VON CLEMENS POKORNY | 31.12.2013 15:57

Online-Shopping: Katastrophaler Kaufrausch

Die Arbeitsbedingungen bei Online-Versandhändlern, allen voran Amazon, sind unverändert schlecht. Zudem umgeht der „Allesverkäufer“ deutsche Steuergesetze und lässt sich seine miesen Jobs auch noch vom Staat subventionieren. Preisdruck und der Zwang zur Annahme kostenloser Retouren ruinieren den Einzelhandel vor Ort, und die individuelle Zustellung der Pakete belastet das Klima. Wann ändern wir unser Kaufverhalten?


Online einzukaufen ist praktisch, billig, meist sicher und vor allem: typisch deutsch. Nicht einmal in den USA wird so viel bei Amazon, Ebay oder Zalando gekauft wie hierzulande. Wer seine Einkäufe über einen Referrer, zum Beispiel Boost, tätigt, tut scheinbar auch noch etwas Gutes für seine Mitmenschen oder die Umwelt. Doch der Schein trügt.

Hoffnung für Arbeitnehmer

Seit dem massenmedialen Aufschrei über die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandhändler Amazon Anfang 2013 hat sich dort kaum etwas verbessert: Der Stundenlohn wurde nur geringfügig angehoben, noch immer haben die weitaus meisten Beschäftigten an den verschiedenen deutschen Standorten befristete Verträge, die zudem nicht, wie üblich, nach einer Probezeit in unbefristete Verträge umgewandelt werden. Außerdem beschäftigt das Unternehmen etliche Leiharbeiter – ähnlich wie bei Zalando. Mit saisonal schwankendem Bedarf an Arbeitskräften lässt sich diese Praxis nicht rechtfertigen. Die Arbeitsagenturen unterstützen übrigens Amazons Personalpolitik auch noch, indem sie Erwerbslose gerade in der Vorweihnachtszeit im Rahmen von „Einstiegspraktika“ oder zur „beruflichen Eingliederung“ an Amazon vermitteln. So erspart der Steuerzahler dem Konzern einen Teil der Lohnkosten, weil das Arbeitslosengeld weiterhin bezahlt wird. Zusätzlich haben wir Amazon in den Jahren 2006 und 2009 mit insgesamt ca. 14 Millionen Euro subventioniert, während der Multi mit dem „Double Irish with a Dutch Sandwich“-Prinzip Milliardenbeträge an Steuern vermeidet.

Angst um ihre schlechten Arbeitsplätze müssen die Angestellten des Unternehmens aus Seattle auch wegen der extrem harten Arbeitsbedingungen haben. Ein Handscanner gibt jedem „Picker“ nicht nur vor, welchen Artikel er aus welchem Regal holen und wohin bringen muss, sondern auch, wie viele Sekunden Zeit er dafür hat. Bis zu 110 Produkte pro Stunde muss ein Picker in seinen Rollwagen laden. Wer krank wird oder auch nur eine Minute zu spät kommt, erhält Strafpunkte – bei drei Strafpunkten wird man entlassen. Kein Wunder, dass sich Amazon gerne strukturschwache Regionen für die Ansiedlung seiner Logistikzentren heraussucht, wo die Menschen über jede Arbeit froh sind. Da freut man sich fast über die Nachricht, dass Amazon die Picker in Zukunft durch Roboter ersetzen könnte, die von einer neuen Tochterfirma produziert werden.

Bisher haben diese zum Teil seit Längerem bekannten Fakten unser Kaufverhalten kaum verändert. Im Gegenteil: Amazon wächst und wächst und wächst, wie der Online-Versandhandel überhaup. Für die 9000 Festangestellten und 14000 Saisonarbeiter, die in Deutschland für Amazon arbeiten, wurden dadurch zwar Arbeitsplätze geschaffen. Doch während der Online-Versandhandel blüht, gehen „offline“ jede Menge Jobs verloren, etwa in Buchläden oder Schuhgeschäften. Durch unser Kaufverhalten sorgen wir also dafür, dass gute, nahe Arbeitsplätze mit einem persönlichen Käufer-Verkäufer-Verhältnis in schlechte, anonymisierte und zentralisierte Arbeitsplätze verwandelt werden. Die Handelsriesen diktieren zudem mit ihrem Prinzip der kostenlosen Retouren eine Bedingung, die die kleinere Konkurrenz kaum erfüllen kann. Viele Kunden kalkulieren Rücksendungen beim Kauf ein, etwa weil ein Produkt nur einmal gebraucht wird oder mehrere Paar Schuhe anprobiert werden wollen, von denen aber letztendlich nur eines behalten wird.

Dazu kommt die Umweltbelastung: Während ich zu einem Geschäft selbst anreise, vielleicht klimafreundlich zu Fuß oder per ÖPNV, muss ein retourniertes Paket von motorisierten, schlecht bezahlten Paketzustellern hin- und hergekarrt werden. Bei Zalando geht jede 2. Sendung zurück – das macht eine stolze Million Pakete pro Monat. So verschlechtert sich die Klimabilanz der Online-Versandhändler enorm.

Auf Zalando, Amazon & Co. verzichten – geht das überhaupt noch? Die Zukunft wird zeigen, ob sich auch hier der Egoismus der Einzelnen durchsetzt oder wir wieder mehr so ein- und verkaufen, wie wir es jahrzehntelang problemlos getan haben. Sofern sich der Online-Versandhandel nicht dramatisch verändert, ist eine Änderung unseres Kaufverhaltens moralisch geboten.