VON MAXIMILIAN REICHLIN
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20.09.2015 12:56
Initiativen und Forschungsprojekte wollen Landflucht aufhalten
Die Städte wachsen, das Land schrumpft. Ein bekanntes Problem, das gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten vermehrt dazu führt, dass kleine Dörfer in ländlichen Regionen noch kleiner werden. Verschiedene Initiativen versuchen, Lösungsansätze für diese Probleme zu finden, um die Landflucht einzudämmen und Dörfer und Kleinstädte wieder attraktiver zu machen. UNI.DE über den Kampf gegen die sinkenden Einwohnerzahlen.
Immer mehr Menschen, vor allem junge Familien oder frisch verheiratete, ziehen von den ländlichen Regionen in die Städte. Landflucht nennt sich dieses Phänomen, das gerade in den letzten Jahrzehnten zu einem großen Problem wird. Zwar leben noch gut zwei Drittel aller Deutschen auf dem Land, doch die Zahl schrumpft. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung wird sich dieser Trend noch weiter fortsetzen. Dann wird sich die Bevölkerung in gewissen Regionen innerhalb der kommenden 15 Jahre drastisch reduzieren – um bis zu 26 Prozent. Grund dafür sind oft unzureichende Nah- und Fernverkehrsangebote, fehlende ärztliche Versorgung oder schlechtes Internet.
Fehlende Versorgung führt zur Landflucht
Dadurch wird ein wahrer Teufelskreis in Gang gesetzt: Wenn immer mehr Menschen wegziehen, senkt das die Nachfrage für kleine Läden oder inhabergeführte Spezialgeschäfte – Bäcker und Metzger – die dann ihren Standort auch aufgeben. In einer zweiten Welle verschwinden dann Supermärkte und Discounter. Das Ergebnis: Die verbliebenen Einwohner der Dörfer und Kleinstädte müssen immer weiter fahren, um einkaufen zu gehen, ziehen möglicherweise selbst weg in die dichter besiedelten Gebiete. Und dann geht alles wieder von vorne los, wie in einer Spirale. Landflucht führt zu Landflucht. Ein „Sterben von Innen nach Außen“ nennt es Uwe Brandl, Präsident des bayerischen Gemeindetages.
Mit weniger mehr erreichen
Suffizienz bedeutet Genügsamkeit im Verbrauch. Doch was steckt eigentlich dahinter und welchen Stellenwert hat Suffizienz in der Nachhaltigkeitsdebatte? UNI.DE berichtet
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Es fehlt an allen Ecken und Enden. Die Nahversorgung mit Lebensmitteln liegt oft brach, es gibt kaum Nahverkehr, es fehlt an kulturellen Angeboten, an Dienstleistungen und medizinischer Versorgung. Professor Peter Rieder, Agrarökonom von der ETH in Zürich und selbst Sohn eines kleinen Bergdorfes im Schweizer Kanton Graubünden,
erkennt einen Grund für die Landflucht: Jeder Mensch, egal, wo er lebe, habe heute die gleichen Bedürfnisse. „Kultur. Finanzieller Profit. Ein Sozialleben.“ Ohne funktionierende Infrastruktur ist nichts davon möglich. Deswegen existieren schon seit einiger Zeit Initiativen und Projekte, um den gefährlichen Trend der Landflucht langsam aufzuhalten. Mit teilweise verrückten und verschrobenen Ideen.
Genossenschaftsmärkte könnten die Landflucht stoppen
Genossenschaftsmärkte sind eine solche Idee. Sie vereinen den eigentlich bereits ausgestorbenen Tante-Emma-Laden mit einer Apotheke, einem Café, einer Postfiliale, alles in einem und alles zentral. Getragen werden solche Läden, wie der Name schon sagt, von Genossenschaften, in denen sich
die Bürger der Dörfer selbst zusammenschließen. Fünf Säulen sind für einen solchen Laden entscheidend: Lebensmittelversorgung, Kommunikation, Dienstleistungen, soziale und medizinische Versorgung und ein Kulturangebot. Heinz Frey, Gründer des ersten „DORV-Ladens“ (Dienstleistung und ortsnahe Rundumversorgung), berät mittlerweile andere Gemeinden in genau diesem Konzept.
Ähnlich funktioniert das Forschungsprojekt „
Smart Rural Areas“ des Fraunhofer-Instituts. Hier geht es darum, bestehende Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen, etwa durch Carsharing-Varianten, in denen ein Bürger, der zum Einkaufen in den Nachbarort fährt, auch gleich als Taxi und Postbote tätig wird. Zudem sollen Nahverkehr und Landwirtschaft mit Hilfe von hochmoderner Technik verbessert werden – nicht durch die Aufrüstung mit technischem Schnick-Schnack, sondern durch bessere Organisation mit Algorithmen und Kommunikationssystemen. Durch solche Projekte gab es in der Vergangenheit schon die eine oder andere Erfolgsgeschichte – etwa im kleinen Stadtteil Barmen in Jülich bei Düren oder in dem Dörfchen Resse in Niedersachsen. Mittlerweile ziehen immer mehr kleinere Gemeinden nach.