VON CLEMENS POKORNY
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15.06.2016 13:36
Thunfischgenuss dank Delphintod
Kürzlich wurde der in den USA gesetzlich verankerte Schutz von Delphinen, als Beifang in Thunfischnetzen zu enden, von der WTO als Handelshemmnis für Mexiko kritisiert und aufgeweicht. Man ahnt, was transnationale Abkommen wie CETA und TTIP für unsere Umweltstandards bedeuten könnten. Und wird an eine Problematik erinnert, die vor 30 Jahren diskutiert wurde, mittlerweile aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Dass die Partei „Die Grünen“ im Jahr 1980 gegründet wird und drei Jahre später bereits in den Deutschen Bundestag einzieht, passt in die Zeit. Die Anti-AKW-Bewegung kämpft erfolgreich gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf (1985/86). Man beklagt den sauren Regen und schreibt ihm zu, was unsere südwestlichen Nachbarn auch im Spott über die allzu ökigen Deutschen „le Waldsterben“ nennen. Recyclingpapier gewinnt nennenswerte Marktanteile, Thunfisch verliert dagegen an Bedeutung – weil bekannt wird, wie viele Delphine als Beifang sterben.
Dreißig Jahre später sind die Grünen etablierte Regierungspartei, der grüne Umweltminister Schleswig-Holsteins etwa plant derzeit die Zulassung von Ölbohrungen auch in Meeres-Naturschutzgebieten. In der Energiewende ist Deutschland eher lahmer Vorreiter denn Teil einer breiten Front. Beschreibstoffe aus Altpapier sind wieder Nischenprodukte – und Thunfisch in (fast) aller Munde. Zwar führte 1990 die Kritik an Delphinen als Beifang zur Begründung des SAFE-Siegels. Angebracht auf den Verpackungen der Thunfisch-Produkte soll es seither garantieren: Für diesen Fang musste kein Delphin sterben – anders als noch bis in die 1980er-Jahre. Denn im Ostpazifik gesellen sich Delphinschulen (an der Wasseroberfläche) und Schwärme ausgewachsener Gelbflossen-Thunfische (ca. 150 Meter darunter) gern. Fischer brauchen also nur nach Delphinen Ausschau zu halten und diese dann in die bis zu 250 Meter breiten und maximal zwei Kilometer langen sogenannten Ringwadennetze zu treiben. Das Netz wird wie ein Sack um die Fische herumgelegt und dann unten zusammengezogen. Die 90% Fischer mit dem SAFE-Zertifikat lassen die Delphine entkommen, bevor sie das Netz einholen – doch 3000 der Meeressäuger pro Jahr schaffen dies nicht und verenden spätestens an den Verletzungen, die sie sich beim Einholen der Netze zuziehen. Und für die Überlebenden bedeutet die Unruhe im Meer Stress. Vermutlich ist dies der Grund dafür, dass sich die Delphine im Ostpazifik kaum vermehren und die Größe ihrer Populationen bei ca. 20% der einstigen Stärken verharrt.
The Ocean Cleanup
Nachdem Wissenschaft und Industrie immer noch keine Lösung finden, hat sich nun ein 19-jähriger Holländer dem Problem des Plastikmülls in den Meeren angenommen
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Der Gelbflossen-Thunfisch wiederum steht sogar kurz vor der Überfischung. Noch dramatischer ist die Lage beim
Roten Thun, der aus dem Mittelmeer – um ein Herkunftsgebiet als Beispiel zu nennen – zu 75% nach Japan exportiert wird. Der meiste bei uns genossene Thunfisch ist dagegen gar keiner:
In den üblichen Dosen steckt Echter Bonito, ein enger Verwandter der Thunfische,
der meist gar nicht mit Ringwaden gefangen wird. Das SAFE-Siegel ist daher keine Garantie dafür, dass der Bonito nachhaltig gefangen wurde. Vielmehr kommen bei der Jagd auf Bonitos Lockbojen, auch Fish Aggregating Devices (FAD) genannt, zum Einsatz. Das sind in der See treibende Objekte, meist aus Plastik, die viele schutzsuchende Meeresbewohner anziehen, u.a. Meeresschildkröten, Haie und Schwertfische. Legen die Fischer ein Ringwadennetz um sie, fällt also neben den erwünschten erwachsenen Thunfischen viel Beifang an, der später oft in nicht mehr lebensfähigem Zustand ins Meer zurückgeworfen wird. SAFE soll auch diese „Kollateralschäden“ reduzieren, doch
sie treten nach wie vor auf.
Dass Thunfisch und Bonito trotzdem so beliebt bleiben, verwundert aber auch aus gesundheitlicher Perspektive. Die Tiere reichern Quecksilber in solchen Mengen an, dass stellenweise sogar vom Verzehr auch nur einer Dose pro Woche
abgeraten wird. Denn Quecksilber in hohen Mengen führt zu irreversiblen Gehirnschädigungen. Andere Schwermetalle greifen den Herzmuskel an und begünstigen Herzinfarkte.
Selbst wer nicht vegetarisch oder vegan lebt, sollte um Thunfisch daher eher einen Bogen machen. Es gibt bereits eine
vegane Thunfisch-Imitation auf der Basis von Sojaprotein und Weizen. Bio-Läden bieten allen, die darauf nicht verzichten wollen, Thunfisch an, der
traditionell mit der Angelrute gefangen wurde. Der hat seinen Preis, trägt aber dazu bei, dass Druck von den Delphinen genommen wird, deren Bestände im Ostpazifik gleichwohl
noch Jahrzehnte für ihre Regeneration brauchen werden.