VON MAXIMILIAN REICHLIN | 06.10.2016 15:11

Spendenverhalten – Warum tun wir Dinge ohne Gegenleistung?

Menschen sind soziale Lebewesen. Als einzige Gattung des Planeten kennen wir beispielsweise ein Konzept wie das Spenden: Etwas zu geben oder zu tun, ohne dafür entlohnt zu werden. Gerade in Zeiten großer humanitärer Krisen zeigt sich dieser Aspekt der sozialen Interaktion. Doch warum spenden wir überhaupt? Was macht uns zur sozialen Lebensart? Und warum sind diese Fragen nicht nur für unsere Gesellschaft, sondern zum Beispiel auch für die Informationstechnologie relevant?

Menschen sind in der Lage, zu spenden. Das ist in erster Linie noch keine große Erkenntnis. Viele Menschen spenden etwas. Sie spenden Geld an soziale Einrichtungen oder humanitäre Organisationen, betreiben Blutspende, verschenken alte Bücher oder Spiele an Schulen und Kindergärten, und so weiter. Doch was hinter solch kleinen und selbstlosen Aktionen steckt, ist den meisten Menschen nicht bekannt – obwohl es das ist, was unsere Gesellschaft und unser Leben als soziale Wesen auszeichnet.

Wer spendet wie viel und warum?

In der ökonomischen Theorie ging man lange Zeit davon aus, dass Menschen sich in erster Linie egoistisch verhalten, also hauptsächlich auf ihr eigenes Wohl bedacht sind. Diese angenommene Geiz-ist-geil-Mentalität ist mittlerweile aber weitestgehend überholt. Etliche Experimente und Studien belegen, dass Menschen beinahe aller Schichten und Klassen gerne zu sogenanntem prosozialem Verhalten bereit sind, also anderen helfen, sie unterstützen oder eben auch spenden. Zwar gibt es gewisse gesellschaftliche Unterschiede – Frauen spenden mehr als Männer, Alte spenden mehr als Junge, etc. - doch der Akt des Spendens an sich gewinnt gerade in den letzten Jahren wieder mehr an Bedeutung.

Alleine die Deutschen spendeten im vergangenen Jahr bis zu sieben Milliarden Euro. Bräche man diese Summe auf alle deutschen Staatsangehörigen herunter, würde das bedeuten, dass jeder Mensch in Deutschland rund 80 Euro gespendet hat – eine absolute Rekordzahl. Deutsche Spendenorganisationen gehen davon aus, dass sich die hohe Summe aus der Zahl der großen humanitären Katastrophen dieses Jahres erklären lässt, beispielsweise das Erdbeben in Nepal oder die ersten großen Flüchtlingswellen. Andere Arten von Spenden – zum Beispiel Blutspenden – tauchen in dieser Erhebung überhaupt noch nicht auf.

Was bewegt uns zum Spenden?

Der Mensch ist, da ist sich die Wissenschaft weitestgehend einig, die einzige Gattung der Erde, die zu sozialer Kognition und zu sozialem Umgang fähig ist. Dazu gehört beispielsweise, dass wir in der Lage sind, anhand des Verhaltens unserer Mitmenschen zu erkennen, wie sie sich fühlen, aber eben auch das Spenden. Zu spenden, also eine Leistung zu erbringen, ohne eine adäquate Gegenleistung zu erhalten (also das absolute Gegenteil der ökonomischen Theorie), ist uns als Spezies eigen. „Indirekte Reziprozität“ heißt dieses soziale Kalkül in Fachkreisen; ein Phänomen, das unter anderem in der Sozialen Neurowissenschaft thematisiert wird.

Das „Soziale Gehirn“ wird in Biologie, Mathematik, Soziologie, Psychologie und auch in den Wirtschaftswissenschaften erforscht. Grundthese ist, dass unser großes menschliches Gehirn die Folge von Jahrmillionen der sozialen Gemeinschaft ist, in denen gegenseitige Kooperation die Grundlage unseres Überlebens war. Anders ausgedrückt: Ohne die Fähigkeiten zur sozialen Kognition hätte der Mensch als Spezies überhaupt nicht überlebt.

Geld, das allen gehört

Computer sozialisieren und Autisten heilen – Ist das bald möglich?

Auch für die Informationstechnologie sind diese Erkenntnisse und Theorien interessant, denn ein tieferes Verständnis davon, wie unser soziales Gehirn funktioniert, könnte uns in die Lage versetzen, auch soziale Maschinen zu entwerfen, also Computer, die beispielsweise in der Lage sind, menschliche Gefühle zu erkennen oder bei Bedarf Trost zu spenden. Ein anderes Ziel der sozialen Neurowissenschaft ist beispielsweise die Heilung von Störungen, mit der sozialen Kognition zusammenhängen – beispielsweise Autismus oder Asperger.

Zwar sind wir von beiden Zielen noch weit entfernt, da wir immer noch nicht ganz verstehen, wie unser Soziales Gehirn eigentlich genau funktioniert, dennoch wird weiterhin daran gearbeitet. Die Neurowissenschaftlerin Rebecca Saxe erklärt: „Es ist gut möglich, dass wir ein umfassendes Verständnis zu meinen Lebzeiten nicht entwickeln werden. In der Zwischenzeit werde ich alles Erdenkliche dafür tun, dass wir auf dem Weg zu diesem größeren Ziel kleine Fortschritte machen.“