VON JULIA ZETZ | 15.01.2013 15:18

Zeit, ein moderner Sklaventreiber

Die Uhr tickt, der Wecker läutet, die Zeit ist vorbei. Zeit gehört zum Leben wie Atmen, Essen und Schlafen. Sind wir alle Sklaven der Zeit? Ticken wir nur mit der Uhr? Ein Leben ohne Uhrzeit, ist das vorstellbar?

Ein gemeines Piepen holt mich jeden Tag aus meinem wohligen Schlaf. Es ist der Moment, indem ich weiß, dass die Uhr zu ticken beginnt. Zeit verfolgt mich den ganzen Tag, sie bestimmt meinen Rhythmus, meinen Tagesablauf, meine Schlafenszeiten. Doch was wäre, wenn mir die Zeit egal wäre?

Zeit – Oder die Akzeptanz zur Selbstkasteiung

Raus aus dem Kokon der Sicherheit

Schon morgens peitscht mich der Sklaventreiber. Er holt mich unsanft aus dem Schlaf um mir zu sagen: Julia, die Zeit läuft. Noch völlig unfähig zu wissen, wer ich bin und was ich tue, stolpere ich ins Badezimmer. Mein Spiegelbild ist nichts für die Öffentlichkeit. Das muss ich schnell ändern, denn ich muss bald los. Und wieder ein Peitschenhieb: Julia, die Zeit läuft.

Schnell ein Kaffee zum mitnehmen und los zur Arbeit. Der nächste Schlag: Julia, die Zeit läuft. Die Bahn ist schneller als ich, ich komme zu spät zur Arbeit. Und wieder ein Hieb: Julia, die Zeit läuft. Ich werfe einen Blick auf meinen Terminkalender heute: Meeting um zehn, ein Call um zwei, vier Texte und ein paar Kleinigkeiten bis um sechs. Und wieder peitscht es: Julia, die Zeit läuft.

Zu Hause angekommen, wird die Zeit nicht sanfter: Julia, die Zeit läuft. Schnell noch Wäsche waschen, etwas essen und schon muss ich wieder los. Geburtstagsfeier von Marie. Jetzt ist aber gut, liebe Zeit, sage ich. Aber sie ist anderer Meinung, ein weiterer Hieb: Julia, die Zeit läuft. Ja, es ist schon spät, ich gehe schlafen. Schließlich muss ich morgen wieder einige Hiebe meines liebsten Feindes ertragen, der Zeit.

Zeit, brauchen wir Dich wirklich?

Es ist ein bisschen kontrovers. So ganz ohne Zeit geht es nicht. Ein bisschen Selbstkasteiung gehört zum Alltag. Kritiker werden sagen: Das hat doch früher auch funktioniert! Nun, nicht ganz. Ich möchte wetten, die ersten Menschen auf diesem Planeten mussten nicht zur Arbeit gehen, mussten auch keine Termine mit Freunden einhalten, oder mal zur Vorsorgeuntersuchung zum Arzt. Ein Leben, ganz ohne den modernen Sklaventreiber Zeit, kann ich mir nicht vorstellen. Aber manchmal, da nehme ich ihm die Peitsche aus der Hand.