von Susanne Brem | 22.11.2017 12:22

Schwarmintelligenz: Ist eine Gruppe klüger als ein Mensch allein?

Gemeinsam sind wir dümmer“, titelte Spiegel Online vor einigen Jahren. Menschen sind in Gruppen nicht weniger intelligent; allerdings geraten sie dabei oft in einen Konsens, durch den die finalen Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurückbleiben – und manchmal sogar Fehler erst auf den Weg gebracht werden. Dennoch sind auch die positiven Synergieeffekte von Gruppenarbeit bekannt. Wann ist ein Kollektiv also dumm?


Der Begriff der Gruppenintelligenz zielt weniger auf die tatsächliche, kumulierte „Intelligenz“ eines Personenkollektivs ab als auf seine Problemlösekompetenz. Mehrere Menschen bieten zwangsläufig eine größere Vielfalt an Handlungsansätzen und Lösungsmöglichkeiten für ein Problem, sie bedenken mehr Fallstricke und verfügen über eine größere Kreativität. Deshalb sind Meetings in der Arbeitswelt ein beliebtes Modell zur Ideensammlung und Planung künftiger Vorgehensweisen. Im Grunde werden dabei Erfahrungen und Wissensvorräte in einem „Schwarm“ zentralisiert.

Welche Teams arbeiten erfolgreich?

Wie amerikanische Forschende herausfanden sind dafür zwei Faktoren entscheidend: die durchschnittliche Intelligenz der einzelnen Gruppenmitglieder und ihr Austausch untereinander während ihrer Zusammenarbeit. Die Forschungsleiterin Anita Williams Woolley von der Carnegie Mellon University in Pittsburg hat in einer Studie mit über 700 Probanden festgestellt, dass Menschen umso effektiver und produktiver miteinander arbeiten, je empathischer sie jeweils sind in Bezug auf ihre Mitstreitenden. Die Zusammenarbeit sei außerdem umso ertragreicher, wenn alle Beteiligten ähnliche Redeanteile hatten und sich gleichermaßen einbringen konnten.

Dies ist aber nur der Fall, wenn die Teammitglieder vor ihrem eigenen Beitrag nicht die Meinungen und Äußerungen der anderen kannten – so das Ergebnis einer weiteren Studie, die an der ETH Zürich mit fast 150 Studierenden durchgeführt wurde. Denn die Reaktionen der Probanden glichen sich einander an, wenn diese nacheinander in der Gruppe gesprochen hatten – die letzten fügten sich den Aussagen der vorangegangenen Sprechenden. Das Resümee lautet also: Ein soziales Gefüge beeinflusst die Gruppenmitglieder in ihren Antworten; Personen wollten einerseits nicht einer „geschlossenen Front“ der anderen als Einzelner widersprechen. Jeder Mensch hat Angst vor Ausgrenzung und möchte akzeptierter Teil eines Teams sein. Andererseits empfanden die Teilnehmenden ihre Einschätzungen zum Diskussionsgegenstand auch als gesicherter, wenn sie sich mit den Aussagen der anderen nicht biss. Studienleiter Dirk Helbig beschreibt dies als den „Vertrauenseffekt“: Wenn Person A, B, C und D das auch denken, müsse es wohl stimmen! De facto wurde so im Kollektiv aber oft ein Fehler bekräftigt.

Teammitglieder müssen Individuen bleiben

Diese Studienergebnisse können es ermöglichen, Erfolg und Effizienz von Teams anhand der emotionalen Intelligenz und der Empathiefähigkeit der einzelnen Mitglieder vorab einzuschätzen. Welche Fähigkeiten bringt jede und jeder Einzelne mit? Wie ergänzen sie sich? Wenn die Teammitglieder vorab ihre Ideen gesammelt und ihre individuellen sachlichen Ansichten entwickelt haben und diese dann so gefestigt in die Runde tragen konnten, profitierte das Team von der Vielfalt der Ansätze und Kritikpunkte und zeigte sich am Ende als produktiver als Gruppen, in denen die Teilnehmenden vorab die Standpunkte der Kollegen und Kolleginnen kannten.

Vom Feind zum Freund

Daniel Richardson, Experimentalpsychologe am University College London, sieht eine mögliche geeignete Umgebung hierfür in anonymen Chatrooms. Denn dort bleiben Rang und Status jedes Mitglieds außen vor – und damit auch Zustimmungen, nur weil gerade die oder der Vorgesetzte spricht und man sich gutstellen möchte. Ohne die typische menschliche Zwickmühle zwischen dem Wunsch nach einem persönlichem Vorteil und dem nach funktionierender, erfolgreicher Kooperation mit anderen bleibe ein neutraler, sachlicher Raum für Austausch und Diskussion – die ideale Umgebung für einen „intelligenten Schwarm“. Darin kann man gemeinsam anstehenden Herausforderungen gerecht werden.

Bienen und Ameisen als Vorbild

Wo sich Menschen oft noch selbst im Weg stehen, sind einige Tiere Weltmeister: Ameisenkolonien gedeihen aufgrund der perfekten Teamarbeit ihrer kleinen „Bewohner“. Jede Ameise weiß, was sie tun muss; so werden „Anführende“ überflüssig. Auch Bienen setzen auf die individuellen Wissensstände ihrer Familienmitglieder: Andere hören beispielsweise auf die Hinweise der Kundschafter-Bienen, die vor Feinden außerhalb warnen oder den Weg zu vielversprechenden Blütenmeeren weisen. Hier werden Erfahrung und Wissen sachlich und nutzbringend eingesetzt – etwas, wovon sich das eine oder andere menschliche Team noch etwas abschauen kann.

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