VON MAXIMILIAN REICHLIN | 05.08.2014 11:14

Jean-Claude Juncker wird EU-Kommissionspräsident – würden wir das wollen?

Der ehemalige luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, der jüngst durch eine Reihe von Überwachungs- und Steuerskandalen zu fragwürdiger Berühmtheit gelangte, schwingt sich nun zum EU-Kommissionspräsidenten auf. Schon werden kritische Stimmen laut: Hat jemand wie Juncker überhaupt etwas an der Spitze der EU-Kommission verloren? Und wie viel Macht erkennt die Europäische Union dem ehemaligen Premier damit zu? UNI.DE hat sich umgehört.



18 Jahre lang war Jean-Claude Juncker der Staatschef Luxemburgs, ein konservativer Machtpolitiker mit Einfluss und wichtigen Freunden und Unterstützern – zu denen laut eigenen Angaben auch Angela Merkel zählt. Dann verlor er sein Amt durch eine undurchsichtige Kette von Geheimdienst- und Überwachungsskandalen. Nachdem er ohnehin schon lange aufgrund seiner fragwürdigen Steuerpolitik in Kritik geraten war. Und eben dieser Mann wurde nun vom Europarat als Kandidat auf den Sitz des EU-Kommissionspräsidenten aufgestellt – und vom Parlament gewählt. Ab November wird der in Ungnade gefallene Juncker sein neues Amt in Brüssel bekleiden.

Schon jetzt hagelt es dafür Kritik. Vor allem Junckers Beteiligung an einigen dubiosen Geheimdienstaffären im eigenen Land schmälern das Vertrauen in den zukünftigen Kommissionspräsidenten. Illegale Abhörmethoden – mindestens einmal mit Junckers Wissen und auf seien Anordnung hin – zeichnen den jüngsten Lebenslauf des Ex-Premiers. Auch die Überwachung der Organisation Greenpeace und eine mehr als undurchsichtige Affäre um Schmiergelder und illegalen Waffenhandel, über die auch der Stern berichtete, trüben die weiße Weste des frischgebackenen Kommissionspräsidenten.

Steueroasen oder "eine Zahl mit zwölf Nullen"

Einer der größten Kritikpunkte ist aber Junckers Steuerpolitik. In Luxemburg richtete er durch „Steuerkonditionen auf Ramschniveau“ eine der größten Steueroasen ein. Gut für Luxemburg, da das kleine Land dadurch zu einem internationalen Finanzplatz wird. Schlecht jedoch für jedes andere EU-Land, so ein Kommentar der TAZ. Denen gehen dabei nämlich Steuereinnahmen verloren, alleine in Deutschland jedes Jahr 30 Milliarden Euro. Nun regiere also ein „Steuerdieb“ als Kommissionspräsident. Vor allem von der linken Seite werden nun aufgrund der Entscheidung des Europaparlaments kritische Stimmen laut.

Das Parlament selbst zeigte sich weitestgehend euphorisch mit der Wahl Junckers. Bis zu diesem Jahr wurde der Kommissionspräsident nämlich noch vom Europarat eingesetzt und nicht vom Parlament gewählt. Damit wird Juncker zum ersten vom Parlament gewählten Kommissionspräsidenten. Selbst Wahlverlierer Martin Schulz (SPD) freute sich: Dass sich der Spitzenkandidat Juncker durchsetzen konnte, sei „eine fundamentale Richtungsänderung“ in den politischen Strukturen der EU. Ganz begeistert sind die einzelnen Staatschefs aber offensichtlich nicht von der Wahl. Der britische Premier David Cameron hatte sich bis zuletzt gegen den konservativen „Mann von Gestern“ ausgesprochen. Auch Merkel, deren Unterstützung Juncker selbst noch vor einigen Monaten beschworen hatte, hatte bis zuletzt gezögert.

Diese Staatschefs sind es auch, die, nach einem ersten gescheiterten Gipfel Anfang Juli, am 30. August über weitere Führungspositionen der neuen EU-Regierung entscheiden, etwa über den neuen Ratspräsidenten. Bisher habe sich jedoch, so ein Sprecher, noch kein Konsens ergeben. Bevor Juncker sein neues Amt antreten kann, muss außerdem noch die Kommission bestückt werden, die er ab November zu leiten hat. Einen Kommissar darf jedes Mitgliedsland dabei stellen, denen Juncker dann ihre zukünftigen Resorts zuteilen wird. Der Präsident gibt außerdem die Leitlinien der Kommissionsarbeit vor und kann einzelne Kommissionsmitglieder versetzen oder entlassen. Das Amt des Kommissionspräsidenten ist also am Ehesten mit dem Amt eines Regierungschefs vergleichbar. Würden wir wollen, dass Europa von diesem Mann regiert wird?