VON MAXIMILIAN REICHLIN | 27.05.2016 16:08

Was muss Satire? Warum Böhmermanns Gedicht wichtig war

Die Frage, die spätestens seit Ausbruch des Böhmermann-Skandals alle beschäftigt, ist: Was darf Satire? Wenn es nach dem deutschen Schriftsteller Kurt Tucholsky geht, dann darf sie alles. Aber Tucholsky ist seit über 70 Jahren tot. Zeit also, diese Behauptung noch einmal kritisch zu hinterfragen. UNI.DE unternimmt eine Zeitreise, betrachtet Fälle von satirischen Staatskrisen und geht der Frage nach, wozu Satire überhaupt gut ist.

Noch immer sind nach Jan Böhmermanns öffentlichem Schmähgedicht die Wogen zwischen Deutschland und dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nicht geglättet. Zwar ist Böhmermann nach kurzer Auszeit wieder auf Sendung, doch ein Ende der Rechtsstreitigkeiten zwischen ihm und Erdogan ist noch nicht in Sicht. Nun steht nicht nur das Landesgericht Hamburg vor der dringlichen Frage: Was darf Satire? Nicht zum ersten Mal ist diese Fragestellung relevant, denn nicht zum ersten Mal schlägt die Satire so hohe juristische und außenpolitische Wellen.

Von Carrell zu Sonneborn – Wenn Satire zur Staatssache wird

Die Geschichte, gerade die deutsche, bietet uns einen reichen Schatz an Beispielen dafür, wie satirische Beiträge zur Staatskrise avancieren können. Für mächtig Rummel sorgte zum Beispiel 1987 ein Beitrag in Rudi Carrells „Tagesshow“, in dem der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini von verschleierten Groupies mit Unterwäsche beworfen wurde. Diese Montage führte binnen kurzer Zeit zur Schließung der iranischen Konsulate in Hamburg und Frankfurt. Flüge von Iran nach Deutschland wurden gestrichen, der iranische Botschafter verlangte eine Entschuldigung. Anders als im Fall Böhmermann reagierte das auswärtige Amt damals allerdings noch mit einem Schulterzucken und Verweis auf die Pressefreiheit: „Wenn Dritte etwas machen, können wir es nur bedauern.“

Die UNESCO-Erklärung von Prinzipien der Toleranz

Die deutsche Mediengeschichte ist voll von solchen Fällen. Ob Martin Sonneborn chinesische Besucher durch falsche Übersetzung Regimekritik üben lässt oder die taz den polnischen Präsidenten Kaczynski als „Kartoffel“ und „Schurken“ brandmarkt – Satire hat, quasi schon per definitionem, das Potential, Menschen sehr sehr wütend zu machen. Böhmermann ist da nur die Spitze des Eisbergs. Eine spitze Spitze, denn offensichtliche Beleidigungen wie in Böhmermanns Erdogan-Gedicht sind dann doch ein Novum.

Aber eben auch ein Statement, ein Statement auf die relative Harmlosigkeit des extra 3-Videos, auf das sich dieser ganze Skandal zurückführen lässt, und ein Statement auf Erdogans überzogene Reaktion auf diesen relativ harmlosen Beitrag – gekontert mit dem eben nicht so harmlosen Beitrag von Böhmermann. Beleidigung eines Staatsoberhauptes oder nicht: Eine satirische Reaktion von deutscher Seite auf die Reaktion von türkischer Seite war in jedem Falle gerechtfertigt. Ob sich Böhmermann in diesem speziellen Fall in den Mitteln vergriffen hat, und ob nun ein Straftatbestand vorliegt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Von Astor zu Böhmermann – Worum geht es hier überhaupt?

Nähern wir uns dem Sachverhalt doch einmal aus einer anderen Richtung: Warum darf etwa der bayerische Kabarettist Willy Astor ein auf seinen Kollegen Ottfried Fischer gemünztes Lied mit den Worten ausschmücken, der Besungene sei „rein optisch ein Walfischkadaver“, aber Böhmermann darf nicht sagen...was er eben gesagt hat? (Darf man das eigentlich noch zitieren? Ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Lassen wir es lieber.) Einfache Antwort: Wo kein Kläger, da kein Richter. Gabriele Rittig, Rechtsberaterin des Satire-Magazins „Titanic“, sagte einmal: Je gefestigter die Position einer öffentlichen Person ist, desto weniger geht diese Person gegen satirische Beiträge vor. Oder auch: Ein getretener Hund bellt nunmal.

Vielleicht ist deswegen nicht die Frage entscheidend, was Satire darf oder nicht darf, denn sie darf ja offensichtlich tatsächlich alles, solange sich niemand beschwert. Hätte Erdogan auf extra 3 und Böhmermann reagiert, wie Ottfried Fischer auf Willy Astor, würden wir diese Diskussion überhaupt nicht führen. Auf der anderen Seite haben auch harmlose Beiträge wie Carrells Höschen-Video, obwohl nicht ansatzweise so derb wie das Schmähgedicht auf das türkische Staatsoberhaupt, eben auch das Potential zur Explosion. Vielleicht wäre also die Frage relevanter: Wer hat eigentlich etwas dagegen?

Von Chomeini zu Erdogan – Was muss Satire?

Diese Überlegung führt zu mich zu einem einfachen und profanen Schluss: Wenn wir uns ansehen, welche Akteure der globalen Politik gegen die Freiheiten der Satire vorgehen, finden wir Menschen wie Ajatollah Chomeini, der gerne Nicht-Muslime gejagt und politische Gegner in Massen hingerichtet hat. Wir finden die chinesische Regierung, die gerne die Rechte von Journalisten und Presse beschneidet. Wir finden Erdogan, der... schaut euch einfach nochmal das Video von extra 3 an, dann wisst ihr, worauf ich hinaus will.

Kurz und gut: Wir finden Menschen, gegen die sich Satire richten sollte, immer und überall, ob sie nun beleidigt (wofür dann die Konsequenzen getragen werden müssen) oder nicht. Denn schließlich ist die Frage nicht, was Satire „darf“, sondern, was Satire „muss“. Und sie muss – Menschen wie Erdogan aufs Korn nehmen. Bei Ottfried Fischer bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube, von ihm geht keine unmittelbare Gefahr aus.