VON JASCHA SCHULZ | 20.11.2015 14:41

Die Initiative „Wir sind Deutschland“ als gemäßigte Alternative zu Pegida?

In Plauen bildete sich als Reaktion auf das Abdriften von Pegida in die Nähe des Rechtsextremismus die Initiative „Wir sind Deutschland“. Diese versteht sich als Volksinitiative, die besorgten Stimmen ein Forum bieten möchte, dabei allerdings weder „rechts“ noch „links“ sein will. UNI.DE untersucht, inwiefern der Initiative dies gelingt und ob die Abgrenzung zu Pegida tatsächlich funktioniert.

In Deutschland stehen Gruppierungen Rechts der Mitte mittlerweile unter starkem Positionierungsdruck. Die Flüchtlingskrise beherrscht zurzeit die politische und mediale Agenda in Deutschland. Ein Thema also, bei dem Fragen der Grenzziehung (Obergrenzen, Flüchtlingszahlbegrenzung, Abgrenzung) und Fragen der Identität der Gesellschaft im Zentrum stehen. Dies sind bestimmende Themen rechtsextremer Gruppierungen. Deshalb wird es für Parteien und Gruppierungen Rechts der Mitte zur Aufgabe, sich von deren Positionen abzugrenzen, um in der Öffentlichkeit nicht als „rechts“ zu gelten. AFD und Pegida haben dies versucht, sind allerdings nach Meinungen vieler gescheitert. Immer häufiger werden beide Organisationen offen als rechtsextrem bezeichnet, zumindest mit rechter Hetze in Verbindung gebracht.

Als Sigmar Gabriel im August Asylgegner in Dresden als „Pack“ bezeichnete, nahmen diese die Beschimpfung als Lob. Die Gemeinschaft „Wir sind das Pack“ hat mittlerweile über 60.000 Facebook Fans. Als Alternative zu dieser Gemeinschaft und zu Organisationen wie Pegida hat sich in Plauen im Vogtland „Wir sind Deutschland“ (WsD) gegründet. Die Initiative versucht die Sorgen deutscher Bürger in einen sachlichen Diskurs zu überführen und eine tatsächliche „Stimme des Volks“ zu werden. Am 22. November findet nun bereits die 10. WsD Sonntagsdemo statt. Durchschnittlich sind gut 4.000 Personen bei den Veranstaltungen. In Bautzen in der Lausitz startete letzten Sonntag der erste Ableger der Initiative. Auch eine Ausweitung nach Dresden ist geplant. Hier möchte man in direkte Konkurrenz zu Pegida treten und nach Informationen der taz „zwei Drittel der Pegida-Demonstranten umlenken".

Unterordnung und Assimilierung

Nicht ganz rechts – nicht ganz links; Nicht ganz Gutmensch – nicht ganz Pack. Diese Worte stehen auf dem Logo der Initiative, das eine Deutschland-Flagge im Hintergrund zeigt. Darunter prangt der Schriftzug „Wir sind Deutschland. Gemeinsam sind wir stark“. Natürlich drängt sich hier die Frage auf, wen das „gemeinsam“ inkludieren soll: Jeden, der einen deutschen Pass hat? Jeden, der in Deutschland wohnt? Deutschland plus Flüchtlinge? Ein Veranstaltungsaufruf lässt erkennen, dass WsD die übliche Themenagenda rechter bis rechtsextremer Organisationen zumindest teilweise abdeckt: Es soll zum Beispiel über die einseitige Berichterstattung deutscher Medien (der Begriff Lügenpresse fällt nicht) sowie über Probleme mit den Flüchtlingen (der Begriff Asylmissbrauch fällt durchaus) gesprochen werden. Das Themenspektrum bleibt allerdings vielfältig. Einige Medienvertreter haben deshalb Demos von WsD besucht, um Aufschluss über das fremdenfeindliche Potenzial der Initiative zu erhalten.

Was die Umzüge vor allem von den Pegida Demos unterscheidet, ist der Ton. Es gibt weder Fahnen, noch Transparente, weder Sprechchöre noch Hooligans. Die Verantwortlichen sehen ihre Bühne als freies Redeforum an, auf dem jeder seine Meinung äußern darf. Auch die Reden laufen größtenteils sachlich ab. Die Themen sind auch hier weit gestreut. Es geht von Kritik an TTIP über kostenlose Essensversorgung an Schulen über die Notwendigkeit von Volksentscheiden, um der herrschenden Klasse entgegenzutreten. Deutlich wird: WsD ist eine Vereinigung der Besorgten. Nichts scheint den Rednern zufolge in Deutschland auf die Belange und die Zukunft des Volks ausgerichtet zu sein. Auch hier ist aber vor allem die Flüchtlingsthematik bestimmendes Thema. Es werden Sorgen geäußert und die Willkommenspolitik von Angela Merkel kritisiert. Pauschale Verurteilungen von Flüchtlingen scheinen nach Angaben verschiedener Medien die Ausnahme zu sein. Auch die links-eingestufte taz veröffentlichte einen Artikel, indem sie gemäßigt über die WsD Veranstaltungen urteilt. Trotzdem ist auffällig, dass es nahezu bei jeder Demo einen Redebeitrag gibt, indem hetzerische Äußerungen gegenüber Flüchtlingen getätigt werden und diese etwa mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Dies legt zumindest nahe, dass Organisationen, die sich kritisch gegenüber einer Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen zeigen, rechtsextreme Stimmen anziehen.

Eine deutlich kritischere Einstellung zu WsD vertritt das Internet-Portal Netz gegen Nazis. Hier wird beklagt, dass flüchtlingsfeindliche Beiträge von den Teilnehmern und Verantwortlichen nicht nur geduldet, sondern gar beklatscht werden. Sie sehen die Distanzierung von Pegida und Co. deshalb eher als Taktik und nicht tatsächlich als inhaltliche Abgrenzung an. Ihrer Ansicht nach ist es lediglich ein Kniff von WsD, durch den gemäßigten Ton ihr fremdenfeindliches Gedankengut einer möglichst breiten Zielgruppe zu vermitteln. Fernab von der ‚Hooligan‘ Atmosphäre von Pegida und von dem Stereotyp des schreienden Hetzers, versuche WsD rechte Einstellungen salonfähig zu machen. Der Gedankengang dahinter: Die bürgerliche Mitte folgt vielleicht keinem Bachmann oder einem polternden Höcke, doch vielleicht einer Vereinigung, die als gemäßigtes, multithematisches Redeforum für tatsächlich ‚Besorgte‘ daherkommt.

Der Trend, dass rechtes Gedankengut die Mitte der Gesellschaft erreicht, ist jedoch schon seit der Verschärfung der Flüchtlingskrise zu beobachten. WsD könnte deshalb beispielhaft für die Möglichkeit stehen, dass eine Vereinigung sich in Zukunft zwar in der Mitte verortet, auch dieser Mitte zugeordnet wird, allerdings trotzdem mit rechten Thesen aufwartet. Dass Netz-gegen-Nazis diese Einstellung nicht unbegründet vertritt, zeigt die Reaktion des Moderators von WsD auf eine rechtsradikale Hetzrede einer jungen Frau beim zweiten Sonntagsumzug. Der Moderator dankte ihr für den "ehrlichen" Beitrag, der "vielen aus dem Herzen spreche" und fügte an: "Manche werden das schon wieder als Volksverhetzung und Diskriminierung auffassen. Eigentlich schade." Unter den Aussagen der Frau fand sich unter anderem die Behauptung, dass sämtliche „Asylschmarotzer“ gewalttätig, asozial und undankbar seien. Wenn Äußerungen dieser Art allerdings nicht mehr als hetzerisch und diskriminierend gelten, dann kann man tatsächlich mehr als besorgt um Deutschland sein.