VON NORA GRAF | 28.10.2016 13:07

Empathie in Zeiten von Selfies

Man lernt im Laufe seiner Kindheit und Jugend so manches, damit man später einmal weiß, wie die Welt in all ihren Facetten funktioniert. In der Schule in Biologie zum Beispiel lernt man sehr viel über den Menschen, wie er funktioniert und über die ihn umgebende Natur. Wie wäre es da einmal mit einem Exkurs zum Thema Empathie und wozu sie gut ist. Denn nicht nur die Ellenbogenmentalität führt zum Erfolg, sondern auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Empathie hat viel mehr Vorteile als man weithin denkt und ist gerade in Selfie-Zeiten und unserer schon fast hyperindividualistischen Gesellschaft mehr und mehr in den Hintergrund gerückt.


Was ist Empathie?

Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Überdies gehört zur Empathie auch die Antizipation, das heißt auf die Gefühle seines Gegenübers dann auch angemessen zu reagieren. Der US-Psychologe Daniel Goleman prägte dazu den Begriff der Emotionalen Intelligenz, die als Gegenentwurf zur klassischen Intelligenzforschung definiert werden kann. Golemans Konzept umfasst neben der Empathie eine Vielzahl von Kompetenzen wie die Kommunikationsfähigkeit, die Soziale Kompetenz, Motivationsfähigkeit, Selbstbewusstsein oder die Selbstkontrolle.

Empathie als erworbene Fähigkeit

Empathie ist somit auch nicht eine angeborene Eigenschaft, die man wie etwa grüne Augen besitzt oder eben nicht, sie kann gelernt und trainiert werden. Im besten Fall versucht man schon als Eltern seinen Kindern Mitgefühl und Empathie zu vermitteln. Ein erster Schritt ist natürlich der liebevolle Umgang und die sichere Bindung zu seinem Kind. Zusätzlich lässt sich die Empathiefähigkeit noch fördern, indem die Eltern selbst als Vorbild fungieren. Denn Kinder lernen viel mehr, wenn sie im Alltag sehen, dass ihre Eltern für sich und andere sorgen, sich durchsetzen oder auch zurücknehmen. So sehen die Kinder wie sie ihr Leben und ihr Verhalten gestalten können. Neben dem Modellverhalten ist es auch wichtig, dass Erziehungsberechtigte den Kindern immer wieder die Konsequenzen ihres Verhaltens verdeutlichen und sie anregen, sich in andere hineinzuversetzen. Dieser sogenannte induktive Erziehungsstil ist aller Erkenntnis nach weit wirksamer als alles Strafen und Schimpfen. Werte wie Rücksichtnahme und Höflichkeit werden verinnerlicht anstatt durch Druck erzeugt. Ein weiteres sehr einfaches Mittel zur Empathievermittlung ist das Vorlesen. Zum einen regen die Geschichten die kleinen Zuhörenden an, sich in andere hineinzuversetzen und zum anderen verbessert sich dadurch auch die Sprachkompetenz. Und: Studien bestätigten einen Zusammenhang zwischen sprachlichen Fähigkeiten und emotionalen Fertigkeiten.

Doch auch für Menschen, denen in der Kindheit weniger Empathie vermittelt wurde, ist es nicht zu spät, denn Empathie lässt sich trainieren vergleichbar mit dem Erlernen einer Sprache oder Matheformeln. Das bestätigt auch eine Studie aus dem Jahr 2014. Britische Psychologen untersuchten dazu 300 Freiwillige mit stark narzisstischen Zügen, die aber psychologisch gesund und oft sehr erfolgreich waren. Eine Form des „subklinischen Narzissmus“, der scheinbar immer öfter vorkommt. Sie fanden heraus, dass sogar Narzissten Mitgefühl empfinden können, wenn man sie aktiv dazu auffordert, sich etwa bei gewalttätigen Videos in andere hineinzuversetzen.

Auf einer weniger extremen Ebene ist es aber auch nicht verkehrt, sein Einfühlungsvermögen zu schärfen. Fachleute empfehlen dazu vor allem drei Schritte: Aufmerksam zuhören, Perspektivwechsel vornehmen und sich selbst auch immer wieder hinterfragen.

Erfolg durch Emotionale Intelligenz

Wozu Empathie?

Aber warum ist die Fähigkeit überhaupt nützlich, mit anderen Menschen mitzufühlen? Empathische Menschen können viel besser tiefergehende Beziehungen eingehen und erleben weniger Trennungen von Partnern und Freunden. Aufgrund des Gefühls der Verbundenheit mit ihrer Umgebung haben Empathiker weniger Konflikte mit ihrem Umfeld. Überdies kann Einfühlungsvermögen auch vorteilhaft für die Karriere sein, vorausgesetzt es kommt auch der Ehrgeiz zum Erfolg hinzu. Studien haben gezeigt: Wer sich gut in andere hineinversetzen kann, der hat bessere Chancen, in seinem Beruf aufzusteigen und mehr Geld zu verdienen. Denn Menschen mit einem guten Emotions-Erkennungsvermögen werden als sozial kompetenter eingestuft und daher auch ihre Leistung in der Zusammenarbeit mit anderen höher bewertet. Außerdem gelingt es Menschen mit einem feinen emotionalen Sensorium besser, zwischen den Zeilen zu lesen und somit auch Fettnäpfchen zu vermeiden.

In der Wissenschaft ist man überzeugt, dass eine gesunde Selbstwahrnehmung Voraussetzung für Empathie ist. Was also in der Liebe gilt: Erst wenn du dich selbst liebst, kannst du andere lieben, gilt auch für die Empathie: Erst wenn man sich selbst gut versteht, kann man auch die Gefühle anderer deuten und vorausschauend reagieren. Wie so oft ist auch hier das gesunde Mittelmaß wohl das beste: Zu viel Empathie birgt die Gefahren, die eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen, sich nicht abzugrenzen oder ausgenutzt zu werden. Zu wenig Empathie hingegen lässt die Gesellschaft immer individualistischer werden.