VON MAXIMILIAN REICHLIN | 10.10.2016 13:43

Seid egoistisch! – Der Artikel, der keine Kompromisse machen will

Kompromisse sind eine unverzichtbare Grundlage des sozialen Lebens. Sie führen dazu, dass wir faire und gleichberechtigte Beziehungen führen, uns in einem Team gut verstehen und als Gesellschaft friedlich miteinander leben können. Aber Kompromisse sind nicht immer gut, zumal wenn wir es damit übertreiben. Denn wenn wir uns immer in der Mitte treffen, rühren wir uns irgendwann nicht mehr vom Fleck. Und wenn wir nicht mehr bereit sind, für unsere Überzeugungen einen Streit zu riskieren, überlassen wir denen das Feld, die es sind. Daher sage ich: Nieder mit der weichgespülten Kuschelkultur. Seid doch mal wieder ein klein wenig egoistisch!


Kompromisse sind wichtig. Das ist eine alte Wahrheit, und genau so ausgelutscht ist sie auch. Ich behaupte, es gibt keinen Beziehungsratgeber der Welt, in dem nicht auf der allerersten Seite stehen würde, wie wichtig doch Kompromisse sind. Nun, das mag stimmen. Aber weder ist diese Erkenntnis in irgendeiner Weise originell, noch ist sie immer zielführend. Da lobe ich mir doch den französischen Friedensnobelpreisträger Aristide Briand, der einmal den Mut hatte, eine kleine Wahrheit auszusprechen: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“ Das trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Zumindest in vielen Situationen.

Heavy Metal am Morgen

Natürlich kann man nun argumentieren, dass Kompromissbereitschaft eine wichtige Grundlage für den gegenseitigen friedvollen Umgang miteinander bietet. Oder auch, das aber nur am Rande, für unser demokratisches System. Letztendlich kann ein Kompromiss aber auch etwas Gefährliches sein. Etwas Störendes ist er so gut wie immer. Das beste Beispiel bieten hier wohl mein Mitbewohner und ich. Wir mögen uns, gehen uns aber auch oft genug verbal an die Gurgel. Neulich erst wieder, als er an einem wunderschönen Samstagmorgen beschloss, die Wohnung mit seiner schrecklichen Musik beschallen zu müssen, und mich damit geweckt hat. Wir haben uns dann lange über dieses Thema unterhalten, und uns geeinigt, dass er gerne laut Heavy Metal hören darf, aber eben nicht vor 10 Uhr morgens. Mesdames et Messieurs, ein Kompromiss.

Das Problem an der ganzen Sache ist: Nur, weil seine Anlage aufgrund unserer Abmachung nun zwei Stunden später beginnt zu dröhnen, mag' ich „Slayer“ immer noch nicht. Und mein Zugeständnis wurmt mich nachträglich ein wenig, denn wenn ich das nächste Mal von diesem unartikulierten Gegrunze aus dem Schlaf gerissen werde, wird mein Mitbewohner mir vorhalten können, dass er doch nichts falsch gemacht hat. Immerhin hat er sich an unseren Kompromiss gehalten. Und ich könnte kaum dagegen argumentieren. Ich habe ihm mit diesem Kompromiss das beste Mittel an die Hand gegeben, mich in zukünftigen Disputen auszustechen.

Wo sind die Egoisten hin?

Ich frage mich: Wann haben wir uns eigentlich darauf geeinigt, dass wir uns nicht mehr von Zeit zu Zeit in die Wolle kriegen wollen? Wann haben wir damit begonnen, jede noch so kleine Banalität bis ins kleinste Detail auszudiskutieren, als würde unser Leben davon abhängen, alle Parteien zufrieden zu stellen? Wann haben wir diese weichgespülte Wischi-Waschi-Einstellung entwickelt, die uns dazu drängt, jedem Streit aus dem Weg zu gehen? Jungs und Mädels, Streit ist gut! Streit entsteht da, wo unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander treffen, wo Meinungen diskutiert und gegeneinander ausgespielt werden können. Wo wir zeigen können, wofür wir wirklich stehen, was uns wirklich wichtig ist und wofür wir zu kämpfen bereit sind.

Der traurige Fakt ist: Wenn wir ständig darum bemüht sind, einen guten Kompromiss zu finden, hören wir irgendwann auf, unsere Standpunkte und Überzeugungen zu verteidigen. Nicht umsonst teilen sich der Kompromiss und das kleine Wörtchen „kompromittieren“ den gleichen Wortstamm. Anders ausgedrückt: Wenn der Klügere stets nachgäbe, würde damit die Weltherrschaft der Dummen begründet (Marie von Ebner-Eschenbach). Dann gäben wir dem Recht des Stärkeren den Vorzug, das nicht mehr auf der Macht des besseren Arguments beruht, sondern darauf, wer am lautesten brüllen oder am härtesten zuschlagen kann. Die Welt würde regiert von einem Haufen Donald Trumps, die sich darüber freuen würden, ein paar Idiotinnen und Idioten gefunden zu haben, die alles mit sich machen lassen. Keine schöne Vorstellung!

Akzeptanz vs. Toleranz

Überlasst den Dummen nicht das Feld!

Kurz und knapp: Wenn wir der Meinung sind, dass wir nun einmal Recht haben, sollten wir auch einfach mal wieder ein bisschen auf die Kacke hauen. Klar, das sehen die anderen genau so, die fehlgeleiteten Schreihälse, die Donald Trumps, die Frauke Petrys... Wenn die nicht glauben würden, dass sie etwas richtig machen, hätten sie ja überhaupt nicht so einen großen Wirkungsradius. Aber genau solche Menschen machen es nun einmal wichtig, dass auch wir, die politisch Korrekten, die Stillen, die aufgrund irgendwelcher fadenscheiniger Konventionen niemandem auf die Füße treten wollen, auch mal wieder mitmischen und uns nicht immer auf unbefriedigende Absprachen einlassen.

Sollten wir von Zeit zu Zeit Kompromisse machen? Ja, natürlich. Zumal, wenn es um Nichtigkeiten geht, oder wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die uns wichtig sind. Aber in den sauren Apfel zu beißen sollte nicht heißen müssen, auch den faulen Apfel zu akzeptieren. Egal in welchem Bereich eures Lebens – Job, Beziehung, Wohngemeinschaft oder die Gesellschaft im Allgemeinen: Zofft euch mal wieder ein bisschen. Zieht klare Grenzen für euch selbst: Wann wollt ihr kompromissbereit sein, wann nicht? Welche Meinungen sind euch wichtig genug, um dafür Rabatz zu machen? Und wollt ihr euch wirklich auf Kompromisse einlassen, die dazu führen, dass ihr unzufrieden seid? Während ihr diese Fragen für euch klärt, entschuldigt mich bitte kurz. Da wartet eine Anlage darauf, von mir aus dem Fenster geworfen zu werden.