VON LISI WASMER
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01.08.2014 00:07
Sprache und Mentalität – Charakter wie er im Buche steht?
Die Bayern sind grantig, die Hamburger gelassen, in Italien geht es emotional zu, in Finnland eher distanziert – Vorurteile über die vorherrschende Mentalität in verschiedenen Ländern oder sogar Regionen gibt es zuhauf. Auffällig ist dabei, dass die wahrgenommenen Unterschiede meist auch mit der Verschiedenheit der Sprache einhergehen: Wie und was wir sprechen scheint viel über unseren Charakter oder unsere Lebenseinstellung zu verraten. Aber wie gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Sprache und Mentalität tatsächlich? Gibt es ein Abhängigkeitsverhältnis? Und wie sieht es mit der Kausalrichtung aus?
Das Sprachvermögen ist für die meisten Menschen so alltäglich, dass sie vielleicht ein ganzes Leben zubringen, ohne auch nur einmal darüber nachgedacht zu haben, was es eigentlich bedeutet, eine Sprache zu haben. Was es bedeutet, gerade diese ihre Muttersprache zu haben und nicht eine andere. Bedeutet es denn überhaupt etwas? Die Augen sind das Spiegelbild der Seele, sagt man. Kann Gleiches auch von der Sprache behauptet werden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen unserer Sprache und unserer Mentalität? Und wie sieht so ein Zusammenhang aus?
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Annäherung über die Wissenschaft
Natürlich muss man sich fragen: Was bedeutet Mentalität hier eigentlich? Ist sie eine Lebenseinstellung? Ein bestimmter Charakter? Kann sie tatsächlich allgemein für ganze Sprachräume definiert werden? Weniger kompliziert scheint deshalb zunächst die Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Kognition im Allgemeinen. Die Theorie, dass unsere Muttersprache einen starken Einfluss auf unser Denken ausübt, beziehungsweise darauf, wie wir die Welt wahrnehmen, ist nicht neu. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts vertraten namhafte Wissenschaftler wie Johann Gottfried Herder oder Wilhelm von Humboldt diese Ansicht. Zu neuem Ruhm gelangte das „sprachliche Relativitätsprinzip die Linguisten Edward Sapir und Benjamin Whorf, mehr als hundert Jahre später.
Ihre Hypothese stützt sich auf den
Befund, dass in verschiedenen Kulturen etwa verschieden viele Worte für unterschiedliche Farbtöne existieren, was wiederum einen direkten Einfluss darauf habe, wie differenziert Farben wahrgenommen werden. Man könnte sagen: Eine Sprache, in der es mehr Worte für verschiedene Farbtöne gibt, kann die Wirklichkeit genauer und detaillierter beschreiben als eine Sprache, in der das nicht der Fall ist. Je nachdem, welchen „Auflösungsgrad“ meine Sprache zulässt, kann ich die Welt fein- oder grobkörniger wahrnehmen. Dies lässt sich auch auf die Konzepte von Raum und Zeit übertragen, wie die Kognitionswissenschaftlerin Lera Boroditsky von der Stanford Universität in Kalifornien in einem
Artikel für das „Spektrum“ Magazin beschreibt.
Sprache und Wirklichkeit
Bleibt die Frage: Inwiefern ist das auf die Mentalität von Menschen mit verschiedenem Sprachhintergrund übertragbar? Finde ich typische Eigenschaften meiner Sprache, beispielsweise die oft zitierte (beamten-)deutsche Sachlichkeit auch in meinem Wesen wieder? Hat die Struktur meiner Muttersprache einen Einfluss darauf, welche Lebenseinstellung, ja, vielleicht sogar welchen Charakter ich entwickle?
Interessant ist auf jeden Fall, dass die in der Alltagserfahrung beobachteten Mentalitätsunterschiede (abgesehen davon, inwiefern diese wahrhaftig bestehen) tatsächlich immer anhand von Sprachräumen verortet werden. Der feurige Italiener unterscheidet sich maßgeblich vom humorlosen Deutschen, der entspannte Hamburger vom stets grantigen Bayern – Sprachunterschiede sind offensichtlich und werden hier deshalb leicht als Differenzierungsmerkmal herangezogen. Andererseits darf natürlich nicht vergessen werden, dass sich die Länder und Regionen auch hinsichtlich zahlreicher anderer Faktoren unterscheiden lassen: das Klima, die Politik und die Geschichte sind nur drei Bereiche, die für einzelne Bevölkerungsgruppen häufig sogar stark verschieden ausfallen. Den Einfluss solcher Faktoren auszuklammern, wäre wohl eine allzu grobe Sicht auf die Dinge.
Der geheimnisvolle Dritte
Es ist nicht eindeutig klar: Unterscheiden wir uns hinsichtlich unserer Mentalität und unserer Sprache? Unterschieden wir uns hinsichtlich unserer Mentalität aufgrund unserer Sprache? Oder gibt es in Wirklichkeit überhaupt keine nennenswerten Unterschiede hinsichtlich unserer Mentalität?
Tatsächlich scheint sehr wohl ein Zusammenhang zwischen unserer Sprache und unserer Mentalität oder unserem Weltbild zu bestehen, wie es ja auch die Befunde zur Abhängigkeit unserer Kognition von unserer Sprache implizieren. „In jeder Sprache ist das Weltbild der Gesellschaft eingeprägt, in die man hineingeboren wurde“, sagt Sprachwissenschaftler Harald Haarmann im „Fluter“-
Interview. Auch das Erlernen einer anderen Sprache bedeute deshalb noch nicht, dass ich diese Sprache auch tatsächlich so spreche, wie es ein Muttersprachler tut – und beherrsche man sie auch noch so gut: „Die Grenzen bestehen aus Traditionen und Gewohnheiten.“
Unsere Sprache scheint also durchaus einen enormen Einfluss darauf zu nehmen, welche grundlegende Lebenshaltung wir an den Tag legen – allerdings nicht zuletzt deshalb, weil auch unsere Sprache unter dem Einfluss einer dritten Komponente, dem Einfluss unserer Lebensweise beziehungsweise unserer Umgebung steht. Der vermutete Zusammenhang stellt sich also gewissermaßen als wechselseitige Dreiecksbeziehung zwischen Mentalität, Umgebung und Sprache dar. So scheint es.