VON CLEMENS POKORNY | 15.11.2013 16:01

Störerhaftung im Internet: Sinnvoll oder nicht?

Wer sein WLAN-Netzwerk ungeschützt lässt, ermöglicht damit Dritten, ungenutzte Verbindungskapazitäten zu nutzen und sich unerkannt über den fremden Zugang ins Internet einzuwählen. Wenn sie dort Recht brechen, haftet deshalb der private Betreiber des Netzwerks als sogenannter „Störer“. Diese „Störerhaftung“ wird derzeit sogar von den Unterhändlern der Großen Koalition hinterfragt. Was steckt dahinter?

Stell dir vor, du stellst dein Auto vor einer Bank ab, lässt den Zündschlüssel stecken, weil du gleich zurück sein willst – und während deiner Abwesenheit kapert ein Bankräuber dein Fahrzeug und entkommt damit mitsamt seiner Beute. Trägst du eine Mitschuld daran, dass er sein Verbrechen erfolgreich begehen konnte?

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Die ehrliche Antwort lautet sicherlich: „Ja!“ Und so sieht es auch das deutsche Recht. Wer willentlich (das ist nicht identisch mit „absichtlich“) und „adäquat kausal“ zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, kann als sogenannter „Störer“ haftbar gemacht und zum mindesten auf Unterlassung verpflichtet werden. Einen häufigen Fall im Internet stellen Verlinkungen auf externe Seiten dar, bei denen man allerdings durch ausdrückliche Distanzierung von den verlinkten Inhalten auf der sicheren Seite ist. Logisch, denn diese können ja jederzeit verändert werden, unbeeinflusst von demjenigen, der den Hyperlink gesetzt hatte und von dem nicht erwartet werden kann, dass er die Inhalte der von ihm verlinkten externen Seiten minütlich überprüft.

Anders liegt der Fall bei offenen WLAN-Netzwerken, in die sich jeder kostenlos und ohne Passwort einloggen und auf diese Weise im Internet surfen kann – gleichsam unter fremder Flagge, denn über die Verbindungsdaten kann im Zweifelsfalle nur der Anbieter des WLAN-Netzes ausfindig gemacht werden. Begeht nun der Nutznießer des offenen WLAN im Internet eine Urheberrechtsverletzung (Bsp.: illegales Filesharing) oder gar eine Straftat, muss der Anbieter des freien WLAN nachweisen, dass er diese nicht selbst verübt hat. Diese Beweislast kann er kaum erbringen – als „Störer“ haftet in der Regel also er für Gesetzesübertretungen, die ein anderer begangen hat („Störerhaftung“).

Offene WLAN-Netzwerke sind selten, weil WLAN meist standardmäßig mit einem Passwort eingerichtet wird. Doch manchmal denken User nicht daran, das voreingestellte, manchmal sehr einfache Passwort durch ein schwieriger zu knackendes, persönliches zu ersetzen. Viel häufiger kommen offene WLAN-Netze in Internetcafés vor. Und schließlich gibt es noch die Freifunk-Bewegung, die für ein allen zugängliches Internet wirbt und deren Anhänger daher ihr WLAN-Netzwerk bewusst offen lassen.

Die Idee: Kapazitäten, die sie nicht selbst nutzen, sollen Anderen zur Verfügung stehen. Ein „Netz in Bürgerhand“ soll allen Menschen digitale Teilhabe sichern, lautet der Tenor eines Gesetzesentwurfs, mit dem die Digitale Gesellschaft die Störerhaftung abschaffen möchte. Auch die Unterhändler einer möglichen Großen Koalition möchten Haftungsprivilegien, die derzeit nur für die großen Internetprovider gelten und Telekom, Kabel Deutschland & Co. von der Verantwortung für über ihre Netze begangene Gesetzesübertretungen entbinden, auf die Betreiber offener Funknetze ausdehnen. Damit sollen etwa Hotspot-Betreiber von der Last der zahlreichen gegen sie geltend gemachten Unterlassungsansprüche wegen Urheberrechtsverletzungen befreit werden. Zugleich soll sich allerdings eine andere Arbeitsgruppe der Koalitionäre in spe schon auf eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geeinigt haben.

Braucht jemand in Zukunft nur sein Funknetz zu öffnen und kann dann auch für seine eigenen illegalen Aktivitäten im WWW nicht mehr belangt werden, weil er immer behaupten kann, ein anderer habe sie getätigt? Das wäre sicherlich nicht Sinn der Sache, und bislang ist die Abschaffung der Störerhaftung auch nur für Städte als Rechtssubjekte und für Internetcafés geplant. Und wozu wären freie „Netze in Bürgerhand“ eigentlich nötig? Immerhin käme wohl kaum jemand auf die Idee, andere rund um die Uhr über seine Leitung telefonieren zu lassen. Internetflatrates ab 10 Euro pro Monat können sich sehr wohl auch ALG II-Empfänger leisten, für die 31,96 Euro für „Nachrichtenübermittlungen“ im Regelsatz vorgesehen sind. Der Betrieb und die Wartung von Telekommunikationsverbindungen muss zudem ebenso bezahlt werden wie der Kundenservice für diejenigen, die für Telekommunikationsdienstleistungen bezahlen wollen. Und anders als von den Freunden der Kostenlos-„Kultur“ im Internet gerne behauptet könnten ja nicht nur große Konzerne mit ein paar „lächerlichen“ Urheberrechtsverletzungen geschädigt werden: Über offene WLAN-Netze lassen sich auch cyberkriminelle Handlungen aller Art, wie z.B. Austausch von Kinderpornographie, ohne die Möglichkeit präziser Rückverfolgung begehen. Deshalb bleibt die Störerhaftung für Privathaushalte sinnvoll, solange der Schutz der Privatsphäre etwa durch dauerhaftes Verbot der Vorratsdatenspeicherung gewahrt bleibt. Wer nicht sicher ist, ob sich Fremde in sein WLAN-Netz einwählen können, sollte sein Passwort sicherheitshalber ändern – sonst haftet er äußerstenfalls für die Kosten eines Abmahnverfahrens, wenn er nicht nachweisen kann, dass er einen Rechtsbruch nicht selbst begangen hat. Die Freifunker und andere Computer-Aktivisten besinnen sich hoffentlich darauf, ihre Kraft primär in den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung zu investieren, statt mit der Störerhaftung ein Rechtskonstrukt zu attackieren, dass uns zurecht Verantwortungsbewusstsein abverlangt.