VON MAXIMILIAN REICHLIN | 02.11.2015 15:43

LKA und Verfassungsschutz sammeln Daten von Demonstranten

Jüngst veröffentlichte vertrauliche Dokumente sollen belegen, dass nach der Polizeidirektion Göttingen auch das LKA in Berlin eng mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet, wenn es um die Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten von Demonstrantinnen und Demonstranten geht. Diese Praxis ist, laut der Meinung von Datenschützern und einiger Verwaltungsgerichte, absolut rechtswidrig. Dennoch sind neue Fälle bekannt geworden. Wird dadurch die Versammlungsfreiheit bedroht?


Verschiedene Polizeidirektionen und LKAs in Deutschland haben über Jahre hinweg personenbezogene Daten von Demonstrantinnen und Demonstranten gespeichert und offensichtlich auch an den Deutschen Verfassungsschutz weitergegeben. Das geht sowohl aus Medienberichten als auch aus Recherchematerial der Plattform netzpolitik.org hervor. So waren etwa im Vorfeld von Demonstrationen und ähnlichen Veranstaltungen die Namen, Adressen und Telefonnummern der Anmelder erfasst worden.

Verlaufsberichte enthalten sensible Daten

In mindestens 25 Fällen waren so beispielsweise in Göttingen in Niedersachsen die Daten von Demonstranten in sogenannten Verlaufsberichten aufgetaucht, die anschließend per E-Mail an weitere Dienststellen sowie an den Verfassungsschutz verteilt wurden. Ähnlich verfährt das LKA Berlin. Auch hier werden die Daten von Demo-Anmeldern gesammelt, über drei Jahre auf Vorrat gespeichert und an den Verfassungsschutz übermittelt.

Ob es sich bei der entsprechenden Veranstaltung um eine friedliche Demonstration handelt oder ob es Ausschreitungen gegeben hat, hat zunächst keinen Einfluss auf das Sammeln der Daten. Auch ob es sich um einen politischen Protest, eine Mahnwache oder eine Lichterkette handelt, oder ob die Veranstaltung einen links- oder rechtspolitischen Hintergrund hat, spielt für den Verfassungsschutz offenbar keine Rolle. Neben den Daten der Demo-Anmelder werden unter anderem auch Angaben zu anwesenden Pressevertretern gemacht und Auffälligkeiten notiert. So etwa die Anwesenheit von insgesamt „sieben Personen, die mit Westen der Piratenpartei bekleidet“ auf einer Demo in Hannover erschienen (Zitat aus dem dazugehörigen Verlaufsbericht).

Personengebundene Hinweise machen jeden Menschen zum Straftäter

Der Speicherung fehlt die rechtliche Grundlage

Datenschützer sehen in dieser Praxis einen klaren Eingriff sowohl in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als auch in die Versammlungsfreiheit. Zu diesem Urteil gelangte auch das Verwaltungsgericht in Göttingen und räumte die Praxis deswegen im vergangenen Juli als rechtswidrig ein. Fünf Betroffene hatten gegen die Polizeidirektion auf sofortige Löschung der Daten geklagt. Diese sei erfolgt, so die Polizeidirektion. Man wolle nun auch den Verfassungsschutz um Löschung ersuchen.

Nun sind durch vertrauliche Dokumente, die netzpolitik.org zugespielt worden sein sollen, weitere Fälle in Berlin bekannt geworden. Die veröffentlichten Berichte des LKA enthalten dabei nicht nur personenbezogene Daten sondern auch Informationen, die nicht aus öffentlicher Quelle stammen sowie Angaben zu bereits eingestellten Verfahren – ob der Anmelder oder die Anmelderin in der Vergangenheit zum Beispiel aktenkundig geworden ist. Auch diese LKA Berichte waren über einen E-Mail-Verteiler an den Verfassungsschutz gegangen.

Was können Betroffene tun?

Diese von Datenschützern und Initiativen als kritisch eingestuften Praktiken des LKA gleichen dem sogenannten „Predictive Policing“, also der Sammlung und Speicherung von Personendaten zur Verbrechensverhütung. Dieses Vorgehen war bereits im Jahr 2012 vom Oberverwaltungsgericht in Koblenz für gesetzwidrig erklärt worden. Ob nun auch die bekannt gewordenen Fälle in Berlin zur Anklage kommen werden, und wie sich LKA und Verfassungsschutz in diesem Falle verhalten werden, wird sich zeigen.

Die Initiative „Bürger beobachten Polizei und Justiz“ rät Anmelderinnen und Anmeldern von Protestveranstaltungen in jedem Falle aktiv zu werden, und sich bei der zugehörigen Polizeidirektion oder dem LKA selbst um Einsicht in die Verlaufsberichte zu bemühen, um rechtswidrig gespeicherte Daten bei Bedarf löschen zu lassen. Es stehe zu befürchten, dass die Fälle in Göttingen und Berlin keine Einzelfälle sind.