VON ANGELA SCHWEIZER
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17.01.2015 16:51
Tinder: Wisch und Sex
Tinder, zu Deutsch „Zunder“ heißt die derzeit wohl beliebteste Dating-App der Welt. Wie beim Bar-Besuch können hier Gesichter und manchmal auch Körper in Sekundenschnelle begutachtet und aussortiert werden. „Wischen“ beide auf die richtige Seite, wird der Chat freigeschaltet. Die Unterhaltung beginnt also basierend auf der einzigen Grundlage, dass sich beide attraktiv finden. Ist der große Erfolg von Tinder ein Zeitvertreib für Narzissten oder einfach nur der Beweis dafür, dass wir am Ende doch viel oberflächlicher sind als wir denken?
Datest du noch oder tinderst du schon? Während die klassischen Partnerbörsen schon fast wieder aus der Mode gekommen sind, erobert Tinder den Datingmarkt in Europa und USA. Etwa 30 Millionen nutzen die Dating-App weltweit, über eine Million davon in Deutschland, und hier kommen täglich 8000 neue Nutzer hinzu. Daten war dabei noch nie so einfach: Vorbei sind die Zeiten seitenlanger psychologischer Tests, die von politischer Einstellung bis Pathologie alles abfragen, um den besten Match zu ermitteln. Nachdem die Tinder-App installiert wurde, verbindet sie sich mit Facebook und zieht die gewünschten Fotos, fragt nach, ob Männlein oder Weiblein gedatet werden will (oder auch beides), und das ungefähre Alter der Zielgruppe. Je nach gewünschtem Dating-Radius werden dann Personen im Umkreis von bis zu 160km angezeigt. Wischen nach links bedeutet „du gefällst mir“, nach rechts „eher nicht“. Pragmatisch betrachtet spart Tinder Zeit und Geld, da die Date-Willigen sich schon zu Beginn über ihre Intentionen austauschen. Dabei kommen nicht nur Singles auf ihre Kosten: „Suche nur was Festes, also bitte keine Sex-Anfragen“, kann genauso ein Tinder-Motto sein wie: „Für jeden Spaß zu haben. Bin aus beruflichen Gründen viel unterwegs und in einer festen Beziehung, suche also keine weitere.“ Die schier unendliche Auswahl an möglichen willigen Sexpartnerinnen und -partnern birgt jedoch Suchtpotential. Tinderjunkies berichten vom Tindern auf der Arbeit, in der Vorlesung, der Toilette, und sogar währen dem Essen.
„Wie geht es Dir?“ - „Danke. Uns geht es gut!“
Über Freiheit, Beziehungen und Singleleben - Wie bringt man das unter einen Hut?
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Sexsuchmaschine und Saisonlover: Adieu Langzeitbeziehung?
Studenten aus Los Angeles entwickelten die Dating-App im Jahre 2013. Ein Unternehmer, der die App im Frühstadium kaufen wollte, sagte über die Motivation der Gründer: „
Sie wollten schnellen Sex“. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die App unter den Studierenden der Westküste und schwappte bald über den großen Teich.
Ist Tinder tatsächlich nur eine Sexsuchmaschine? Im Tinder-Universum stolpert man immer mal wieder über eine verheiratete Kollegin oder den Freund der Freundin, alle auf der Suche nach Abenteuer und Selbstbestätigung. Tinder sei „faszinierend und irritierend“ zugleich, ein „
Zeitvertreib für Egomanen“, so ein bekennende Tinder-Userin. Die ehrliche Oberflächlichkeit und das überwältigende Angebot haben dabei etwas Anziehendes, der Hype verfliege jedoch genauso schnell wieder wie er gekommen sei. Auf „Tinder Nightmares“ werden bereits die skurrilsten Chats gesammelt und veröffentlicht.
Tinder ist ein Phänomen der Zeit
So sehr sich streiten lässt über die Bewertung von Menschen nach Äußerlichkeiten und dem schnellen Konsum zwischenmenschlicher Begegnungen: Tinder passt in unsere Zeit. Es gibt derzeit so viele Singles wie noch nie, in 40% der Haushalte in Deutschland lebt nur eine Person. In den Single-Hauptstädten
Regensburg und Berlin beträgt der Anteil der Single-Haushalte sogar über 54% Dies schafft neue Formen des Kennenlernens, die vor allem über Social Media stattfinden. Nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip wird bei Tinder aussortiert, wobei die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, Selbstoptimierung und Selbstbestätigung im Vordergrund stehen.
Bevor wir vom Verfall der Liebe und Langzeitbeziehungen sprechen, sollten wir das polyamouröse Verhalten der Tinderisten jedoch etwas relativieren: Von den 560 geschätzten Gesellschaftsformen dieser Welt leben sowieso
nur lächerliche 17 in monogamen Zweierbeziehungen…