VON LISI WASMER | 12.09.2014 17:38

Unmoralisches Verhalten in der Arbeitswelt - Einstellungen und Normen bei Studierenden

Ein bisschen bei der abgeleisteten Arbeitszeit mogeln, um mehr Zeit für Freunde und Familie zu haben – ein Kavaliersdelikt? Im Gegenteil, sagt Carolina Frischke. Die 26-jährige studiert derzeit Betriebswirtschaftslehre in Dresden, 2013 hat sie ihre Bachelorarbeit über unmoralisches Verhalten am Arbeitsplatz geschrieben und damit den dritten Preis des GGS Young Talent Award gewonnen. Im UNI.DE Interview erzählt sie, warum sie sich gerade für dieses Thema entschieden hat, wieso auch kleine Mogeleien zum Problem werden können und welche Faktoren uns überhaupt dazu bewegen, am Arbeitsplatz unmoralisch zu handeln.


UNI.DE: Deine Arbeit trägt den Titel „Unmoralisches Verhalten in der Arbeitswelt: Einstellungen und Normen bei Studierenden“. Was hat dich dazu bewogen, dich ausgerechnet mit einer ethischen Fragestellung zu beschäftigen?

Carolina Frischke: BWL ist ja eigentlich eher ein recht trockenes Fach. Mich hat aber schon immer auch die menschliche Seite hinter den Zahlen interessiert, die psychologische Komponente.

UNI.DE: Weil du einen entsprechenden Hintergrund hast?

Carolina: Eigentlich gar nicht. Das Thema wurde so ähnlich von meiner betreuenden Professorin angeboten, das hat mein Interesse geweckt und wir haben uns zusammen getan. Seit der Bachelorarbeit beschäftige ich mich aber mehr mit diesem Aspekt von BWL. Für meinen Master habe ich zum Beispiel Wirtschaftspädagogik als Vertiefung gewählt.

UNI.DE: Inwiefern hältst du die Interdisziplinarität von Wirtschaftswissenschaft und Ethik für geboten? Hat Wirtschaftswissenschaft immer auch ethische Implikationen?

Carolina: Das sollte sie auf jeden Fall. Während meines Bachelorstudiums ist mir aufgefallen, dass die Fächer an der Universität oft getrennt voneinander behandelt werden. Ich finde aber, Ethik sollte auch im BWL-Lehrplan stehen, also auch in Fächer wie zum Beispiel VWL fest integriert werden. Es ist wichtig, dass die Studenten ein fundiertes Moralverständnis entwickeln, bevor sie in den Beruf einsteigen.

Arbeitsmotivation in deutschen Unternehmen

UNI.DE: Wodurch zeichnet sich unmoralisches Verhalten in der Arbeitswelt überhaupt aus?

Carolina: Das ist eine Frage, die auch einen großen Teil meiner Abschlussarbeit ausgemacht hat. In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition davon, was unmoralisch ist. Ein Indikator dafür, dass ein Verhalten unmoralisch ist, kann aber zum Beispiel die Bewertung der Verhaltensweise durch die Gesellschaft sein: Was die Mehrheit als unmoralisch empfindet, ist es auch. Das liegt ja auch in der Natur der Sache. Und natürlich gibt es noch andere Aspekte.

UNI.DE: Zum Beispiel?

Carolina: Zum Beispiel die Konsequenzen einer Verhaltensweise. Unmoralische Handlungen sind in den meisten Fällen auch rechtlich gesehen nicht anerkannt, also illegal. Und auch, wenn ich das Gesetzbuch nicht auswendig kenne: Wenn ich befürchten muss, für mein Verhalten fristlos gekündigt zu werden, handle ich vermutlich unmoralisch.

UNI.DE: Auch, wenn ich nur ein bisschen bei der Arbeitszeit mogle?

Carolina: Gerade dann. Arbeitszeitbetrug war ja auch das Beispiel in meiner Bachelorarbeit. Meine Umfrage unter Studenten hat ergeben, dass viele Leute Verhaltensweisen wie etwa pro Woche 20 Minuten Arbeitszeit extra abzurechnen, gar nicht als unmoralisch ansehen, weil so etwas das Unternehmen ja „nichts kostet“. Wenn ich mir diese 20 Minuten unverrichtete Arbeit aber über einen längeren Zeitraum von beispielsweise fünf Jahren bezahlen lasse, betrüge ich das Unternehmen auf einmal doch um eine ganze Menge Geld. Arbeitszeitbetrug ist eine der größten finanziellen Verlustquellen für Unternehmen.

UNI.DE: Wenn man deine Arbeit liest, hat man das Gefühl, das Ziel von unmoralischem Verhalten am Arbeitsplatz ist immer ein finanzieller Vorteil. Gibt es auch andere Beweggründe für falsches Handeln?

Carolina: Von weit weg betrachtet bestimmt. In der Umfrage war der wichtigste Beweggrund für den Arbeitszeitbetrug der Wunsch nach mehr Zeit für die Familie oder mehr Freizeit im Allgemeinen. Wenn ich mir diese Zeit aber bezahlen lasse, komme ich letzten Endes natürlich trotzdem wieder bei der finanziellen Komponente von unmoralischem Verhalten an. Egal, in welcher Form ich mich unmoralisch verhalte, unterm Strich steht eigentlich immer der wirtschaftliche Vorteil, der mir daraus erwächst.

UNI.DE: Wie kommt es überhaupt zu diesem eigennützigen Verhalten?

Carolina: Laut Literatur gibt es verschiedene Faktoren, die das Auftreten unmoralischen Verhaltens begünstigen beziehungsweise verhindern. Eine wichtige Rolle spielt die persönliche Einstellung der Akteure gegenüber der betreffenden Verhaltensform. Ich habe ja schon erzählt, dass viele Teilnehmer meiner Studie es als nicht so schlimm empfunden haben, 20 Minuten pro Woche extra abzurechnen. Solche Leute neigen meist auch eher dazu, diese Verhaltensweise an den Tag zu legen. Jedoch ist dies nur eine Komponente. Der empirische Teil meiner Arbeit bestand ja hauptsächlich darin, Faktoren die zu unmoralischem Verhalten führen „ausfindig“ zu machen.

UNI.DE: Liegt es also nur an meiner persönlichen Einschätzung, ob ich mich falsch verhalte?

Carolina: Nein. Auch soziale Normen haben einen Einfluss auf mein Verhalten. Wobei sich die – genau wie meine persönlichen Einstellungen – natürlich über die Zeit ändern können. Außerdem ist es von Bedeutung, inwiefern mein Verhalten am Arbeitsplatz kontrolliert wird. Kurz gesagt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich im Falle eines Fehlverhaltens erwischt und bestraft werde?

UNI.DE: Sind diese Einflussfaktoren für alle Menschen gleich?

Carolina: Die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden hat in der Regel bei allen Arbeitnehmern einen Einfluss darauf, ob unmoralisches Verhalten gezeigt wird oder nicht. Andererseits habe ich in meiner Bachelorarbeit festgestellt, dass sich Männer eher von der finanziellen Rendite des Fehlverhaltens beeinflussen lassen. Frauen hingegen entwickeln schneller ein schlechtes Gewissen. Außerdem haben Frauen mehr Angst, durch unmoralisches Verhalten das Verhältnis zu Kollegen zu gefährden. Mit wachsender Berufserfahrung wird man übrigens zunehmend vernünftiger.

UNI.DE: Würdest du selbst 20 Minuten pro Woche extra abrechnen?

Carolina: Nein, dafür bin ich viel zu vernünftig. Ich weiß ja auch, was das auf lange Sicht kostet. Aber ich sehe viele, die das ganz unbewusst machen: Noch kurz eine rauchen und dann erst abstempeln, was ist schon dabei? Aber Kleinvieh macht eben auch Mist. Man denkt immer, es geht nur um Kleinigkeiten, dabei findet diese Form von Arbeitszeitbetrug jeden Tag in unzähligen Unternehmen statt und führt zu enormen Verlusten.

UNI.DE: Mal ehrlich: Sollte es nicht auch andere Gründe geben, warum man sich moralisch am Arbeitsplatz verhält, als allein der Kostenfaktor?

Carolina: Sollte es bestimmt, gibt es ja auch. Gerade heutzutage werden Unternehmen von der Gesellschaft immer stärker zu moralischem Handeln aufgefordert. Und aus Arbeitnehmersicht geht es im Großen und Ganzen auch um ein allgemeines moralisches Grundverständnis. Das muss aber natürlich schon vor dem Eintritt ins Arbeitsleben geschaffen werden, eigentlich schon in der Kindheit.

UNI.DE: Und von Seiten der Unternehmen?

Carolina: Für die ist und bleibt der Kostenfaktor schon wesentlich. Mitarbeiterbindung, eine gute Reputation, Kundenbindung – das alles sind Ziele, die mit moralischem Verhalten angestrebt werden, letzten Endes dienen sie aber auch wieder der Wirtschaftlichkeit. Und die interessiert ihrerseits natürlich auch wieder den Arbeitnehmer.

UNI.DE: Vielen Dank für dieses Gespräch.