VON MAXIMILIAN REICHLIN | 29.06.2015 14:41

„Wir wollen das Studieren für alle erschwinglich machen!“ - UNI.DE im Gespräch mit der Wings University

Für Flüchtlinge ist es oft mehr als schwierig, irgendwie an eine gute Ausbildung zu kommen: Vielen fehlt im Gastgeberland die Arbeitserlaubnis, und ohne langfristige Aufenthaltsgenehmigung erweist sich auch das Einschreiben an Hochschulen und Universitäten meist als unmöglich. Die Wings University, ein Studentenprojekt aus Berlin, will da Abhilfe schaffen: Durch Online-Kurse und Partnerschaften mit den Universitäten soll jedem Flüchtling überall und zu jeder Zeit ein Studium ermöglicht werden, das tatsächlich auch zu einem anerkannten Abschluss führt. Vincent Zimmer, der das Projekt ins Leben gerufen hat, im Gespräch mit UNI.DE.


UNI.DE: Herr Zimmer, Sie sind Initiator und Teilhaber der Wings University. Könnten Sie erklären, wie das Projekt genau funktioniert?

Zimmer: Die Grundidee ist, dass man die Fixkosten für den Universätsbetrieb so weit senkt, dass man in der Lage ist, ihn möglichst vielen Studenten möglichst flexibel anzubieten. Der Großteil des Studiums muss also online ablaufen, denn nur so können wir den Studenten überall erreichen und gewährleisten, dass ein Flüchtling, der etwa aus Ägypten nach Europa reist, in Italien ankommt und von dort aus weiter nach Deutschland geht, immer bei der selben Institution, also der Wings University, weiter studieren kann. Mit diesem Konzept haben wir in Berlin eine Akkreditierung gestartet, diese dauert allerdings zwei Jahre. Erst danach sind wir als eigenständige Institution in der Lage, selbst Kurse anzubieten und dafür ein Degree zu verleihen. Bis dahin werden wir mit etablierten Universitäten zusammenarbeiten und auf deren Bestand an Online-Kursen zurückgreifen. In den ersten zwei Jahren sammeln wir den bestehenden Content und modulieren ihn zu Studiengängen. Die Studenten sammeln in dieser Online-Phase Credits an den akkreditierten Universitäten. Das heißt die Studenten beginnen jetzt schon mit Online-Kursen und gehen dann in zwei Jahren, in der Präsenzphase, an eine unserer Partneruniversitäten, schließen das Studium dort ab und erhalten dann ein „Double-Degree“, also einen Abschluss sowohl von uns als auch von der Partneruniversität.

Praktische Lösungen für Flüchtlinge

UNI.DE: Studiert wird also im Grunde an der Partneruniversität, deren Online-Angebot von der Wings University gesammelt und zur Verfügung gestellt wird?

Zimmer: Genau. Der Gedanke dahinter ist, dass wir das weltweit verfügbare Wissen sammeln und erschwinglich machen. Es hätte beispielsweise keinen Sinn für uns gemacht, eine Einführung in die Mikroökonomie komplett neu zu entwerfen, wenn es doch bereits einige Professoren, etwa in Harvard, gibt, die solche Kurse bereits ins Netz gestellt haben. Langfristig werden wir, auch nach der Akkreditierung, den Schwerpunkt vor allem auf diesen Mix aus Kursen anderer Universitäten setzen. Der Unterschied zu bestehenden Bildungsplattformen liegt allerdings darin, dass die Kurse zu einem tatsächlichen Degree führen. Es werden also nicht nur Zertifikate verliehen, um Wissen nachzuweisen, sondern die Studenten müssen Prüfungen ablegen und erhalten dafür dann einen Abschluss.

UNI.DE: Und diese Abschlüsse werden dann auch staatlich anerkannt?

Zimmer: Genau. Das ist der Trick. Denn einer der beiden Abschlüsse ist gesichert, da er ja ohnehin nicht von uns verliehen wird, sondern von einer unserer Partneruniversitäten. Das sind Volluniversitäten, momentan hauptsächlich in Deutschland, aber wir haben auch eine Partneruniversität in New York, eine in Malaysia und in naher Zukunft kommen wahrscheinlich noch drei hinzu, eine in Shanghai, eine in London und eine Dubai.

UNI.DE: Welche Fächer und Abschlüsse soll die Wings University denn anbieten?

Zimmer: Wir haben insgesamt zwei Umfragen gemacht, unter den Leuten, die sich bei uns beworben haben, also bei uns studieren wollten. Die Frage war: Was wollen die Leute studieren, was brauchen die Leute? Basierend darauf haben wir jetzt verschiedene Studienrichtungen, auf die wir uns konzentrieren. Das sind Computer Science, Economics, wobei wir da nochmal unterscheiden zwischen einer volkswirtschaftlichen und einer betriebswirtschaftlichen Richtung, außerdem Architektur und Engineering mit Schwerpunkt auf Energietechnik. Für den Anfang konzentrieren wir uns auf Bachelor-Abschlüsse, langfristig wollen wir aber in jedem Studienbereich sowohl ein Bachelor- als auch ein Masterangebot zur Verfügung stellen.

UNI.DE: Ein Studium an der Wings University soll auch ohne die klassischen Hürden wie beispielsweise den NC möglich sein. Aber gerade staatliche Universitäten legen auf solche Aussiebungsverfahren ja einen großen Wert. Wie können solche Hürden umgangen werden?

Zimmer: Die müssen gar nicht umgangen werden. Der NC entsteht ja aus einer Notwendigkeit heraus. Der wesentliche Punkt ist, dass die meisten Universitäten nur eine begrenzte Kapazität haben. Dieses Problem stellt sich für uns gar nicht. Da das Studium bei uns Online abläuft, ist es prinzipiell unerheblich, ob bei uns in einem Fachbereich 200, 2.000 oder 20.000 Studierende eingeschrieben sind. Wenn die Studenten dann an die Partneruniversitäten gehen, sieht das anders aus, denn es ist klar, dass wir einer staatlichen Universität nicht auf einen Schlag 10.000 Studenten schicken können, wo die Kapazität nur für maximal die Hälfte ausreicht. Deswegen vereinbaren wir mit den Partneruniversitäten eine Anzahl an festen Studienplätzen. Dafür wird dann eine Bestenauslese vorgenommen. Das heißt der NC hält die Studenten zunächst nicht davon ab, überhaupt in das Studium reinzukommen, es könnte aber sein, dass nicht alle einen Platz bekommen, wenn es dann an die Partneruniversitäten geht. Aber wir bemühen uns natürlich, für alle eine Lösung zu finden.

UNI.DE: Das Studium soll in den ersten zwei Jahren ausschließlich online ablaufen. Nun könnte man sich vorstellen, dass Flüchtlinge und Asylbewerber, gerade, wenn sie sich noch auf der Reise befinden, keinen uneingeschränkten Zugang zu Smartphones oder Computern haben. Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Zimmer: Das Problem ist geringer als man denkt. Unsere Umfragen haben ergeben, dass etwa 78% aller befragten Flüchtlinge eigene Laptops oder Smartphones besitzen, die sie für das Studium nutzen können. Wir wollen allerdings als Anreiz auch Laptops und Betriebssysteme zur Verfügungen stellen, wenn alles gut läuft auch noch einen Surfstick. Die Idee dahinter ist nicht ganz uneigennützig, da wir ja auch, eben weil wir staatlich anerkannte Abschlüsse vergeben wollen, darauf angewiesen sind, die Identität des jeweiligen Studenten zu überprüfen. Wir müssen also sicherstellen, dass Student XY tatsächlich die geforderte Leistung erbringt, und dass er also nicht mit jemandem zusammenarbeitet oder sich helfen lässt. Das funktioniert über eine spezielle Software, die das Klickverhalten analysiert. Dadurch können wir relativ genau bestimmen, ob die Person, die vor dem Computer sitzt, auch der eingeschriebene Student ist. Zusätzlich zu den Laptops wollen wir ein Betriebssystem zur Verfügung stellen, das auf einen USB-Stick passt, auf dem alle persönlichen Daten gespeichert sind. Den kann man überall mit hinnehmen. Was dann für das Studium gebraucht wird, liegt in einer Cloud.

UNI.DE: Wie finanziert sich denn die Wings University?

Zimmer: Im Moment vor allen Dingen durch Ehrenamt. Es ist erstaunlich, wie weit man auch ohne Geld kommen kann. Wir haben aktuell quasi keine Kosten, aber das wird auf lange Sicht natürlich nicht so bleiben. Man muss da unterscheiden: Im Augenblick sind wir in der Gründungsphase und können vieles selbst machen, zum Beispiel die Software programmieren, Flüchtlinge ansprechen, die Idee bekannt machen. Um gewisse Kosten kommen wir aber nicht herum, zum Beispiel die Serverkosten. Im Moment finanzieren wir das alles über Spenden und im Sommer wird eine große Crowd-Funding-Kampagne laufen. Mittelfristig wird die Grundfinanzierung durch staatliche Kompensation geschehen. Es wird Gespräche geben mit der Senatsverwaltung in Berlin. Langfristige Strategien sehen vor, dass wir durch den Universitätsbetrieb selbst Geld einnehmen können.

UNI.DE: Wie das?

Zimmer: Für uns ist klar: Die Flüchtlinge sind keine Einnahmequelle, von denen wollen wir also kein Geld nehmen. Es gibt aber die Möglichkeit, Kooperation mit Firmen zu starten, die ganz gezielt Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen bei uns heranziehen und im Gegenzug deren Ausbildung übernehmen. Ein anderer Weg wäre etwas komplett neues: Da unser System fortschrittlicher ist, als bei vielen anderen Online-Universitäten, brauchen wir auch immer wieder neue Technologien und Software-Lösungen. Wir haben zum Beispiel einen Algorithmus entwickelt, der automatisch Prüfungen aus verschiedenen PDF-Dateien und PowerPoint-Folien erstellen kann, oder ein neues Notetaking-Tool, das auch in einer eigenständigen Firma weiterentwickelt wird. Unser Plan ist, dass diese Technologien die wir da entwickelt haben, irgendwann lizenziert und an staatliche Universitäten abgegeben werden. Das wird sicherlich eine Weile dauern, bis die Produkte serienreif sind, aber langfristig sollen so etwa 20% unserer Einnahmen generiert werden.

UNI.DE: Wie sehen die nächsten Schritte aus? Was hält die Zukunft für die Wings University bereit?

Zimmer: Vieles. Wir haben aktuell ausreichend Partnerschaften, um das Grundprogramm zu starten, eine Universität pro Fachbereich. Aber der Bedarf ist unglaublich groß: Statt wie zuerst geplant 200 Bewerber haben wir jetzt schon an 1.000 Stück, und das, obwohl es noch nicht einmal eine offizielle Bewerbungsmöglichkeit gibt. Trotzdem schicken uns die Leute bereits ganze Motivationsschreiben per Mail und hoffen, einen Studienplatz zu kriegen. Daher sind wir natürlich weiterhin auf der Suche nach Partneruniversitäten. Außerdem soll im Juli die Crowd-Funding-Kampagne starten, mit der wir das gesamte Projekt quasi der Öffentlichkeit vorstellen wollen, komplett mit Beirat, Studienprogramm und Bewerbungsverfahren. Wir kämpfen also aktuell an vielen Fronten.