VON CLEMENS POKORNY | 26.09.2014 13:50

Überall ist Schottland

Schottland, Südtirol, Katalonien, Venetien und einige mehr: Lang wäre eine vollständige Liste aller Regionen alleine in Europa, die sich aus dem Staat, dem sie bisher angehören, lösen möchten. Dabei gibt es viele Gründe für eine solche Sezession – es geht durchaus nicht immer nur ums Geld. UNI.DE geht den Ursachen und Perspektiven separatistischer Bewegungen auf den Grund.

Am Morgen des 19. September 2014 war klar: Schottland bleibt ein Teil des Vereinigten Königreiches. In nur vier der 32 Wahlbezirke hatten sich die Befürworter einer Abspaltung von der britischen Krone durchsetzen können – und das bei einer Wahlbeteiligung von etwa 85%. Ganz offensichtlich hatte die Mischung aus Versprechungen (nämlich noch weitergehender Autonomie) und Drohungen (Schottland verliert das Pfund, Großbanken als wichtige Arbeitgeber wandern ab, vorerst kein Geld mehr aus EU-Töpfen) gewirkt, die die britische Regierung und interessierte Kreise den Schotten in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung präsentiert hatten. Ein Rückschlag für ähnliche separatistische Bewegungen in Europa? Kaum.

Krieg im Paradies

Die Katalanen im Nordosten Spaniens wollen am 9. November ebenfalls über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Dort dürften die Sezessionisten locker in der Mehrheit sein – doch anders als die britische erkennt die spanische Regierung das geplante Referendum erst gar nicht als rechtmäßig an. Nicht wenige Menschen in Südtirol und Venetien wären auch gerne von Italien unabhängig, stellen aber in der Bevölkerung (noch) nicht die Mehrheit. Ähnlich sieht es in Flandern aus, dem Teil Belgiens, in dem vorwiegend Niederländisch gesprochen wird.

Sieht man sich diese Gebiete innerhalb ihrer Staaten an, fällt auf: Es handelt sich durchweg um Regionen mit überdurchschnittlich hoher Wirtschaftskraft, die nicht mehr als Zahlmeister für die ärmeren Landesteile herhalten wollen. Schottland blieb lange Zeit gerne in der Union mit England und den anderen Teilen des britischen Empires – bis in den 1960er-Jahren Öl in der Nordsee vor Schottland entdeckte wurde, geschätzt doppelt so viel wie vor der englischen Küste. Auch die Katalanen haben ein deutlich höheres Pro-Kopf-Einkommen als die übrigen Spanier, und unter den Norditalienern gibt es viele, die sich daran stören, dass sie den armen Süden des Landes durchfüttern müssen.

Doch mangelnde (finanzielle) Solidarität mit den Landsleuten ist nicht der einzige Grund für Sezessionsbestrebungen. Viele Südtiroler fühlen sich Österreich zugehörig und nicht Italien, dem die Region nach dem 2. Weltkrieg zugefallen war und das sie seither mit verschiedenen Mitteln zu italianisieren versucht. Gerade in Osteuropa und auf dem Balkan empfinden viele Ethnien kulturelle Differenzen zu den anderen Bewohnern des Landes, in dem sie leben. Sie fühlen sich entweder, wie die separatistischen Südtiroler, einem anderen Staat zugehörig (z.B. die ungarischen Szekler in Rumänien) oder versuchen, einen ganz eigenen Staat durchzusetzen. Letzteres ist dem Kosovo gelungen, den „georgischen“ Abchasiern nicht – wenn man dies nach der internationalen Anerkennung des jeweiligen Landes bemisst.

Denn ob sich Teile eines Landes abspalten und einen eigenen Staat gründen können, mag zwar völkerrechtlich umstritten sein. Historisch gesehen haben sich Staatengebilde aber immer wieder verändert, und de facto unabhängig ist ein Staat auch nur dann, wenn er wenigstens von einer Mehrzahl der anderen Staaten auf der Welt als solcher anerkannt wird. Die separatistischen Bewegungen in Schottland und anderen Gebieten zeigen, dass der 2. Weltkrieg zwar als historische Zäsur im Hinblick auf territoriale Veränderungen Deutschlands angesehen werden mag (sieht man vom Saarland und dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik ab). Aber das gilt nicht für den Rest Europas. Das Beispiel Schottland zeigt indes, dass eine Region hohe Hürden überwinden und große Risiken in Kauf nehmen muss, wenn sie sich selbstständig machen will – und dass es zumindest für die heute politisch tonangebende Generation sinnvoller sein kann, ihre Unabhängigkeitsträume zu verschieben. Das mag schmerzen in einer Zeit, da immer mehr Kompetenzen auf die internationale Ebene (EU) verlegt werden und die Regionen acht geben müssen, dass sie ihre kulturelle Identität nicht verlieren. Doch um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eben nicht zwingend eines eigenen Staates.