VON LISI WASMER
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04.04.2014 15:52
E-Petitionen – neue Politik?
Gerade erst haben die Kommunalwahlen in Bayern wieder Anlass zur Sorge gegeben. Nicht etwa aufgrund der Wahlsieger, viel eher aufgrund der Wahlverweigerer: In den meisten größeren Städten blieb die Wahlbeteiligung weit unter 50 Prozent. Die vermuteten Gründe hierfür reichen von der Wetterlage bis zur Politikverdrossenheit, die gerne vor allem den jüngeren Wählern zugeschrieben wird. Wie vieles, was über die „Generation Y“ geschrieben wird, ist auch das natürlich mehr als fragwürdig. Gerade junge Erwachsene zeigen ein ausgeprägtes Interesse an Politik und politischer Aktivität. Nicht an der Urne. Dafür am Laptop.
Während die Parteien nach der Kommunalwahl in Bayern bereits Bilanz gezogen haben, sich über neue Landratssitze und Bürgermeisterposten freuen, fragen sich Politikexperten immer noch nach den Gründen für die rekordverdächtig niedrige Wahlbeteiligung. Gewohnheitsgemäß gibt es darauf viele Antworten: Das Wetter war zu gut, oder zu schlecht. Die Politiker können die Menschen nicht mehr für sich begeistern. Die Menschen sind ein faules Pack, das seine staatsbürgerlichen Pflichten vernachlässigt.
Politikwissenschaft studieren?!
Wo studiere ich das Fach am besten? Welche Inhalte umfasst das Studium? Und welche Berufe kann ich danach ergreifen?
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Wahlen ohne Auswahl
Tatsächlich dürfte alles einen gewissen Einfluss haben. Und was darüber hinaus nicht vergessen werden darf: Das Mehrparteiensystem ist nicht mehr das, was es einmal war. Da kämpfen keine Arbeitervereine gegen Kapitalisten, keine Sozis gegen Rechtsradikale. Überhaupt ist es der Radikalismus, der in der heutigen Politik fast gänzlich zu fehlen scheint (abgesehen vom radikalen Umstyling von Angela Merkel nach ihrem Aufstieg zur Bundeskanzlerin, vielleicht). Die Programme der großen Parteien, also die von CDU/CSU, SPD, den Grünen, vielleicht auch noch der Linken – all diese Programme unterscheiden sich in Nuancen. Über die großen Fragen der Politik (Sozialstaat, Rechtsstaat, all das und noch mehr), ist man sich doch schon lange einig. In Deutschland wie in Europa. Die Politik trieft ja förmlich vom europäischen Einigkeitsgedanken, von Kompromissbereitschaft, von Jeder-mag-Jeden und Alle-für-das-große-Ganze. Wozu dann noch (aus-)wählen? Was macht es da noch für einen Unterschied, ob der Volksvertreter schwarz, rot, grün oder pink daherkommt, solange er die gleichen hehren Ziele verfolgt wie alle anderen auch? Weltfrieden gehört keiner Partei an.
Ein neuer Weg
So viel zur Wahlbeteiligung. Andererseits ist es wahr, dass gerade auf kommunaler Ebene verschiedene Parteien auch verschiedene Politik betreiben. Und gerade diese lokale Politik ist es schließlich, die den größten und unmittelbarsten Einfluss auf die Bürger hat. Trotzdem ist die ohnehin schon niedrige Wahlbeteiligung seit den letzten Wahlen 2008 nochmal deutlich gesunken. Wir sind also so weit wie am Anfang: Woran liegt’s? Sind es tatsächlich die Jungen, die nicht mehr wählen gehen? Und warum?
Ein möglicher Grund könnte tatsächlich in einem Instrumentarium gefunden werden, dass gerade von der Politik selbst eingeführt wurde, um junge Menschen wieder für die Politik zu interessieren: Die SPD schaltet im Wahlkampf 2005 einen
Petitionsserver frei, mit dem alle deutschen Staatsangehörigen via Internet Petitionen an den Bundestag stellen können. E- Petitionen, die online erstellt, beworben und auch unterschrieben werden. Das langwierige und aufwändige Klinkenputzen zum Sammeln von Unterschriften ist kein Muss mehr.
Neue Hürden
Ein toller Weg, um allgemeinen Anliegen schnell und direkt große Aufmerksamkeit zukommen zu lassen? Das kommt darauf an.
Technische Probleme sind ein Wehrmutstropfen der E-Petition – wenn Unterschriften zum Beispiel nicht erfasst werden können, weil der Server in die Knie geht. Und der größte Pluspunkt der Online-Petition (ihre verhältnismäßig simple und vor allem weitreichende Zugänglichkeit) birgt zugleich ihren größten Nachteil: Die E-Petition scheint sich selbst zu verwässern. Neben Petitionen zur Energiewende, zu Schulreformen oder Mietrecht gibt es zum Beispiel auch eine
Petition gegen die Weiterbeschäftigung von Markus Lanz als TV-Moderator. Schon Mitte Januar hatten über 200.000 Leute diese Petition unterschrieben. Was sind „ernst gemeinte“ Petitionen dann noch wert?
Und welche Wirkung haben Petitionen überhaupt? Die einzige offizielle Plattform in Deutschland ist der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Inoffizielle Anbieter sind Avaaz, Campact, Chance.org oder openPetition, die auf der aktivistischen Informationswebsite
reset.org ausführlich beschrieben werden. Die Wirkung aller Petitionen, egal auf welcher Plattform sie startet, ist in den wenigsten Fällen direkt. Den meisten Petenten geht es auch nicht um die Umsetzung ihrer Forderungen, zumindest nicht unmittelbar. Vielmehr geht es darum, Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu generieren, Gleichgesinnte zu finden und über die Petition hinaus weitere Schritte zur Umsetzung der aufgestellten Forderungen zu finden.
Zweischneidiges Internet
Das galt auch schon für herkömmliche, sozusagen analoge Petitionen. Der Unterschied der E-Petition liegt wie bereits erwähnt in der Reichweite, gerade im Zeitalter sozialer Netzwerke. In diesem Zeitalter lauert aber auch ein findiger Geschäftsmann an jeder digitalen Ecke. So lässt sich mit E-Petitionen auch Geld verdienen: Wenn man beispielsweise eine
vorgeschobene Petition in professioneller Aufmachung dazu verwendet, die Daten der Mitzeichner für Werbezwecke zu sammeln.
Was bleibt, ist vielleicht ein kleiner Trost für alle jene, welche den Glauben in das politische Engagement ihrer Mitbürger bereits verloren hatten. Es stimmt: Wir scheinen es nicht an alten, sondern an neuen Orten, nicht an der Urne, dafür im Internet suchen zu müssen. Aber die gute Nachricht ist: Die tatsächliche Beteiligung am politischen Prozess findet nach wie vor statt. Und zwar gefühlt direkter, als je zuvor.