von Janina Totzauer
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27.11.2017 16:21
Eine gesunde Beziehung: Ein Punkteplan zum Glück?
Freiheit, Toleranz, Loyalität, Vertrauen, Humor, Kommunikation und Treue: Laut Dutzender Online-Ratgeber sind diese abstrakten Worte die Stützpfeiler einer gesunden Beziehung. Was genau sich hinter dieser Aufzählung versteckt, wie man die einzelnen Punkte anzuwenden hat und was die verheerendsten Missverständnisse sind, kann alles im Internet nachgelesen werden. Nach dem Konsum von unzähligen Partnerschaftsforen und Beziehungsberatungs-Webseiten scheint es fast einfach, eine gesunde Beziehung zu führen. Es scheint Musterlösungen zu geben, die man sich ins Klo hängen und in den Geldbeutel legen kann. Doch dass eben diese Musterlösungen nicht allgemeingültig sind und die Liebe oft ihre eigenen Regeln vorschreibt, können sich Leserinnen und Leser bereits denken.
Laut Ratgeber ist einer der wichtigsten Punkte einer Beziehung, richtig zu streiten; dabei nicht gemein zu werden und auf die Meinung des Partners Rücksicht zu nehmen. Manch eine Anweisung zur „glücklichen Beziehung“ ist leichter gesagt als getan, während der Partner gerade zum siebzigsten Mal die Bartstoppeln im Waschbecken gelassen hat oder die eigene Freundin missbilligend über den besten Kumpel herzieht. Ob Webseite, beste Freundin oder Psychotherapeut, wann immer uns jemand einen Rat zu unserer Beziehung gibt, scheint es im ersten Augenblick einfach. Die Punkte sind gut durchdacht, die Logik spricht Bände, man kann sich schon förmlich mit seinem eigenen Partner reden hören. Eine Stunde später, zurück in der Realität sieht das oft ganz anders aus: Es fliegen Teller, es werden Gemeinheiten ausgesprochen, geschmollt und zur Strafe der andere mit Schweigen gestraft. Emotionen sind unvorhersehbar und irrational, und genau das ist es, was sie auch zu etwas besonderem machen.
Guter Rat ist teuer
Ein Streit passiert oft ohne Ankündigung. In wenigen Sekunden kochen Gefühle hoch und genau in diesem Moment wäre es notwendig die Reißleine zu ziehen. Sich für einen Augenblick zu konzentrieren, so sachlich wie möglich zu bleiben und diplomatisch zu kommunizieren, statt zum Küchenmesser zu greifen. Dass dies nicht immer gelingt, ist nur menschlich. Wir sind keine Roboter, die einzelne Punkte abarbeiten können und dann ohne weitere Gefühlsregung zu einem geregelten Alltag zurückfinden. Entmutigend wirkt es da, sich immer wieder Ratschläge durchzulesen oder vorgepredigt zu bekommen, welche aufkochende Emotionen als Schwäche zählen. Deshalb sei nicht jeder Tipp zur gesunden Beziehung vorbehaltlos hinzunehmen; denn sobald eben jene Ratschläge unser Selbstvertrauen untergraben und uns zum eh schon bestehenden Übel des Beziehungsstreits die Schmach der menschlichen Fehlerhaftigkeit hinzuaddieren, sei einem gut gemeinten Ratschlag auch gerne einmal die Realität entgegenzusetzen.
Konstruktiv Streiten
Damit nach dem Streit die Wunden wieder heilen können und keine verletzten Gefühle zurückbleiben, ist es wichtig „richtig zu streiten“
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Die Spreu vom Weizen trennen
Viele durchaus vernünftige Ratschläge sind unter dem Begriff der
Freundschaft zum Partner zusammenzufassen. Denn wer sich mit dem eigenen Partner rundum wohl, geborgen und seelisch als auch geistig gefordert fühlt, dem sind viele Probleme einer Beziehung schon von vorne herein abgenommen. Eine Freundschaft beruht auf ähnlichem Humor, geteiltem Spaß, Respekt und Interesse an der Meinung des anderen. Wenn diese Voraussetzungen stimmen, scheint man sich von ganz alleine angezogen zueinander zu fühlen. Eine etwas gewöhnungsbedürftige, aber durchaus wirksame Variante Meinungsverschiedenheiten vorzubeugen, ist es, eben jene Freundschaft zu nutzen. Im Augenblick des Streiten zu versuchen, mit dem „besten Freund“ im Partner zu sprechen. Lässt man für nur einige Minuten die Liebe und dazugehörige Emotionen wie Eifersucht außen vor und nähert sich dem Konflikt auf freundschaftlicher Ebene, können sich die Partner oft viel leichter in die Lage des anderen hineinversetzen. Denn es ist oft normaler und einfacher, die Probleme der besten Freundin zu verstehen, als die der eigenen Ehefrau.
Des Weiteren ist der Blick auf die eigene Beziehung wichtig. Wer seine Partnerschaft romantisiert, vom Freund jeden zweiten Tag rote Rosen erwartet und eine Ehe á la Hollywood anstrebt, darf gleich aufgeben. Eine Beziehung ist vor allem eines: Viel Arbeit. Sie bedeutet, Kompromisse einzugehen, den anderen immer wieder neu verstehen zu lernen und die noch so kleinen Dinge im Leben gemeinsam zu gestalten. Denn wir erleben nicht jeden Tag einen gemeinsamen Sonnenuntergang am Meer, sondern quälen uns vermutlich eher zusammen durch die Einkaufsliste fürs nächste Wochenende. Zwischen all den gut gemeinten Ratschlägen zur gesunden Beziehung ist allerdings einer sowohl ausschlaggebend als auch unglaublich erleichternd: Keine Beziehung ist perfekt und kann es auch mit noch so viel Online-Ratgebern nicht werden.
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