VON CLEMENS POKORNY | 02.01.2014 15:23

Welchen Wert hat geistiges Eigentum? Von der Kostenlos- (Un-) Kultur im Netz

Nirgends werden Urheberrechte derart mit Füßen getreten wie im Internet. Insbesondere Vertreter der Piratenpartei ziehen daraus die Schlussfolgerung, geistiges Eigentum in Frage zu stellen. So sollen Künstler etwa von einem bedingungslosen Grundeinkommen oder Crowdfunding-Projekten leben, statt sich von gierigen Verwertungsgesellschaften ausbeuten zu lassen. Damit propagieren die Netzaktivisten das geistige Mittelmaß einer noch nicht arbeitsteiligen Gesellschaft – und stellen unsere Wirtschaftsweise in Frage.


Im Internet wird so viel plagiiert wie nirgends sonst. Ironischerweise haben aber gerade Netzaktivisten die Welle der Plagiatsvorwürfe gegen Politiker ins Rolle gebracht. Sie selbst dürften es vermutlich gar nicht problematisch finden, wenn bei ihnen jemand abschreibt. Dass die „Piratenpartei“ dies aber auch von anderen Urhebern fordert, indem sie in ihrem Grundsatzprogramm das Prinzip geistigen Eigentums in Frage stellt, stößt auf Widerstand.

Das Bedingungslose Grundeinkommen

Crowdfunding

Die Wikipedia als das Wiki schlechthin funktioniert mit hunderttausenden ehrenamtlichen Autoren und weltweit nur 175 bezahlten Angestellten. Die am fünfthäufigsten besuchte Website der Welt finanziert sich ausschließlich aus Spenden, um ihre Neutralität zu wahren. Dieses Prinzip übertragen einzelne Kulturschaffende mittlerweile auf ihre Projekte, z.B. als Crowdfunding. Für die Piraten dient dieser Umstand als Beleg dafür, dass es keines Urheberrechts im bisherigen Sinne mehr bedürfe; zwar sollen Kreative nach wie vor darüber bestimmen dürfen, was mit ihren Werken nach deren Veröffentlichung geschieht, aber Profit sollen sie aus ihrem Eigentum nur unter Umständen schlagen dürfen. Immerhin, so das Grundsatzprogramm der deutschen Piratenpartei (S. 12), griffen Kulturschaffende ja „in erheblichem Maße“ auf einen öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurück – daher diene eine „Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum“, insbesondere im Internet, einem gerechten „Ausgleich zwischen Ansprüchen der Urheber und der Öffentlichkeit“.

Rückführung in den öffentlichen Raum? Das klingt verdächtig nach Enteignung. Was die Fans der Kostenlos-„Kultur“ im Internet nicht sehen können oder wollen: Wikipedia, Blogs & Co. werden erstens in der Freizeit seiner Urheber gestaltet und greifen dabei zweitens auf das geistige Eigentum Anderer zurück – in der Wikipedia als einer Enzyklopädie ist eigene Forschung zu Recht sogar streng verboten. Professionelle Urheber dagegen verdienen ihr Geld damit, dass sie Neues schaffen. Etliche Unterzeichner eines Offenen Briefes für ein neues Urheberrecht bezeichnen sich zwar selbst als Urheber, doch unter diesen Piraten findet sich kein prominenter Künstler oder Journalist, sondern vorwiegend Semiprofessionelle oder Programmierer, deren Software sich mittels der neuen „innovativen Geschäftskonzepte“ (Grundsatzprogramm der Piratenpartei, S. 12) erheblich leichter finanzieren lassen dürfte als Kunst. Aber welcher professionelle Künstler, dessen Arbeit vorwiegend „offline“ stattfindet, möchte seine berufliche Zukunft vom Erfolg virtueller Bettelei abhängig machen?

Kreativität setzt seit der Antike voraus, dass Künstler, aber natürlich auch andere Urheber wie z.B. Journalisten von ihrer Arbeit leben können. Verwertungsgesellschaften wie die GEMA mögen zu viel kassieren, auf sie verzichten möchten viele professionelle Künstler erklärtermaßen nicht: Weil ihnen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft nur dann genügend Zeit für ihre Kunst bleibt, wenn sie der Vermarktung ihres geistigen Eigentums anderen überlassen, die ihrerseits Profis auf diesem Gebiet sind. Vielleicht können sich die Verfechter der Kostenlos-„Kultur“ im Internet das kaum vorstellen – auch der unbekümmerte Dilettantismus auf allen Gebieten ist ja charakteristisch für das Netz, wo jeder Urheber seine Machwerke selbst veröffentlichen und vermarkten kann und so Mittelmaß zum Normalfall macht und als solchen auch erlebt.

Wer daher den Wert geistiger Erzeugnisse anerkennt, darf nicht die Vergesellschaftung geistigen Eigentums fordern. Vielmehr bedarf es fairer Verträge der Verwertungsgesellschaften mit den Urhebern, der Verkürzung urheberrechtlicher Schutzfristen und der Rücknahme des 2013 beschlossenen Leistungsschutzrechts für Presseerzeugnisse, das in bislang freie Informationsflüsse des Internets eingreift. Ein Verdienst der Piraten bleibt, dass sie, freilich mit der falschen Stoßrichtung, eine Diskussion zu diesen Themen angestoßen haben, die leider abgeflaut ist, bevor sie echte gesellschaftliche Fortschritte im Sinne aller Urheber zeitigen konnte.