VON JANINA TOTZAUER | 09.02.2018 13:07
Fuerza Mexico: Eine Generation erfindet sich neu
Was als aller erstes auffällt, ist die Ruhe. Eine unheimliche Stille liegt über einer der größten Städte der Welt. Keine Hupen, keine schreienden Händler, kaum Menschen auf den Straßen. Die Sonne erhellt wie gewöhnlich die unzähligen bunten Häuser. Allein die Zelte mit Hilfsgütern in den Stadtparks erzählen noch vom 19. September, als vielen Millionen Mexikanern der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Zwei Wochen nach einem der schlimmsten Erdbeben der Menschheitsgeschichte reiste ich nach Mexiko und fand meine Freunde zugleich erschüttert und inspiriert.
Noch gut einen Monat nach einem der schlimmsten Erdbeben das Mexiko je erschütterte, ist es das Thema Nummer Eins. Ein paar Freunde und ich sitzen in vertrauter Runde. Bier wird aus riesigen Flaschen in kleine Gläser gefüllt, aufgeregt erzählt jeder seine Geschichte. Keiner der Anwesenden hat einen Bekannten oder ein Familienmitglied verloren, doch alle sprechen von unglaublicher Angst. Todesangst. Sie versuchen mir ein Gefühl der absoluten Hilflosigkeit zu vermitteln, wenn im wahrsten Sinne des Wortes das Fundament unter deinen Füßen weggezogen wird. Wenn der Boden dich nicht mehr hält, gerät deine ganze Welt aus den Fugen. Es scheint, als könnte man sich nach solch einem Erdbeben auf nichts mehr verlassen. Sie erzählen von dem Staub, der sich in der Stadt ausbreitete, nachdem die ersten Gebäude eingestürzt waren, von splitterndem Glas und dem Gasgeruch, der sich unter die Menschen mischte, als die Erde endlich wieder stillstand. Man rannte weg von den engen Straßen, hinein in die Parkanlagen der Stadt. Die Massen drängten sich zwischen den Bäumen. Viele weinten, tippten vergeblich auf ihren Handys herum. Strom und Telefonempfang kehrten erst nach Stunden zurück.
Mit Hashtags gegen die Misere
Auf den Tag genau 32 Jahre zuvor mussten viele Bewohner Mexikos schon einmal die Erfahrung eines Erdbebens machen. Die Zahlen der damaligen Todesopfer schwanken zwischen 10.000 und 30.000. Am Nachmittag des 19. September 2017 standen Millionen von Mexikanern erneut vor den Trümmern ihrer Stadt. Bewundernswert ist das Engagement, mit dem die sofortigen Rettungsmaßnahmen begannen. In den Medien konnten wir das Cruz Roja, das mexikanische Pendant zum Roten Kreuz, im Einsatz sehen. Tausende Hände entfernten Schutt von verschütteten Kinderkörpern. Menschen kamen in den Grünanlagen zusammen und errichteten Zelte für die vielen plötzlichen Obdachlosen. Es wurden Lebensmittel gesammelt und verteilt. Bei allen Aktionen war das Internet eine große Hilfe. Über Hashtags, die Ort, Datum und benötigtes Hilfsgut beinhalteten, organisierten sich die Menschen. In Facebook suchte man nach Übersetzern, die die Webseiten der Spendendienste vom Spanischen ins Englische übersetzen sollten, um auch international Gelder zu sammeln. Anwälte und Ingenieure boten online ihre Dienste an. Sie zogen in ganz Mexiko von Haus zu Haus und überprüften die Wände nach Rissen, die zu weiteren Einstürzen führen könnten. Welche Gebäude zerstört wurden, wo welche Hilfsgüter zu bekommen waren und welche Herbergen umsonst übernachten ließen, wurde in Googlemaps zusammengetragen. Mit Hashtags wie #LoveArmyMexico und den dazugehörigen YouTube-Videos wurden in nur einem Tag Spendensummen in Millionenhöhe zusammengetragen.
Eine neue Generation
Nach Jahren der Korruption und der Verfehlungen der mexikanischen Politik hatten die Menschen gelernt, sich nicht auf den Staat als Helfer zu verlassen. Sie organisierten sich selbst. Viele junge Menschen sahen bisher enttäuscht den politischen Aktivitäten rund um den Präsidenten Enrique Peña Nieto zu. Statt Mexiko - wie im Wahlkampf 2012 versprochen - in ökonomischen Aufschwung zu führen und den Drogenkartellen das Handwerk zu legen, zeichnete sich sein Werdegang bisher weitestgehend durch Korruption aus. Die Jugend kehrte der Politik den Rücken zu, sah enttäuscht mit an, wie sie vom neuerwählten Präsidenten der USA „Vergewaltiger“ genannt wurden und zweifelten an den Funktionen einer Demokratie, die sich nur selbst zuspielte. Durch das Erdbeben fühlten viele junge Menschen eine neue Kraft in sich aufsteigen. Gemeinsam waren sie stark und konnten etwas bewegen. Durch das Zusammenkommen in den Straßen während der Ausräumarbeiten erkannten viele Mexikaner, dass sie nicht alleine waren. Durch den Hashtag FuerzaMexico drückten Menschen auf der ganzen Welt ihre Solidarität zu den Opfern des Erdbebens aus. Die „Kraft Mexikos“ wurde das Leitbild einer neuen Generation, die sich im Internet organisiert und das Land unter den Händen einer gescheiterten Regierung zu einer neuen Identität führt. Welche revolutionären Umschwünge diese neugewonnene Kraft in Zukunft bewirken wird, werden uns die nächsten Hashtags zuerst verraten.
-
Missbrauch in der Katholischen Kirche - Projekt zur Aufdeckung scheitert
Das Forschungsprojekt zur Untersuchung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche wurde abgebrochen. Die Kirche kündigte den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN).
[...]»
-
Beitrittszahlen lassen Parteien Hoffnung schöpfen – Das Ende der Parteiverdrossenheit?
Eine 2013 veröffentlichte Studie lässt die deutschen Parteien Hoffnung schöpfen: Für die großen Volksparteien CDU und SPD geht der Mitgliederschwund leicht zurück, andere Parteien konnten sogar steigende Mitgliederzahlen vorweisen. Dennoch ist die Lage noch nicht ideal. Nur etwa 1,8 Prozent aller Beitrittsberechtigten sind tatsächlich Mitglieder einer politischen Partei. Einen Grund dafür sehen manche Experten im Durchschnittsalter der Mitglieder.
[...]»
-
Mehr Transparenz in der Rohstoffindustrie – Deutschland will EITI-Standards umsetzen
Die Initiative EITI setzt sich für erhöhte Transparenz in der Rohstoffindustrie ein. Zahlen und Einnahmen sollen möglichst detailliert offengelegt und der Bevölkerung nutzbar gemacht werden. Vor allem in Entwicklungsländern ist das wichtig, da dort die soziale Ungleichheit am größten ist. Doch auch europäische Staaten, darunter Deutschland, wollen nun die Initiative unterstützen. Können Korruption und Bestechung im Rohstoffsektor so beendet werden? UNI.DE hat sich umgehört.
[...]»
-
Ab durch die Mitte: Das Problem mit dem Extremismusbegriff
Der Extremismusbegriff ist in Deutschland seit jeher politisches Kampfmittel. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Freien Universität Berlin kam zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Deutschen linksextreme Einstellungen vertrete, ein Fünftel hätte sogar ein „geschlossenes linksextremes Weltbild“ und sei „zur Revolution bereit“. Wie kam die Studie zu ihrem Ergebnis und was bedeutet eigentlich Linksextremismus?
[...]»
-
Wie aus Fischern Piraten wurden
Die Gewässer des westlichen indischen Ozeans vor Somalia sind international berüchtigt. Militärische Interventionskommandos aus Europa gehen dort gegen somalische Piraten vor, um die Handelsrouten am Horn von Afrika zu sichern. Die Ursachen der Piraterie werden jedoch nicht bekämpft: europäische, asiatische und russische Fischfangflotten fischen dort seit Jahrzehnten illegal, zerstören die Lebensgrundlage der somalischen Fischer und brachten diese schließlich dazu, sich zu bewaffnen und zu versuchen, die ausländischen Schiffe zu vertreiben. Uni.de zeichnet nach, wie aus Fischern Piraten wurden.
[...]»
-
Verfassungsschutz in Deutschland
Spätestens seit der
NSU-Terrorserie in Deutschland und den damit verbundenen Mordfällen an Kleinunternehmern in ganzen Bundesgebiet ist der deutsche
Verfassungsschutz stark unter Beschuss geraten: In Hessen wird Ministerpräsident
Bouffier derzeit stark für die Aufklärung der Mordserie kritisiert, angeblich wusste ein hessischer Verfassungsschutzbeamter Bescheid und war nach dem Mord sogar am Tatort, auch von Kontakten zu rechtsextremen V-Männern ist die Rede. Um diese zu schützen, wurde die Ermittlung im Mordfall Yozgat stark behindert. Berlin fordert nun Aufklärung.
[...]»
-
Staat weiter in der Verantwortung – Betreuungsgeld verfassungswidrig
Es ist als „Herdprämie“ oder „Hausfrauengehalt“ bekannt. Das Betreuungsgeld benachteiligt Frauen und verschiebt Missstände um Kita-Plätze in die private Ebene, so wetterten die Gegenstimmen. Nun ist der Streit um das Betreuungsgeld, das am stärksten von der CSU verteidigt wurde, durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts beendet. Es erklärte das Betreuungsgeld als verfassungswidrig. Was das Betreuungsgeld überhaupt ist und warum es verfassungswidrig ist, erklärt UNI.DE.
[...]»
-
Neue Wege aus der Europakrise? Rot-rot-grüne „Denkanstöße“
Das Erstarken der rechten und europakritischen Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament Ende Mai diesen Jahres wird in vielerlei Weise interpretiert: Unglückliche Folge der schlechten Wahlbeteiligung, sagen die einen; Manifestation der politischen Dimension der Eurokrise, konstatieren jetzt drei Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken. In der 16. Ausgabe der Schriftenreihe „Denkanstöße“ des Instituts „Solidarische Moderne“ mahnt das rot-rot-grüne Bündnis vor einem überstürzten Aufatmen in der Schuldenkrise, gehen mit Merkels Europapolitik hart ins Gericht und empfehlen eine Stärkung des Europäischen Parlaments.
[...]»
-
Die Initiative „Wir sind Deutschland“ als gemäßigte Alternative zu Pegida?
In Plauen bildete sich als Reaktion auf das Abdriften von Pegida in die Nähe des Rechtsextremismus die Initiative „Wir sind Deutschland“. Diese versteht sich als Volksinitiative, die besorgten Stimmen ein Forum bieten möchte, dabei allerdings weder „rechts“ noch „links“ sein will. UNI.DE untersucht, inwiefern der Initiative dies gelingt und ob die Abgrenzung zu Pegida tatsächlich funktioniert.
[...]»
-
Die Sperrklausel im Bundestag – Stabilität oder Freiheitseinschränkung?
Die Bundestagswahl im September 2013 sorgte in vielerlei Hinsicht für Aufsehen. Nicht nur, dass die CDU/CSU fast drei Monate benötigte, um letztlich eine gemeinsame Regierung mit der SPD zu gründen. Ihrem Wahltriumph stand auch die krasse Niederlage des ehemaligen Koalitionspartners FDP entgegen: Er scheiterte knapp an der Sperrklausel. Eben diese führte außerdem dazu, dass jeder siebte Wähler seine Zweitstimme einer Partei gab, die heute nicht im Bundestag sitzt. Nun stellt sich die Frage: Zeigt der Verfall so vieler Stimmen, dass die Sperrklausel „undemokratisch“ und damit verfassungswidrig ist?
[...]»