VON CLEMENS POKORNY | 24.08.2014 19:00

Wenn Tiere sprechen könnten...

Tiere können nicht sprechen – oder doch? Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, wie „Sprache“ definiert wird. Je besser tierische Kommunikation erforscht wird, desto mehr spricht dafür, dass sich die menschliche Sprache von denjenigen der Tiere nicht kategorial unterscheidet, sondern allenfalls die ausgereifteste Form lautlicher Mitteilungsfähigkeit darstellt. Und auf vielen anderen Kommunikationskanälen sind uns Tiere weit überlegen.

„Oft schon hab' ich gehört, der Mensch sei der Klügste und sei so klug, weil er selbstständig denken könne. Doch damit längst nicht genug: Habe er noch die Sprache, nicht allein zum Versteh'n; Sprache könne man schreiben, menschlicher Geist würd' so nie vergeh'n.“ 1983 besang Knut Kiesewetter den vielleicht größten Unterschied zwischen Tieren und Menschen. Doch können Tiere nicht auch sprechen – auf ihre Weise? Und wenn ja: Wie machen sie das – und warum?

Dass auch andere Lebewesen als der Mensch kommunizieren, steht außer Frage. Vögel singen, um ihre Reviere abzugrenzen. Hunde bellen und Katzen fauchen, um sich oder ihre Jungen zu verteidigen und auf Abstand zu gehen. Männliche Glühwürmchen leuchten, um ein Weibchen zu finden; und Spinnenmännchen spielen Harfe mit dem Netz der Angebeteten, um sich ihr gefahrlos nähern zu können. Das Schnurren von Katzen dient dem sozialen Austausch, und Bienen zeigen einander mit dem Schwänzeltanz, wo sie gute Futtergründe entdeckt haben. Tiere nutzen ihre vielfältigen Mittel zur Kommunikation also mitnichten bloß zum Ausdruck von Gefühlen, wie noch 1930 ein Biologe behauptete.

Die Intelligenz unseres Fleisches oder:

Doch wann wird Kommunikation zur Sprache? Wenn man wie Kiesewetter Schreibbarkeit zur Bedingung macht, können auch Tiere sprechen – jedenfalls Schimpansen, die uns Menschen hinsichtlich ihrer kommunikativen Fähigkeiten am nächsten stehen. In einem Versuch konnten die Primaten eine Schreibmaschine mit Symbolen bedienen, um Fragen eines Menschen zu beantworten, den sie nicht sahen – und der sie also nicht manipulieren konnte. Schon in den 1960er-Jahren gelang der Nachweis, dass Menschenaffen auch einmal gelernte Wörter sinnvoll miteinander kombinieren können. Schimpansendame Washoe machte mit ihren Betreuern einen Ausflug zu einem See und sah dort erstmals in ihrem Leben einen Schwan. Und diesen Eindruck teilte sie unaufgefordert den Menschen mit, indem sie ihre Gebärden für „Wasser“ und „Vogel“ zusammensetzte: Einen „Wasser-Vogel“ hatte sie gesehen. Washoe kommentierte (nach Aufforderung) auch den Genuss eines ihr bis dato unbekannten Radieschens mit den Gesten für „weinen“, „wehtun“ und „Frucht“. Derart kreativ können auch Papageien mit Sprache umgehen: Graupapagei Alex, dem die Biologin Irene Pepperberg etwa 100 Wörter beigebracht hatte, hatte in den 1970er-Jahren Probleme dabei, eine Nuss unter einer Tasse hervorzuziehen. Daher bat er Pepperberg, indem er bekannte Vokabeln erstmals miteinander verband: „Go pick up cup!“ – „Bitte heb' die Tasse hoch!“

Aber tierische Kommunikation bleibt nicht auf Triebbefriedigung und unmittelbar Vorliegendes beschränkt: Delphine können sich nachweislich über abwesende, ihnen vertraute Artgenossen „unterhalten“, weil sie jedem Tier, mit dem sie sich vertragen, einen eigenen Ruf beilegen, mit dem sie es eindeutig identifizieren. Damit und auch anhand von Forschungen z.B. an Vögeln ist belegt, dass tierische Kommunikation nicht bloß auf angeborenem Instinktverhalten gründet, sondern aktiv erlernt werden kann und muss. Tiere erlernen die Bedeutung neuer Wörter oder Symbole übrigens ähnlich wie Kleinkinder auch durch das Ausschlussprinzip: Der Hund Rico aus Leipzig versteht bereits 300 menschliche Wörter. Wird er mit einem ihm unbekannten Wort aufgefordert, ein Spielzeug zu apportieren, wählt er zielstrebig das einzige aus einem großen Haufen aus, dessen Namen er noch nicht kennt. Stare verstehen Schachtelsätze, können also mehrere syntaktische Ebenen unterscheiden. Und Paviane können Buchstaben, die ja an sich keine Bedeutung transportieren, innerhalb von für sie bedeutungsvollen Wörtern erkennen. Damit haben sie einen, wenn auch rudimentären, Zugang zu der für uns Menschen typischen abstrakten Trennung von Zeichen und Bezeichnetem, der die theoretisch unendliche Kombination von Buchstaben zu Lauten und zu Wörtern ermöglicht.

Was trennt menschliche Sprache dann also eigentlich noch von der tierischen? Bisher ist nicht belegt, ob Tiere sich auch über Vergangenes und Zukünftiges mitteilen können. Wenn nicht, hätten sie als Einzeltiere, anders als Menschen, keine Geschichte. Doch für die Gemeinsamkeiten mit menschlicher Kommunikation gibt es zunehmend mehr Belege, sodass die in der Forschung, vor allem unter Sprachwissenschaftlern, noch immer dominante strikte Unterscheidung von tierischer und menschlicher Kommunikation immer stärker in Frage gestellt werden muss. Vor allem, da Mitteilungen von Tieren sich oftmals auf Ebenen bewegen, wo diese uns Menschen haushoch überlegen sind (Bsp.: Duftmarken von Hunden). Nicht zuletzt benutzen Tiere ihre Sprache nicht, um zu lügen. Überhaupt erscheint tierische Intelligenz, die sich nach menschlichen Maßstäben vor allem in ihrem Kommunikationsverhalten manifestiert, als moralisch besser als die des Menschen. Oder, wie Kiesewetter im zitierten Lied formuliert:„Wenn Menschen klug sind, dann bin ich eben dumm. Denn ich versteh' nie, und ich frag mich, warum: Gift für die Gesundheit? Pelze für den Süden? Mehr Kerker für die Freiheit? Raketen für den Frieden?“