VON JANA NOSSIN | 26.10.2016 14:29

Was uns antreibt und warum wir ein Wir-Gefühl brauchen

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Bereits mit unserer Geburt werden wir Teil einer Gemeinschaft, die uns aufnimmt, umsorgt und prägt. Wir adaptieren die in der Gruppe geltenden Normen, Werte und Ziele und passen uns in unserer Rolle – in der Regel meist automatisch und unbewusst - dem Kollektiv an. Im Laufe der Zeit werden wir Mitglied vieler Gemeinschaften. Wir gehen Beziehungen ein, gründen eine Familie, treten Sportgruppen, Vereinen oder Parteien bei und sind als Mitarbeiter Teil eines Unternehmens. Dabei fühlen wir uns immer dann einer Gemeinschaft besonders zugehörig und verbunden, wenn wir ein Wir-Gefühl empfinden. Was in der Soziologie auch als „Kohäsion“ bezeichnet wird, beschreibt letztendlich nicht nur die Bindungen der einzelnen Mitglieder einer Gruppe untereinander, sondern auch den Zusammenhalt eines Teams.


Egoismus oder Gemeinschaftssinn?

Auch wenn gesellschaftlich hier und da immer mal wieder von einer Ich-Mentalität die Rede sein mag, sind Menschen im Großen und Ganzen doch eher Gemeinschaftswesen als Egoisten. Wir wollen akzeptiert werden, suchen die Anerkennung unserer Mitmenschen, streben nach Wertschätzung und wollen in unseren Gemeinschaften geachtet werden. Und das ist nicht nur unser Naturell, sondern auch unser eigentlicher Motivationsantrieb. Heißt das, Darwins Prinzip der Unmenschlichkeit „War of Nature“ ist überholt? Ja, sagt die Wissenschaft (wobei sie Darwins Abstammungslehre und die Entwicklung der Arten wohlbemerkt nicht in Frage stellt). Doch neueste neurobiologische Studien verweisen auf die Erkenntnis, dass wir in unserer Gesamt-Motivation eben nicht von Konkurrenzdenken, sondern von Kooperation antrieben werden. Verantwortlich hierfür sind – zumindest aus neurobiologischer Sicht - die sogenannten Dopamin-, Oxytocin- und Opioide-Nervenachsen im Gehirn. Diese kooperieren miteinander und sorgen - durch Ausschüttung ihrer Botenstoffe in unseren Emotionszentren - bei uns für Motivation, Konzentration und Vertrauensbildung. Anders gesagt: „Nichts aktiviert die Motivationssysteme so sehr, wie der Wunsch, von anderen gesehen zu werden, die Aussicht auf soziale Anerkennung, das Erleben positiver Zuwendung und – erst Recht – die Erfahrung von Liebe.“, so Joachim Bauer, Neurobiologe aus Freiburg, in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“.

Ergo: Für gut funktionierende Beziehungen und nachhaltige Gemeinschaften brauchen wir ein Wir-Gefühl. Ein authentisches WIR kann man spüren, sogar von außen. So schießen wir uns automatisch gerne Kollektiven an, die ein Wir-Gefühl vermitteln, denn wir wollen dazugehören. Der neue Job, der vielleicht gar nicht so gut bezahlt ist, aber ein tolles Arbeitsklima verspricht, wird vermutlich vorrangiger angenommen, als eine gleichartige, aber lukrativere Stelle, die bereits im Vorfeld ein schlechtes Arbeitsklima vermuten lässt (was im Übrigen die noch immer verbreitete und gelehrte Theorie des Homo Oeconomicus grundsätzlich – und auch an dieser Stelle – wieder in Frage stellt). Und letztendlich spielen wir nicht nur deshalb gerne Fußball, Volleyball und andere Team-Sportarten, weil wir uns gerne bewegen, sondern weil uns der Sport in der Gemeinschaft in erster Linie auch Teamgeist und damit unbewusst Zusammenhalt, Zugehörigkeit, Anerkennung und Akzeptanz verspricht.

Wie entsteht ein Gemeinschaftsgefühl?

Eine Kohäsion kann automatisch entstehen, wenn sich die Individuen mit gleichen Inhalten oder Zielen identifizieren. Das ist aber nicht immer der Fall. Je größer die Unterschiede in der Gruppe oder Gemeinschaft, desto schwieriger ist es, ein Wir-Gefühl zu erschaffen. Auch die Teamgröße und ungleiche Aufgaben- bzw. Verantwortlichkeitsbereiche der Gruppenmitglieder, können letztendlich für unterschiedliche Ausprägungen einer Kohäsion verantwortlich sein. So kann man nicht selten beobachten, dass sich in Kantinen eben genau die Mitarbeiter beim Mittagessen zusammengesellen, die auch auf gleicher Hierarchieebene arbeiten oder ähnlichen Arbeitsaufgaben nachgehen.

Man nehme: Zutaten für einen guten Team-Cocktail

Doch wie kann nun aus einem Haufen Individualisten und ja, manchmal sogar Egoisten, ein kohärentes Team werden? Die Zutaten für einen guten Team-Cocktail sind – je nach Mitgliedern und Gemeinschaft – natürlich immer ein wenig individuell, aber grundsätzlich ähnlich. Zur Förderung des WIR-Gefühls benötigt man in einer Ehe sicherlich keine Corporate Identity, in einem Unternehmen jedoch schon, denn das Ziel sollte doch in jedem Fall allen bekannt sein. Oder anders gesagt - vielleicht mit den Worten von Michel de Montaigne - „Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will.“ Eine gemeinsame Blickrichtung ist also wichtig, um nicht zu sagen unerlässlich, für ein gut funktionierendes Team.

Motivation ist ein weiterer Bestandteil für den Aufbau des Wir-Gefühls. Unternehmen haben längst begriffen, dass ausschließlich finanzielle Anreize nicht ausreichen, um Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Anerkennung, Respekt, Transparenz und Ehrlichkeit und allem voran natürlich Vertrauen, tragen positiv und beflügelnd zu jeder Beziehung bei und tun letztendlich ein Übriges, um Menschen für die Erreichung des gemeinsamen Zwecks zu motivieren, was wiederum zu einem guten Wir-Gefühl beiträgt.

Des Weiteren braucht man für ein kohärentes Team in der Regel klare Aufgaben- und Rollenverteilungen. Hierbei sollte möglichst jedes Teammitglied entsprechend persönlicher Stärken und Fähigkeiten eingesetzt werden. Auch Führung und Leitung (Management), wohlgemerkt durch eine fähige Person, sind – je nach Gruppe und Gruppenzusammensetzung in individuellem Maße – notwendig, um das Team erfolgreich zu koordinieren und eine Kohäsion zu erzeugen.

Konflikt mal positive Kommunikation gleich Wachstum

Wo Menschen zusammen arbeiten, leben, etwas bewegen wollen, ist Kommunikation natürlich immer unerlässlich. Diese sollte klar, transparent und respektvoll sein. Hierzu gehört zum Beispiel auch, andere Meinungen zuzulassen, zuzuhören sowie die eigene Sichtweise auch selbst einmal kritisch zu hinterfragen.

Konflikte sind übrigens ganz normal, stellen aber meist auch eine Herausforderung für alle Beteiligten dar. Und auch die Gruppenmotivation und Kohäsion können von Konflikten stark beeinflusst werden. Letztendlich geben Konflikte jedoch auch immer die Möglichkeit, persönlich und als Team zu wachsen und die Gruppe – durch erfolgreiche Bewältigung der Konflikte – zu stärken.

Egoismus oder Gemeinschaftssinn

Konflikte werden grundsätzlich gelöst, indem man sie austrägt. Jedoch nicht nur irgendwie, sondern fair, respektvoll und ohne persönliche Angriffe. Oftmals sind Kompromisse nötig, um Konflikte zu lösen. Und auch Entschuldigungen können – sofern authentisch und aufrichtig – ein wahres Zaubermittel für unsere sozialen Beziehungen sein. Übrigens, entgegen unserer gängigen Denkweise und Prägung, sind Entschuldigungen absolut kein Zeichen von Schwäche, sondern zeugen vielmehr von Charakterstärke und Größe einer Person. Eine aufrichtige und konkrete intrinsische Entschuldigung ist in der Lage, die Beziehungsebene zu stärken und Konflikte zu lösen.

Und das Fazit?

Nicht erst seit Robinson Crusoe können wir bereits erahnen, dass wir alleine eben auch nicht glücklich sein können. Wir brauchen die Gemeinschaft. Nach der Selbstbestimmungstheorie der Psychologen Deci und Ryan gehört diese Notwendigkeit sogar zu unseren Grundbedürfnissen. Soziale Beziehungen sind für uns also absolut essenziell. Ob in Familien, Nachbarschaften, Vereinen oder im Berufsleben. Gemeinschaften tragen nicht nur zu einem positiven Lebensgefühl und zu einem erfüllten Dasein bei, sie sorgen letztendlich auch dafür, dass wir uns als Individuum weiter entwickeln können.

Liebe Egoisten und Individualisten: Vielleicht ist ein Leben ohne Gemeinschaft ja sogar möglich, aber es scheint nicht wirklich lohnenswert zu sein.