VON LISI WASMER
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14.08.2013 11:45
Prophet in Tweed – McLuhan und das Internet
Ein Tweedanzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Marshall McLuhan sieht seriös aus. Auf Bildern blickt er ernst in die Kamera, meist mit gerunzelter Stirn und einem wachen Blick. Es ist ein Blick in die Zukunft, der mehr sieht, als man in den 1960er Jahren vielleicht gedacht hätte. Schon damals galt der kanadische Literaturprofessor und Philosoph als ein Guru der Massenmedien, aber seine Aussagen galten vor allem dem zu dieser Zeit boomenden Fernsehen. Heute, fast 50 Jahre später, in einem Zeitalter von Facebook, NSA und Wikileaks wirken seine Aussagen geradezu prophetisch. Was wir von ihm über die Massenmedien lernen können. Und über uns selbst.
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Es erinnert ein wenig an George Orwell und seinen Roman „1984“. Da ist ein Mann, der sehr sensibel ist für politische und gesellschaftliche Vorgänge in seiner Umgebung, der in der Lage ist, sie zu reflektieren und in die Zukunft hinein zu extrapolieren. Die Faszination von Orwells Roman rührt eben daher. Und auch wenn der britische Autor weit mehr Menschen ein Begriff sein dürfte als Marshall McLuhan – auch der kanadische Literaturprofessor und Philosoph hatte diese Fähigkeit der Vorwegnahme einer für viele noch völlig im Dunkeln liegenden Zeit.
1968, als das Internet noch nicht mehr war als eine neue Kommunikationstechnologie in den Kinderschuhen und knapp 40 Jahre vor dem Erscheinen von Facebook, prägt Marshall McLuhan zwei Ausdrücke, für die sein Werk auch und gerade aus heutiger Sicht zum Grundstein der Medientheorie zählt. Der erste ist der vom „
global village“, der zweite ist der Grundsatz „the medium is the message“.
Die Prophezeiung des Marshall McLuhan
Was bedeutet das? Das „globale Dorf“ steht für die direkte Nachbarschaft aller Menschen weltweit, wie sie durch die Massenmedien geschaffen wird. Es geht nicht um räumliche Nähe, es geht um Kommunikation. „Das globale Dorf wird nicht von Autos oder Flugzeugen geschaffen, sondern von der unmittelbaren elektronischen Informationsverbreitung“, so McLuhan. Diese Verbreitung wiederum geschehe über die Medien, womit wir bei der zweiten Aussage wären: Das Medium ist die Botschaft.
Was
McLuhan damit meint und was seinem Werk einen so prophetischen Charakter gibt, ist folgendes: Es kommt nicht nur auf den Inhalt der übertragenen Informationen an. Der Weg, über den sie vermittelt werden, trägt unmittelbar und maßgeblich zu ihrem Gehalt bei. Es macht also einen Unterschied, wie ich Nachrichten empfange – auf direktem Weg von einem Menschen zum anderen, über das Fernsehen oder heutzutage eben auch über das Internet und soziale Medien.
Das Medium ist die Botschaft
Aber das gewählte Medium hat nicht nur einen Einfluss darauf, wie ich Informationen empfange und wahrnehme. Es spielt auch eine wesentliche Rolle dafür, wie wir mit den übermittelten Nachrichten umgehen. Der arabische Frühling ist ein gutes Beispiel dafür, welche Chancen, aber auch Herausforderungen beispielsweise die Berichterstattung über das Internet für uns bedeuten. Der Ausdruck der „
Facebook-Revolution“ wird häufig verwendet. Ein Begriff, der leicht missverstanden werden kann. Denn die sozioökonomischen und realpolitischen Gründe für die Aufstände, ebenso wie die zahlreichen Toten der Unruhen sind alles andere als virtueller Natur.
Die Rolle der sozialen Medien war eine andere: Sie halfen den Revolutionären, sich zu organisieren. Sie halfen aber vor allem dabei, den Rest der Welt über die Vorgänge in Nordafrika ins Bild zu setzen. Genau hier liegt jedoch auch die Herausforderung an die Empfänger der so übermittelten Informationen – die Frage nach der Verlässlichkeit der Quellen. Kamen Nachrichten über das Weltgeschehen früher noch von ausgebildeten Journalisten, werden wir heute überschwemmt mit Life-Tickern, Handyvideos und Blogeinträgen, verbreitet von Leuten, deren ethische Einstellungen im Sinne einer unabhängigen, neutralen Berichterstattung wir häufig ebenso wenig kennen wie ihre Namen. Denn es liegt in der Natur der Massenmedien, dass der über sie transportierte Inhalt nicht nur für die Massen, sondern eben auch von ihnen generiert wird.
Das globale Dorf
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere kann all jenen vorgehalten werden, die das Internet und die Massenmedien im Allgemeinen gerne in geradezu verherrlichender Weise als Mittel der Aufklärung anpreisen. Affären wie die um Wikileaks verdeutlichen die Macht dieser Form der Informationsverbreitung. Es geht um das Bedürfnis nach Transparenz. Ein Bedürfnis, das nie leichter befriedigt werden konnte als im Zeitalter von Google und Co.
Der weißrussische Publizist Evgeny Morozov nimmt in einem
Interview für die Aljazeera-Sendung „The Listening Post“ einen differenzierteren Standpunkt ein. Zum einen gibt er zu bedenken, dass eine Vernetzung nicht über Nacht geschehe, nur weil den Menschen die dazu notwendigen Werkzeuge an die Hand gegeben würden. Wie er es sagt: Selbst mit Facebook, Twitter oder Skype gäbe es in Idaho wenig Leute, die sich besonders für Indien interessieren. Die Hoffnungen, die man in die neuen Massenmedien investiert, würden also zwangsläufig enttäuscht. Zum anderen verklärten eben diese Hoffnungen auch den Blick für die Gefahr, die von Massenmedien ausgeht. Er erinnert an McLuhans „global village“, das dieser einst beschrieb als „so groß wie der Planet und so klein wie ein Dorf, in dem jeder seine Nase in fremde Angelegenheiten steckt“. Morozov stellt dem Transparenzbedürfnis das nach Privatsphäre entgegen und argumentiert: so zuträglich die Massenmedien ersterem seien, so schädlich seien sie für letzteres. Die Geschehnisse um Edward Snowden und die NSA geben ihm Recht.
Morozow ist kein Schwarzmaler. Er sieht das Potential und die Macht, die von den neuen Massenmedien ausgehen. Er schätzt sie nur als weniger harmlos ein als viele anderen. Er plädiert für einen sensibilisierten Umgang mit ihnen und sinnhafte Regulierungen, sowohl für Privatpersonen als auch für Regierungen. Die technologische Entwicklung hat uns in gewisser Weise überholt. Jetzt liegt es an uns, einen gesunden Umgang mit diesem kraftvollen Werkzeug zu erlernen.