VON LISI WASMER | 29.08.2014 19:51

Von Yolo bis Wallah – von Jugendsprache bis Ethnolekt

Im jugendlichen Bestreben nach der Herausbildung einer eigenen Identität suchen junge Erwachsene nach Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten zu solidarisieren, während gleichzeitig eine größtmögliche Abgrenzung zu allen anderen gesucht wird – häufig und gerade über die Sprache. Seit einigen Jahren beschäftigt nun das Phänomen des sogenannten „Ghettodeutsch“ die Linguisten: Keine reine Jugendsprache, sondern ein Ethnolekt, der sich nicht zuletzt durch die Einstreuung fremdsprachlicher Begriffe auszeichnet. Eine neue, bemerkenswerte Sprachvarietät, sagen die einen. Der Verfall der deutschen Sprache, meinen andere.


Im Grunde ist es nichts Neues: Erwachsene, die sich darüber aufregen, wie die Jugend von heute mit der deutschen Sprache umgeht. Das mag daran liegen, dass früher alles besser war, auch wenn niemand so genau weiß, wann dieses „früher“ eigentlich genau gewesen sein soll. Oder daran, dass viele Erwachsene im Zuge des Alterns schlicht vergessen, wie das gleich nochmal war, dieses Leben vor der Midlife-Crisis, als ein Morgen nach vier Maß Bier am Abend zuvor noch ausgezeichnet zu meistern war und „Schnodderdeutsch“ ein zulässiges Mittel zur Einschaltquotenoptimierung war.

Jung, ledig, arbeitslos

Diese Erwachsenen sind es auch, die denken, sie wüssten wer der Babo ist, obwohl sie immer noch meinen, Yolo wäre ein Kinderspielzeug aus leicht verschluckbaren Einzelteilen. Es sind Menschen, die sich darüber aufregen, dass Kinder „geil“ sagen und „krass“, weil sie vergessen haben das „dufte“ Fernsehsendungen und eine „Affenhitze“ ihren Eltern damals ebenso aufstießen.

Man darf es ihnen nicht übel nehmen. Erstens, weil man mit Mitte zwanzig auch selbst nicht mehr so tief in der Unsterblichkeits-Arroganz junger Menschen verhaftet ist, als dass man nicht zugeben müsste: Vermutlich werde ich auch mal so; und zweitens, sie damit genau die Rolle übernehmen, die ihnen im Rahmen der pubertätsgeleiteten Identitätsentwicklung der Jugendlichen eben zukommt: die der anderen. Derer, die nichts verstehen.

Sag mir wie Du redest und ich sage Dir, wer Du bist. Alter.

Denn eben das, die Suche nach einer Identität, ist ein zentrales Motiv in der Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Und diese Identität lässt sich auch ex negativo definieren, indem man zunächst klar macht, wer, was und wie man nicht sein will. Man steckt sich einen Rahmen, zieht eine Linie – aber nicht um sich herum, weil man die Kontur noch gar nicht kennt, die von dieser Linie nachgezeichnet werden soll. Stattdessen zieht man sie zwischen sich und anderen; anderen Gruppierungen, anderen Subkulturen, anderen Altersgruppen.

Das ist eine wichtige Funktion der sogenannten Jugendsprache, die sich vor allem durch die Verwendung von Begriffen auszeichnet, die von Erwachsenen nicht oder anders gebraucht werden. Wortneuschöpfungen wie etwa das viel besprochene Akronym „Yolo“ gehören ebenso zur Jugendsprache wie ganze Satz-Ausdrücke (eine unterhaltsame Zusammenstellung dokumentiert die Langenscheidt-Initiative „Jugendwort des Jahres“).

Linguistische Höhen und Abgründe

Dem Argument der Identitätsstiftung wird gerne die Sorge vor dem Verfall der deutschen Kultur im Zuge eines Untergangs der Hochsprache entgegengestellt. Erneuten Aufwind bekam dieser Kulturpessimismus vor dem Hintergrund des sich immer weiter verbreitenden „Ghettodeutsch“: einer neuen Form der Jugendsprache mit eigener (wenn auch im Vergleich zum Hochdeutschen stark vereinfachten) Grammatik, an der sich Sowohl die Sprachwissenschaft als auch die Medien schon seit einigen Jahren die Hörner abstoßen: Das bekannte Komikerduo „Erkan und Stefan“ starteten bereits in den 1990er Jahren, also lange vor ihrem Auftritt auf der Kinoleinwand Anfang 2000, ihre Karriere im Hörfunkprogramm des Senders „Energy München“. 1995 prägte der Schriftsteller und Künstler Feridun Zaimoglu den Begriff „Kanak Sprak“ in seinem gleichnamigen Buch. Tanja Bücker von der Universität Münster schrieb 2007 über „Ethnolektale Varietäten des Deutschen im Sprachgebrauch Jugendlicher“, im selben Jahr erscheint Donja Amirpurs Beitrag zu „Sprachvariationen in deutschen Ghettos“ im Migrationspolitischen Portal „Heimatkunde“ der Heinrich Böll Stiftung.

Und jetzt? Jetzt hat sich Burkhard Strassmann von „Zeit Online“ mit der Soziolinguistin Diana Marossek über ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Gehst Du Bahnhof oder bist du mit Auto?“ unterhalten. Was daran noch interessant ist, wenn man es schon vor sieben Jahren leid war, über die Sprachverrenkungen der Jugend (sei es nun mit oder ohne Migrationshintergrund) beharrlich den Kopf zu schütteln? Vielleicht, dass es Berlinern im Allgemeinen aufgrund regionaler Sprachgewohnheiten in der Regel nicht besonders schwer fällt, Ghettodeutsch zu adaptieren. Einen weitaus geringeren Neuheitenwert hat hingegen die Beobachtung, dass kein Erwachsener authentisch Ghettodeutsch sprechen kann – wäre dem nicht so, bräuchte man eine neue Jugendsprache, man bedenke die anfangs angesprochene Abgrenzungsfunktion.

Interessanter ist der Perspektivenwechsel, den ein Blick über die deutschen Landesgrenzen hinaus nahelegt. Denn nicht nur Deutschland hat Jugendsprache und nicht nur in Deutschland gibt es den Ghettoslang. Abgesehen von den USA tut sich vor allem Frankreich hervor: Fredy Gsteiger hat sich bereits 1996 für die „Zeit“ mit der französischen Jugendsprache beschäftigt. Ein Artikel auf „Spiegel Online“ von 2005 rückt das Streben nach Abgrenzung in ein neueres Licht: Nach der auferlegten Ausgrenzung aus der die nationale Hochsprache sprechenden Gesellschaft führt die Abgrenzung durch eine Ghettosprache zu einer ganz neuen Ausgrenzung, dieses Mal gewissermaßen selbst gewählt, allerdings mit nicht geringfügigeren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Denn auch wenn Jugendsprache sinnvoll und wichtig ist – sie ist kein vollwertiger Ersatz; nicht für Französisch und nicht für Deutsch. Oder anders gesagt: Wer nach dem Schulabschluss erst einmal einen Sprachkurs braucht, geht später auch nicht Arbeit.