VON ALEXANDER STIEHLE | 29.10.2013 15:32

Kirche und Staat – Wirklich getrennt?

Artikel 140 GG/Artikel 138 WRV: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Das heißt im Klartext, dass der Staat die kirchlichen Institutionen finanziell nicht unterstützen darf. Doch seit über 90 Jahren bricht der deutsche Staat sein eigenes Grundgesetz.


Nachdem 1919 die Weimarer Verfassung in Kraft getreten ist, war es dem Staat quasi per Grundgesetz verboten, die Kirche finanziell zu unterstützen. Doch dieser sogenannte Ablösebefehl wurde nie eingehalten. Die Humanistische Union hat Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass allein 2010 die Staatsleistungen an die Diözesen und die in der EKD (Evangelische Kirchen Deutschlands) zusammengeschlossene Landeskirchen 461,5 Millionen Euro betrug. Davon erhielt die katholische Kirche 192 Millionen, auf die evangelische Kirche entfielen 268 Millionen Euro. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Gelder, die nur für einen bestimmten Zweck verwendet werden dürfen. Mit diesen Geldern unterstützt der Staat die Kirche als solcher, obwohl das im Grundgesetz verboten ist. Doch wieso?

Der Reichsdeputationshauptschluss und die Weimarer Verfassung

"Es besteht keine Staatskirche." (Art. 140 GG)

Allem vorangegangen ist der 1803 beschlossene Reichsdeputationshauptschluss. Die deutschen Fürsten mussten nach dem Friedensvertrag von Luneville ihre linksrheinischen Ländereien an Frankreich abtreten. Um diesen Verlust wieder auszugleichen eigneten sich die weltlichen Würdenträger kirchlichen Grundbesitz und Vermögenswerte an. Im Rahmen des Reichsdeputationshauptschluss wurde am 25. Februar 1803 die Säkularisation des kirchlichen Vermögens beschlossen. Dadurch war die Kirche nicht mehr fähig sich selbst zu finanzieren, also musste der Staat mit Entschädigungszahlungen einspringen.

Als 1919 dann die Weimarer Verfassung in Kraft getreten war, sollten diese Zahlungen eingestellt werden. Im Artikel 138 Absatz 1 WRV (Weimarer Reichsverfassung)-Artikel 140 GG heißt es:

„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Dieses Gesetz gibt normalerweise eine klare Richtlinie vor, doch seit 1919 hat der Staat trotzdem in zahlreichen Verträgen Staatsleistungen garantiert: In 12 Verträgen mit der katholischen Kirche und in 15 Verträgen mit der evangelischen Landeskirchen.

Der Staat finanziert die Kirchen mit

Die finanzielle Bezuschussung der Kirchen seitens Bund und Länder nennt man positive Staatsleistungen. Sie fußen auf Staatskirchenverträgen und auf älteren Rechtstiteln. Einer der wichtigsten Staatsleistungen sind zum Beispiel Bauzuschüsse für kirchliche Gebäude oder Dotationen, also Zuschüsse für die Personalausgaben.

Von 1991 bis 2010 sind die Staatsleistungen von 294 auf 465 Millionen Euro jährlich angewachsen. Neben diesen Zahlungen erhalten die Kirchen natürlich auch noch Kirchensteuer: 2009 erhielten die evangelische und katholische Kirche zusammen 9,4 Milliarden Euro.

Diese Staatsleistungen sind nicht mehr zeitgemäß! Die katholische Kirche ist heute quasi ein eigenes Wirtschaftsunternehmen, das jährlichen Gewinn erwirtschaftet. Über 50.000 Unternehmen gehören zur Kirche. Es wird geschätzt, dass sie gemeinsam einen Umsatz von 82 Milliarden Euro erzielen. Zum Vergleich: Siemens hat einen Umsatz von 75,9 Milliarden. Die Kirche kann sich längst selbstständig finanzieren. Bei solchen Zahlen sind die jährlichen Staatsleistungen von ca. 400 Millionen eher ein Tropfen auf den heißen Stein.