VON MAXIMILIAN REICHLIN | 01.08.2014 00:02

Von Sprachwandel und Wortschwund

Die Sprache als einzigartiges menschliches Konstrukt der Kommunikation ist ein faszinierendes Feld. Nicht nur die Entwicklung der Sprache an sich, sondern auch die Entwicklung der einzelnen heute gesprochenen Sprachsysteme beschäftigt die Wissenschaft, vor allem die Linguistik. Interessant für diesen Wissenschaftszweig sind die Fragen „Wie entwickelte sich die menschliche Sprache im Allgemeinen?“ und „Wie kam die heute existierende Sprachvielfalt zu Stande?“. UNI.DE versucht, die erstaunliche Geschichte des gesprochenen Wortes nachzuzeichnen.

Über 6.000 Sprachsysteme existieren heute über den ganzen Erdball verteilt. Nur die wenigsten davon, etwa 50, werden wirklich von vielen Menschen (d.h. mehr als 20 Millionen; Stand: 2005) gesprochen. Neben offensichtlichen „Groß-Sprachen“ wie Mandarin, Englisch oder Spanisch zählen zu dieser Liste auch echte Exoten, wie das chinesische Wu, das auf Java gebräuchliche Javanesisch oder Tamil, die Sprache der Tamilen aus Sri Lanka, von denen jede mehr Sprecher hat, als einige europäische Sprachen, darunter Italienisch und Niederländisch. Andere Sprachen haben oft nicht mehr als 4.000 aktive Sprecher. Diese unglaubliche Sprachvielfalt gilt als ein Glied einer Kette von Entwicklungen und Ereignissen, die heute als „Sprachevolution“ oder „Sprachwandel“ bezeichnet werden.

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Verschiedene Modelle der Linguistik und Soziolinguistik erklären den Sprachwandel als Kennzeichen der Entwicklung von sozialen Systemen. Demnach nimmt jede neue Generation einen Umbau der bestehenden Sprache vor, aber auch der soziale und kulturelle Austausch mit „Nachbarn“ gilt als Antriebskraft des Sprachwandels. Beide Phänomene lassen sich auch heute noch erkennen. Die deutsche Sprache entwickelt sich etwa durch die Übernahme von Worten aus dem „Business-English“ oder, auf einer anderen sozialen Stufe, aus Sprachen und Jargons von Migranten. Andererseits trägt auch die deutsche Jugend zum Sprachwandel bei, indem veraltete Worte wie „dufte“ oder „knorke“ in der Umgangssprache durch „cool“ und „geil“ ersetzt werden.

Interessant ist, dass vor allem Sprachen mit vielen Sprechern dem Sprachwandel ausgesetzt sind. Sprachen, die nur wenige Sprecher haben, entwickeln sich weniger schnell und leiden an weniger „Wortschwund“, während größere Sprachen von jedem einzelnen Sprecher und vor allem von jeder neuen kulturellen Gruppe, die das Sprachsystem übernimmt, mitgestaltet werden. Im Deutschen erkennt man das an einer Vereinfachung der Grammatik. So findet der eigentlich korrekte Genitiv in der gesprochenen Sprache kaum mehr Verwendung („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) und auch Flexionsendungen werden oft zugunsten der Einfachheit verändert. So geschieht es aktuell zum Beispiel mit Worten wie „ficht“ und „focht“, die in „fechtet“ und „fechtete“ umgestaltet werden. Ähnliches geschah wohl mit den „ursprünglichen“ Sprachsystem unserer Vorfahren, deren Entwicklung zum heutigen Stand des Sprachwandels führten.

Soviel zum Sprachwandel. Woher die menschliche Sprache allerdings stammt, lässt sich weniger genau definieren. Schätzungen zufolge sind Linguisten heutzutage in der Lage, lediglich 5% der menschlichen Sprachentwicklungen exakt zurück verfolgen zu können, die restlichen 95% können nur theoretisch konstruiert werden. Möglich wäre zum Beispiel, dass bereits Hominiden vor 1 Millionen bis 6 Millionen Jahren eine Art Gebärdensprache entwickelt haben, da der Mensch um diese Zeit begann, aufrecht zu gehen und seine Hände daher neuen Aufgaben widmen konnte. Spätestens vor 100.000 Jahren jedoch muss es, so Forscher, zur Entwicklung erster gesprochener Sprachen gekommen sein. Afrikanische Khosain-Sprachen, erkennbar an den charakteristischen Schnalz- und Klicklauten, dürften dabei die Sprachen mit dem ältesten Ursprung sein. Auswanderungswellen vor etwa 50.000 Jahren und die Errichtung erster Hochkulturen vor ca. 10.000 Jahren trugen dann weiter zur Entwicklung und zum Sprachwandel bei.