VON CLEMENS POKORNY
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13.08.2014 13:51
Ventriloquisten: Die mit dem Bauch reden
Bauchreden hat spätestens mit den Fernsehauftritten von Sascha Grammel sein verstaubtes Image abgelegt. Doch der Berliner steht in einer jahrtausendelangen Tradition. Vor 100 Jahren unterhielten Bauchredner die Menschen in zahllosen Varietés in der ganzen Welt und verdienten damit ihr Geld. Denn auch wenn sie natürlich nicht mit dem Bauch sprechen, so erfordert ihre Kunst doch ein erhebliches Maß an verschiedenen Talenten – und ganz viel Übung.
Zum Sprechen braucht man Kehlkopf, Stimmritze und Mund – oder? In der Antike und im Mittelalter hielten abergläubische Menschen Bauchredner tatsächlich für von Dämonen besessen. Griechische Priester machten sich mit Bauchreden die Unwissenheit der Menschen zunutze, um den Eindruck zu erwecken, dass Statuen oder Tote zu den Menschen sprächen. Doch spätestens in der Neuzeit konnten sich die Ventriloquisten (von Lateinisch venter „der Bauch“ und loqui „reden“) als Bühnenkünstler durchsetzen. Ihre Blüte wie auch diejenige der Zauber- und Entfesselungskünstler fiel mit der Hochzeit der Varietés im Fin de Siècle zusammen. Als die Varietés nach dem Ende der Golden Zwanziger Jahre mehr und mehr verschwanden, begannen schlechte Zeiten für alle Kleinkünstler. Lange Zeit galt Bauchreden dann als verstaubtes Relikt aus lange vergangenen Zeiten. Das lag sicherlich auch daran, dass sich zur Zeit des aufstrebenden Mediums Fernsehen kaum ein talentierter Künstler dafür interessierte, das Bauchreden zu modernisieren. Noch „Bauchreden – spielend lernen“, eine Anleitung für Autodidakten von 1997, schlägt für den Text Kalauer vor, wie sie seit langer Zeit für Bauchrednervorführungen typisch sind (Bsp.: „Sind Bienen Insekten?“ – „Also, in der Kirche hab' ich sie noch nicht gesehen...“).
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Manche Bauchredner arbeiten noch heute mit solchen zeitlosen Scherzen. Über die Aneinanderreihung von Witzen weisen dagegen die gefeierten Film- und Fernsehprogramme des jungen Berliners
Sascha Grammel hinaus, der seine Kunst denn auch nicht „Bauchreden“, sondern neudeutsch „Puppet Comedy“ nennt. Seine Texte und Themen orientieren sich ebenso an der heutigen Lebenswelt wie seine Puppen – etwa eine als Geldautomat arbeitende Schildkröte oder ein Vogel mit gefärbten Kopffedern. Nicht zuletzt Grammels Popularität lässt in den letzten Jahren die Nachfrage nach
Kursen für angehende Bauchredner steigen.
Denn
Bauchreden will gelernt sein. Dafür gibt es nicht eine einzige richtige Technik. Gemeinsam ist allen Methoden aber, dass der Mund des Ventriloquisten ein bisschen geöffnet sein muss – denn natürlich spricht auch er mit den gleichen Organen wie jeder andere Mensch. Eine leichte Zwerchfellspannung, derer sich auch Sänger oder Blasmusiker bedienen, unterstützt seine Stimme.
Die meisten Laute kann man ohne Lippenbewegung bilden, dennoch kostet es viel mühevolle Übung, sich die normalen Bewegungen von Kiefer und Lippen beim Sprechen abzutrainieren. Und einige Buchstaben wie B, P, F und V sowie M lassen sich ohne Lippenbewegung zunächst gar nicht sprechen, wie jeder merkt, der es einmal ausprobiert.
Sascha Grammel empfiehlt, die Bildung dieser Laute mit der Zunge bzw. den Schneidezähnen zu unterstützen, sodass diese die Rolle der Lippen übernehmen. Doch im Selbstversuch stellt sich heraus: Das klappt nicht sofort, sondern bedarf vieler Übung, z.B. mit Sätzen wie „Bürsten mit Biberborsten bürsten besonders gut.“ Für den Anfang reicht es, statt „b“ ein „d“ oder „w“ zu sprechen oder statt „m“ ein „n“.
Bei Perry Paul wird der bayerische Kultusminister Spaenle so zum „Staenle“. Das mag nicht jedem auffallen, ist aber nicht ideal.
Hat man das Sprechen ohne Lippenbewegung erst einmal gelernt, will die Puppe gebaut sein: Mit einem großen Kopf, der Bauchredner und Figur „auf Augenhöhe“ bringt, und einem in irgendeiner Hinsicht attraktiven Äußeren, das die Blicke der Zuschauer vom Spieler (und seinen Lippen) ablenkt. Wenn ein Ventriloquist sich mit seiner Puppe unterhält, wendet er sich zudem in aller Regel der Puppe zu, sodass das Publikum ihn nur im Profil sieht – und damit noch weniger auf seine Lippen achtet bzw. achten kann. Nun braucht die Puppe noch eine Stimme, die sich möglichst stark von derjenigen ihres Spielers unterscheidet – Vorsicht, Männer: Mit Kopfstimme zu sprechen ist auf die Dauer extrem belastend!
Die meiste Aufmerksamkeit muss der Bühnenkünstler in spe allerdings dem Text widmen. Er sollte natürlich möglichst wenige der problematischen Lippenlaute enthalten. Die Witze übernimmt die Puppe, sie ist der Mittelpunkt der Vorführung – alles andere wirkte nur selbstgefällig.
Um mit dem „Bauch“ zu reden, bedarf es also vieler Talente auf einmal: Man muss seine Stimme gut und im schnellen Wechsel verstellen und zündende Texte verfassen können, handwerklich-künstlerisches Geschick besitzen und mit viel Geduld und Übung die individuelle Sprechtechnik erlernen. Wer mit dem Bauchreden anfangen will, muss sich aber gar nicht vornehmen, innerhalb von wenigen Jahren oder gar Monaten seinen Lebensunterhalt damit bestreiten zu können. Wie schön wäre es alleine schon, auf Partys oder in sozialen Berufen andere Menschen zum Lachen zu bringen!