VON CLEMENS POKORNY | 29.04.2013 15:53

Anti-Terror-Datei: notwendiges Instrument oder Überschreitung von Kompetenzen?

Die „Anti-Terror-Datei“ vereint Datenbanken der deutschen Polizeibehörden und der Geheimdienste und verwischt so das Trennungsgebot zwischen beiden Institutionen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat dies jetzt nur bedingt als verfassungswidrig zurückgewiesen – das zugrundeliegende Gesetz bleibt ein gefährlicher Eingriff in die Grundrechte jedes Menschen.

Gut fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beschlossen Bund und Länder die Einrichtung einer Datenbank, in der Informationen dutzender Teildatenbanken von Polizei und Nachrichtendiensten gebündelt werden. Mit dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, dem Bundesnachrichtendienst, 16 Landeskriminalämtern und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz haben auf der Grundlage des „Gemeinsame-Dateien-Gesetzes“ seither insgesamt 38 verschiedene Ermittlungsbehörden sowie die Staatsanwaltschaften Zugriff auf die Anti-Terror-Datei. Durch diesen Informationsaustausch soll terroristischen Netzwerken ein „Netzwerk der Sicherheit“ entgegengestellt werden, wie der SPD-Politiker Klaus Uwe Benneter prägnant formulierte.

Der Gläserne Mensch

Seit 2007 sind mittlerweile rund 18.000 Datensätze über etwa zu 80% im Ausland lebende Personen gespeichert. Relevante Informationen sind dabei: Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen, Waffenbesitz, Telekommunikations- und Internetdaten, Bankverbindungen und Schließfächer, Schul- und Berufsausbildung, Arbeitsstelle, Familienstand, Religionszugehörigkeit, Verlust von Ausweispapieren, Reisebewegungen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristischem Hintergrund (z.B. in Ausbildungslagern). Wenn eine Person ins Visier einer der beteiligten Behörden gerät, kann diese die Anti-Terror-Datei nach weiteren Daten abfragen. „Offen“ gespeicherte Informationen lassen sich sofort einsehen, „verdeckte“ – meist wohl von Geheimdiensten erhobene – nur, wenn der betroffene Nachrichtendienst die Anfrage von sich aus beantwortet. In der Anti-Terror-Datei hat der Gesetzgeber nur Datenbanken versammelt, die bereits existierten, es wurden und werden keine neuen Daten erhoben.

Als problematisch betrachten Kritiker aber vor allem den mit dem Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten verbundenen Verstoß gegen das Trennungsgebot dieser Institutionen, das – wiewohl rechtlich umstritten – historisch (Rolle der Gestapo in der NS-Zeit) sowie funktionell begründet wird: Die Aufgaben von Nachrichtendiensten und Polizei sollen nicht vermischt werden. Unter Berufung auf diesen Grundsatz hatte ein pensionierter Richter vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Anti-Terror-Datei geklagt. Am 24. April 2013 hat das oberste deutsche Justizorgan diese Einschätzung teilweise zurückgewiesen und die Anti-Terror-Datei grundsätzlich gebilligt, wenn auch unter Auflagen. Die Richter bemängelten unter anderem, dass auch Informationen über „Kontaktpersonen“ von Verdächtigen gespeichert werden dürfen, auch wenn diese gar nicht wissen, dass sie mit Kriminellen verkehren. Auch das bloße Befürworten von Gewalt reiche für eine Erfassung nicht aus. Die Unterstützung „rechtswidriger Gewalt“ dagegen schon: Ein völlig schwammiger Terminus, unter den auch Teilnehmer einer friedlichen Sitzblockade subsumiert werden könnten. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern dürfen ferner in regelmäßigen Abständen den Bestand der Anti-Terror-Datei prüfen. Dem Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten soll schließlich immerhin bedingt dadurch Rechnung getragen werden, dass weniger Ermittlungsbehörden auf weniger Geheimdienstinformationen zurückgreifen dürfen – Näheres möge der Gesetzgeber regeln, der bis Ende 2014 Zeit bekommt, das Urteil umzusetzen. Solange werden auch unbescholtene Bürger – nach Schätzungen der Bundesregierung 3300 Personen oder 18,5% der Gespeicherten – in der Anti-Terror-Datei gespeichert bleiben, ohne die Möglichkeit, falsche Informationen über sich löschen zu lassen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2006 die Anti-Terror-Datei als „weiteren Schritt auf dem Weg zur Überwachungsgesellschaft“. Der Linkspartei-Politiker Oskar Lafontaine wies polemisch darauf hin, dass nach dem Terrorismusbegriff des Gesetzentwurfs auch Mitglieder des Bundestags oder der ehemalige US-Präsident George W. Bush in die Datei aufgenommen werden müssten: Denn es seien Daten über Personen zu speichern, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwendeten, wie in den völkerrechtswidrigen Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan geschehen, für die die Genannten verantwortlich seien. Thomas Darnstädt vom „Spiegel“ kritisierte nach dem Urteil, dass deutsche Behörden nicht immer nachvollziehen könnten, ob Informationen über nicht-deutsche Verdächtige von den ausländischen Kollegen auf rechtsstaatliche Weise gewonnen worden seien, diese Daten aber dennoch nutzten. Und Kai Biermann von der „Zeit“ stellte fest, dass Bundesverfassungsgericht habe erstmals eindeutig Sicherheit vor Freiheit gesetzt und sich dabei sogar der Rhetorik der „Alternativlosigkeit“ bei der Vermischung von Polizei- und Geheimdienstaufgaben seitens der Sicherheitsbehörden zu eigen gemacht. Ob das reformierte Konzept der Anti-Terror-Datei einen rechtlich befriedigenden Ausweg aus dem Dilemma zwischen der notwendigen Anpassung der Sicherheitsbehörden an die Bedrohungen des globalisierten Terrorismus einerseits und den verfassungsmäßigen Geboten der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit andererseits weisen wird, bleibt abzuwarten.