allen europäischen Bildungsministern ins Werk gesetzt wurde. Mehr Studenten sollten Auslandssemester absolvieren, die ihnen leichter anerkannt werden. Nicht zuletzt sollten nicht-europäische Gaststudenten, vor allem asiatische, an europäische Universitäten gelockt werden, weil sie sich bisher allzu oft für angloamerikanische Almae Matres entschieden. Dazu orientierten sich die europäischen Hochschulen an genau diesen Vorbildern, indem sie die Zweigliedrigkeit des Studiums als Bachelor-/Master-System einführten. Traditionelle Abschlüsse wurden so durch neue ersetzt, die auf der weltweiten Arbeitsmarkt aussagekräftiger und dadurch nützlicher sein sollten. Doch die mit Bologna verbundenen Hoffnungen wurden enttäuscht.

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Die Freiheiten, die die Universitäten bei der Einrichtung der BA- und MA-Studiengänge haben, haben zu einer Zersplitterung der Studiengänge geführt. Mehr als 13.000 verschiedene Bachelor- und Masterprogramme wurden seit 1999 alleine in Deutschland eingeführt; sie machen 85% der gesamten Vielfalt an Studienfächern aus. So kocht jede Uni ihr eigenes Süppchen – die internationale Vergleichbarkeit wurde komplett verfehlt. Ein „Diploma Supplement“ beschreibt manchmal lediglich, ergänzend zum eigentlichen Abschluss, welche Kompetenzen ein Jungakademiker während seines Studiums erworben hat. Entsprechend erschwert wurde das Auslandsstudium: Studien- und Prüfungsleistungen lassen sich wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Studienprogramme in mindestens 50% der Fälle nicht voll anrechnen. 18% der BA-/Ma-Studenten beklagen sogar, dass ihnen keine einzige im Ausland erbrachte Leistung im Heimatland anerkannt wurde. Vielleicht auch deshalb verbringen 52% der Studenten auch heute noch kein einziges Semester an einer anderen Hochschule als ihrer Alma Mater. Damit bestätigt der Bologna-Prozess, was auch auf politischer Ebene (Europäische Union!) beobachtet werden kann: Je mehr europäische Länder an einem System beteiligt sind, desto schwieriger wird es, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen – und die offenkundig schlechteste Lösung lautet: Lasst jedes Land (oder jede Hochschule) walten wie es ihm (oder ihr) passt.

Doch jenseits dieser organisatorischen Probleme stellt der neoliberale Charakter dieser Amerikanisierung der Hochschulen das ganze Hochschulwesen in Frage. Alle wesentlichen Maßnahmen, die im Zuge des Bologna-Prozesses insbesondere in Deutschland getroffen wurden, zielen auf „weniger Staat“ und „mehr Privatwirtschaft“. Bei den zunehmend häufigeren Drittmittelprojekten oder gar -professuren sind aber Interessenskonflikte vorprogrammiert. Mit Studiengebühren nach US-amerikanischem Vorbild sollen Studenten für ihre Ausbildung zahlen statt – etwa über höhere Steuern – die Unternehmen, die immerhin später von der guten Ausbildung der Akademiker profitieren. Der Student wird vom Mitglied einer Institution zum Kunden der Ware Bildung degradiert. Dazu passt, dass Bildung im BA-/MA-System nicht mehr ganzheitlich gedacht wird, indem im BA-Studium zunehmend „Unterricht“ abgehalten wird, in dem die Studenten oftmals nicht mehr auf Augenhöhe mit den Dozenten stehen. Forschung und Lehre werden auf diese Weise getrennt: Für das Gros der angehenden Absolventen gibt es nur noch die Lehre, denn nicht jeder Bachelor darf auch ein Master werden und die höheren Weihen der Forschung empfangen. So wird im Namen von Bologna Wilhelm von Humboldts Bildungsideal beerdigt, das jahrzehntelang die gegenseitige Befruchtung von Lehre und Forschung angeregt hatte. Statt auf Grundlagenforschung setzen die Verantwortlichen in akademischer Selbstverwaltung und Politik immer mehr auf marktorientierte Wissenschaft, unter anderem im Sinne der Rüstungsindustrie, und gefährden dadurch den wissenschaftlichen Fortschritt überhaupt.

Widerstand gegen „Bologna“ regt sich allenfalls auf Seiten der Studenten. Und auch deren Kampf leidet darunter, dass sie auf vielen Baustellen parallel arbeiten müssen: Kaum sind die Studiengebühren abgeschafft, drohen sie in anderer Gestalt wiederzukommen (Beispiel: Hessen). Semestertickets sind nicht überall selbstverständlich und die Wohnungsnot gerade in Großstädten erleichtert die Konzentration aufs Wesentliche auch nicht gerade. Vor allem aber bleiben die unzufriedenen Studenten meist unter sich und suchen kaum den Schulterschluss mit Schülern und der Arbeitswelt. Dabei müsste eine Reform der Reform schon vor dem Studium ansetzen: Gemeinsames Lernen an Schulen mit Binnendifferenzierung und dreizehn statt zwölf Jahre bis zum Abitur, das dringend wieder ein höheres Niveau bräuchte, ggf. auch mit sinkenden Abiturientenzahlen. Das wäre die Basis für ein Studium, das in den ersten Semestern nicht aufholen muss, was an den Schulen versäumt wurde, sondern das auf wissenschaftlichem Niveau beginnen kann und auf Druck und Verschulung in Form von Modulen, ECTS-Punkten und Höchststudienzeiten verzichtet. Wenn Deutschland nicht mehr OECD-Schlusslicht bei den Bildungsausgaben (in Relation zu den anderen staatlichen Ausgaben) wäre, dann würde es nicht nur attraktiver als Studienort, sondern dann könnten seine Studenten sich auch neben der Uni mehr um Hochschulpolitik statt um Nebenjobs kümmern. Doch eine Revision des Bologna-Prozesses bedürfte nicht nur deutscher, sondern europaweiter Anstrengungen. Bologna ist nicht unumkehrbar – aber nur sehr schwer zu korrigieren.