VON LISI WASMER
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17.04.2014 14:58
Krise im Geheimen – Vergessene Mauern in der Westsahara
Besetzung, Referendum, militärische Annexion – Reizworte, die in diesen Tagen vermutlich fast jeder auf den schwelenden Konflikt zwischen pro-europäischen Ukrainern und pro-russischen Separatisten bezieht. Wesentlich älter, aber genauso aktuell ist jedoch die diesbezügliche Problematik in der Westsahara: Nach dem Rückzug spanischer Kolonialisten 1975 machten sich Marokko und Mauretanien in der an Naturressourcen reichen Region breit. Inzwischen kontrolliert Marokko den Großteil des Gebiets – gegen den Willen der Einheimischen, die seit 23 Jahren auf ein von den Vereinten Nationen versprochenes Referendum warten.
Wer die Osterfeiertage nutzt, um sich eine Auszeit zu gönnen, möchte diese vielleicht in wärmeren Gefilden verbringen. Der fährt vielleicht seinen PC hoch, sucht im Internet nach günstigen Flügen und findet sich kurz später auf den Kanaren wieder, am Strand von, sagen wir, Fuerteventura, mit einem Cocktail in der Hand, einem Liegestuhl im Rücken und einem Sonnenschirm über dem Kopf. Und damit nicht mehr als 160 Kilometer von einem der langwierigsten Konflikte in ganz Afrika entfernt: Mehr als 100.000 marokkanische Militärs halten die dort lebenden Sahrauis seit bald 40 Jahren in Schach – um ihrer Regierung die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu ermöglichen.
Ein weiterer Kampf im Verborgenen:
Das indonesische Regime unterdrückt mit aller Gewalt den Freiheitskampf der Ureinwohner der Provinz West-Papua
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Arme reiche Westsahara
Denn die Westsahara ist reich. Reich an natürlichen Ressourcen, wie „
Terre des Hommes“ erklärt: Phosphat, Erdgas, Erdöl. Und auch mit Fischerei lässt sich hier viel Geld verdienen. Das waren die Vorzüge der Region, die Spanien bis 1975 als Prestige-Kolonie diente. Nach Francos Tod zogen sich die Spanier zurück, dafür besetzten nun Marokko und Mauretanien die Westsahara – zu Recht, wie es der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen damals in einer
Stellungnahme beurteile. Anderer Meinung waren die einheimischen Sahrauis, die bald die Befreiungsbewegung „Frente Polisario“ gründeten, um für die von ihnen ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) zu kämpfen. 1979 gab Mauretanien die Besatzung auf. Marokko blieb. Und führt das Zepter in der Westsahara seither mit umso strengerer Hand.
Bis 1991 wurde der Konflikt in der Besatzungszone militärisch geführt, Marokko dehnte seinen
Einflussbereich über die Zeit immer weiter aus, errichtete mit Minen versehene Grenzwälle und drängten die Sahrauis so immer weiter von der Westsahara ab. Viele der ehemaligen Bewohner der Region leben in der Diaspora oder in Flüchtlingslagern im benachbarten Algerien, wo inzwischen bereits die zweite Generation Vertriebener heranwächst, wie „
Terre des Hommes“ beschreibt.
Ausharren im Dunkeln
Diejenigen, die im von Marokko kontrollierten Gebiet ausharren, ihre Heimat nicht verlassen wollen, vor Ort für die DARS einstehen möchten, sehen sich regelmäßig Menschenrechtsverletzungen und Polizeigewalt ausgesetzt. Versammlungs- und Meinungsfreiheit werden nicht gewahrt, auch friedvolle Demonstrationen gewaltsam aufgelöst, Teilnehmer verprügelt, wenn nicht sogar von Polizisten geradezu hingerichtet, wie Said Dambar, von dem seine Schwester Maryem gegenüber „
Aljazeera“ berichtet. Die Gewalt ist das Eine. Das Andere ist die Untätigkeit der marokkanischen Führung, die derlei Vergehen kaum verfolgt, glaubt man einem Bericht von „
Human Rights Watch“.
Vielleicht liegt es an den vielen Jahren, die der Konflikt nun schon schwelt; vielleicht liegt es daran, dass die Westsahara zumindest dem Gefühl nach viel weiter weg ist als zum Beispiel die Ukraine. Fakt ist jedenfalls, dass die Situation in der Westsahara in Europa alles andere als im Fokus des allgemeinen Interesses steht. Tatsächlich unterstützt „
Minurso“, eine Mission der Vereinten Nationen, seit 1991 die Friedensentwicklung in der Region. Ein Waffenstillstand wurde ausgerufen, innerhalb eines halben Jahres sollte ein Referendum stattfinden – ein Referendum, auf das die Sahrauis seit 23 Jahren noch immer warten. Das ist nicht der einzige Schwachpunkt im Hinblick auf Minurso. Laut „
Terre des Hommes“ fehlt außerdem ein Mandat zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte in der Region, eine Regelung für den auch für die Sahrauis lohnenswerten Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Westsahara sowie eine verstärkte Präsenz von UN-Mitarbeitern vor Ort.
Kaum bekannt dürfte auch sein, dass Deutschland 2013 die Entsendung zweier unbewaffneter Militärbeobachter zur Unterstützung von Minurso beschloss. So ist die Westsahara also durchaus Teil der europäischen und nicht zuletzt der deutschen Auslandspolitik. Nur sieht das niemand, weil alle auf die Ukraine schauen.