VON MAXIMILIAN REICHLIN | 09.07.2013 13:34

1984 oder 2013? Von Vorratsdatenspeicherung und orwellscher Sprachverwirrung

Die Speicherung von Telekommunikationsdaten ist in Deutschland ein heiß umstrittenes Thema das gerade durch die jüngsten Skandale um die amerikanische NSA und deren Spähprogramm „Prism“ nun wieder ins Gespräch gebracht wird. Neu ist das Thema in der Bundesrepublik nicht. Schon in der Vergangenheit wurde es oft auf den politischen Tisch gebracht. Eine EU-Richtlinie schreibt die Vorratsdatenspeicherung eigentlich für alle Mitgliedsstaaten vor, dennoch wurde sie durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten. Die CDU/CSU, vormals Verfechter der Vorratsdatenspeicherung, rückt nun vom ursprünglichen Kurs ab und setzt statt dessen auf eine „Mindestspeicherfrist“. Was sind Vorratsdatenspeicherung und Mindestspeicherfrist und was bedeuten die Begriffe für den Bundesbürger? UNI.de klärt auf.

Wenn der große Bruder mithört:

Anti-Terror-Datei

Die CDU/CSU scheint, nach den jüngsten Skandalen um das Spähprogramm „Prism“ des amerikanischen Geheimdienstes NSA, nun in ihrem neuem Wahlprogramm auf einen bisherigen Dauerbrenner zu verzichten: Die Vorratsdatenspeicherung. Das ist jedoch, wie schon SPD-Abgeordneter Thomas Oppermann bemerkte, „ein klarer Fall von Orwellscher Sprachverwirrung“. Die CDU/CSU hat in ihrem Wahlprogramm die Vorratsdatenspeicherung nicht gestrichen, sondern lediglich durch das freundlichere Wort „Mindestspeicherfrist“ ersetzt. Der Abgeordnete spielt damit auf den von George Orwell veröffentlichten Roman „1984“ an, der ein politisches System zeichnet, in dem ständige Überwachung zum Alltag gehört, diese dem Bürger jedoch durch beschönigende Wortkonstruktionen schmackhaft gemacht wird.

Im Grunde ist Vorratsdatenspeicherung nichts anderes als das Sammeln und Aufbewahren von privaten Telekommunikationsdaten über einen gewissen Zeitraum, um diese im Falle einer Straftat oder des Verdachts auf eine Straftat zur polizeilichen Ermittlung nutzen zu können. Zu diesen Daten zählen bei einem Telefongespräch etwa Name, Adresse und Telefonnummer des Anrufers und des Angerufenen sowie Beginn und Ende jeden Gesprächs, im Falle einer Internetnutzung die jeweilige IP-Adresse des Nutzers. Gespeichert werden diese sogenannten Verkehrsdaten sechs bis sieben Monate. Die nun geforderte Mindestspeicherfrist der CDU/CSU verkürzt das Intervall nun auf drei Monate, ist im Grunde jedoch dasselbe. In Deutschland war diese Form der Vorratsdatenspeicherung bis 2010 zulässig.

Die Grundlage dafür lieferte ein 2007 verabschiedetes Gesetz zur Durchsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG, die alle EU-Mitgliedsstaaten zur Einführung einer einheitlichen Vorratsdatenspeicherung verpflichtet. Allein im Jahr 2008 wurden auf Basis dieser Regelung über 8.300 Ermittlungsverfahren mithilfe gespeicherter Verkehrsdaten geführt. Das vorläufige Ende der Vorratsdatenspeicherung kam 2010 mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das damit auf diverse Beschwerden von Privatbürgern und Initiativen reagierte. Nach diesem Urteil ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verfassungswidrig, da sie unter anderem gegen das Briefgeheimnis verstößt. Seitdem kämpft vor allem die CDU/CSU für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, bisher jedoch ohne Erfolg.

Indes übt die EU-Kommission Druck aus: Die Unfähigkeit der Bundesregierung, die EU-Richtlinie in deutsches Recht zu übertragen, stelle einen Vertragsbruch dar und behindere die in- und ausländische Polizei. Schon im vergangenen Jahr hat die Kommission deswegen geklagt und ein tägliches Zwangsgeld von knapp 300.000 Euro von der Bundesregierung gefordert, bis die Richtlinie durchgesetzt wird. Rechtlich absolut legitim, da Deutschland die Richtlinie mit unterzeichnet hat. Dennoch fordert der SPD-Abgeordnete Oppermann nun: „Nach Prism darf die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand mehr haben. Die Richtlinie muss grundlegend überarbeitet und geändert werden.“ Dabei müsse vor allem „der Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt stehen.“