VON CLEMENS POKORNY | 02.11.2012 12:15

Sicherheit vor Terrorismus oder Freiheit statt Angst?

Mit der Globalisierung kann sich auch der internationale Terrorismus immer effektiver vernetzen. Die Antworten der Sicherheitsbehörden greifen oft tief in die Freiheits- und Bürgerrechte der Menschen ein und sorgen nicht für Sicherheit, sondern Angst.

Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens in Skandinavien verzichten bekanntlich häufig auf Bodyguards, sie haben keine Angst um ihr Leben. Die Anschläge von Oslo und Utøya haben daran nichts geändert – während in Deutschland viele meinten, dass diese Taten eines rechtsextremen Verrückten durch mehr Sicherheitsvorkehrungen, u.a. durch schärfere Polizeigesetze, hätten verhindert werden können. Die PISA-Sieger und Wohlfahrtsstaaten als sorglose Gesellschaften, in deren Großstädten man miteinander umgeht wie auf dem Dorf? Und in welchem Verhältnis stehen Freiheit und Kontrolle bei uns; in welchem sollten sie stehen?

Der kugelsichere Armani

In Norwegen haben die Terroranschläge im Juli 2011 keine Verschärfung der Vorkehrungen zur inneren Sicherheit nach sich gezogen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte zwei Tage nach den Morden im Gedenkgottesdienst für die Opfer: „ ...wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“ In Deutschland folgte dagegen schon auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA eine Beschneidung von Freiheitsrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien, die es in diesen Ausmaßen noch nicht gegeben hatte. Die Ausweitung des Großen Lauschangriffs und die Vorratsdatenspeicherung wurden zwar bald als offensichtlich grundgesetzwidrig vom Bundesverfassungsgericht kassiert, aber dafür bedurfte es erst einmal der Klagen engagierter Bürger gegen ihren eigenen Staat. Und andere Maßnahmen wie die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, biometrische Reisepässe sowie die Einrichtung eines gemeinsamen Lage- und Analysezentrums von Polizei und Nachrichtendiensten in Berlin, welche die gesetzlich gebotene Trennung dieser Institutionen ignoriert, haben weiterhin Bestand. Nach dem Verbot der Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2010 scheint den Gegnern der Verschärfung der Maßnahmen zur Inneren Sicherheit, die sich im Bündnis „Freiheit statt Angst“ zusammengeschlossen haben, der lange Atem abhanden zu kommen.

Gegen Terrorismus aber helfen Maßnahmen wie die oben genannten nur bedingt. Schon in der Antike gab es politisch motivierte Attentate, und sie ereignen sich trotz immer schärferer Überwachung und Kontrolle bis heute. Mit der Globalisierung wurde es zwar einerseits für Terrororganisationen leichter, sich national und international zu vernetzen, aber gleichzeitig nahmen auch die Möglichkeiten der Polizei zu – auch ganz ohne die Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten. Die Antwort auf RAF, IRA, ETA oder al-Qaida kann daher nach Ansicht vieler zivilgesellschaftlicher Beobachter nicht darin bestehen, große Bevölkerungsteile oder gar ganze Nationen unter Generalverdacht zu stellen. Auch wer „nichts zu verbergen“ hat, besitzt unveräußerliche Rechte wie das auf informationelle Selbstbestimmung und eine Privatsphäre, in die der Staat nicht auf bloßen Verdacht hin eindringen darf. Das sollte man gerade in einem Land, das zwei Diktaturen erlebt hat, nicht vergessen. Denn, wie es der SZ-Redakteur Heribert Prantl einst formulierte: „Die Sicherheitsapparate eines Polizeistaats dürfen alles, was sie können. Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaats können alles, was sie dürfen.“ Die Alternative zu unseren bürgerlichen Freiheitsrechten ist nicht die Freiheit von Terror – sondern Angst.