Kompromisse sind wichtig. Das ist eine alte Wahrheit, und genau so ausgelutscht ist sie auch. Ich behaupte, es gibt keinen Beziehungsratgeber der Welt, in dem nicht auf der allerersten Seite stehen würde, wie wichtig doch Kompromisse sind. Nun, das mag stimmen. Aber weder ist diese Erkenntnis in irgendeiner Weise originell, noch ist sie immer zielführend. Da lobe ich mir doch den französischen Friedensnobelpreisträger Aristide Briand, der einmal den Mut hatte, eine kleine Wahrheit auszusprechen: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“ Das trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Zumindest in vielen Situationen.
Heavy Metal am Morgen
Natürlich kann man nun argumentieren, dass Kompromissbereitschaft eine wichtige Grundlage für den gegenseitigen friedvollen Umgang miteinander bietet. Oder auch, das aber nur am Rande, für unser demokratisches System. Letztendlich kann ein Kompromiss aber auch etwas Gefährliches sein. Etwas Störendes ist er so gut wie immer. Das beste Beispiel bieten hier wohl mein Mitbewohner und ich. Wir mögen uns, gehen uns aber auch oft genug verbal an die Gurgel. Neulich erst wieder, als er an einem wunderschönen Samstagmorgen beschloss, die Wohnung mit seiner schrecklichen Musik beschallen zu müssen, und mich damit geweckt hat. Wir haben uns dann lange über dieses Thema unterhalten, und uns geeinigt, dass er gerne laut Heavy Metal hören darf, aber eben nicht vor 10 Uhr morgens. Mesdames et Messieurs, ein Kompromiss.
Das Problem an der ganzen Sache ist: Nur, weil seine Anlage aufgrund unserer Abmachung nun zwei Stunden später beginnt zu dröhnen, mag' ich „Slayer“ immer noch nicht. Und mein Zugeständnis wurmt mich nachträglich ein wenig, denn wenn ich das nächste Mal von diesem unartikulierten Gegrunze aus dem Schlaf gerissen werde, wird mein Mitbewohner mir vorhalten können, dass er doch nichts falsch gemacht hat. Immerhin hat er sich an unseren Kompromiss gehalten. Und ich könnte kaum dagegen argumentieren. Ich habe ihm mit diesem Kompromiss das beste Mittel an die Hand gegeben, mich in zukünftigen Disputen auszustechen.
Wo sind die Egoisten hin?
Ich frage mich: Wann haben wir uns eigentlich darauf geeinigt, dass wir uns nicht mehr von Zeit zu Zeit in die Wolle kriegen wollen? Wann haben wir damit begonnen, jede noch so kleine Banalität bis ins kleinste Detail auszudiskutieren, als würde unser Leben davon abhängen, alle Parteien zufrieden zu stellen? Wann haben wir diese weichgespülte Wischi-Waschi-Einstellung entwickelt, die uns dazu drängt, jedem Streit aus dem Weg zu gehen? Jungs und Mädels, Streit ist gut! Streit entsteht da, wo unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander treffen, wo Meinungen diskutiert und gegeneinander ausgespielt werden können. Wo wir zeigen können, wofür wir wirklich stehen, was uns wirklich wichtig ist und wofür wir zu kämpfen bereit sind.
Der traurige Fakt ist: Wenn wir ständig darum bemüht sind, einen guten Kompromiss zu finden, hören wir irgendwann auf, unsere Standpunkte und Überzeugungen zu verteidigen. Nicht umsonst teilen sich der Kompromiss und das kleine Wörtchen „kompromittieren“ den gleichen Wortstamm. Anders ausgedrückt: Wenn der Klügere stets nachgäbe, würde damit die Weltherrschaft der Dummen begründet (Marie von Ebner-Eschenbach). Dann gäben wir dem Recht des Stärkeren den Vorzug, das nicht mehr auf der Macht des besseren Arguments beruht, sondern darauf, wer am lautesten brüllen oder am härtesten zuschlagen kann. Die Welt würde regiert von einem Haufen Donald Trumps, die sich darüber freuen würden, ein paar Idiotinnen und Idioten gefunden zu haben, die alles mit sich machen lassen. Keine schöne Vorstellung!