VON JOACHIM SCHEUERER | 05.07.2013 11:25

Wenn der große Bruder mithört: Handyüberwachung in Deutschland

Wenn jemals Unglauben gegenüber breitangelegten Abhör- und Spähaktionen seitens diverser Geheimdienste bestand, so zweifelt derzeit angesichts der Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden wohl niemand mehr ernsthaft an der Realität solcher Praktiken. Doch bei aller Empörung in Deutschland angesichts derartiger Vorgehensweisen des US-amerikanischen und britischen Geheimdienstes sollte man nicht vergessen, dass Überwachung kein exklusiv angelsächsisches Phänomen und Problem ist, sondern auch hierzulande immer wieder bedenkliche Formen annimmt. Jüngst zeigte sich dies anhand der Debatten um die Funkzellenabfrage und Handy-Rasterfahndung, welche vor allem in Berlin und Sachsen in den vergangenen Jahren wiederholt Schlagzeilen lieferte.

"Unverhältnismäßig" ist das Wort, welches im Zusammenhang mit der großflächigen Erhebung privater Handydaten, wie sie z.B. seit 2009 wiederholt von der Berliner Polizei bei Ermittlungen zu Autobrandstiftungen eingesetzt wurde, immer wieder fällt. Zu groß erscheint das Gefälle zwischen dem Ausmaß der Vergehen und den dagegen angewandten Maßnahmen, obwohl die Strafprozessordnung genau das fordert, ein "angemessenes Verhältnis des Ermittlungsverfahrens zur Bedeutung der Sache". Demgegenüber stehen allein in Berlin 4,2 Millionen erfasste Mobilfunkdaten bei nur 960 tatsächlichen Kontaktaufnahmen zu Verdächtigen ohne nennenswerte Fahndungsergebnisse.

Anarchie. Alles kann, nichts muss

Ähnlich ineffizient und fragwürdig war das Vorgehen des Dresdener Landeskriminalamts 2011 im Rahmen von Ermittlungen gegen unbekannte gewaltbereite Antifaschisten, die bereits wiederholt Nazikundgebungen gestört hatten. Mehr als eine Millionen Kontaktdaten samt Namen und Adressen von 60.000 potenziell verdächtigen Handybestizern wurden im Rahmen dieser Rasterfahndungen eingeholt und überprüft. Überführt wurde bisher niemand.

Doch sowohl die Berliner als auch die Dresdener Polizeiführung rechtfertigte die Maßnahmen gegen Daten- und Rechtsschützer sowie oppositionelle Politiker als rechtgemäß und erforderlich.

Rückenwind bekam das Dresdener LKA dabei beispielweise auch vom Amtsgericht Dresden, welches die Klage der, von der Funkzellenabfrage ebenfalls betroffenen linken Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak, die der damaligen Gegendemo zum Naziaufmarsch beiwohnte und so ins Fahndungsnetz geriet, abwies. Begründet wurde die Entscheidung unter anderem mit Verweis auf die vermeintliche Alternativlosigkeit des Vorgehens aufgrund fehlender kooperationsbereiter Zeugen auf Seiten der Nazis, sowie mit der Schwere der Gewalttaten. Außerdem sei die Anonymität der Handybesitzer durch Nichtbeachtung der Gesprächs- und SMS-Inhalte gewahrt geblieben. Lediglich die Frequenz und Häufigkeit der Kontaktaufnahmen mit bestimmten Handys und Telefonen im Umkreis des Tatortes seien überwacht worden.

Ähnlich betonte die Berliner Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers, dass sich die Berliner Polizei nicht der Rasterfahndung und Vorratsdatenspeicherung schuldig gemacht hätte.

Das Urteil im Prüfbericht des Berliner Landesbeauftragten für Datenschutz Alexander Dix fällt da jedoch etwas anders aus. Jenes bestätigt die alltägliche und regelmäßige Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften seitens der Polizei und von Staatsanwälten, sowie die gravierenden Verletzungen des Rechts auf Telekommunikationsgeheimnis vieler Unbeteiligter, die davon nicht einmal unterrichtet werden. Rechtswidrig war ebenso der wiederholte Rückgriff auf Funkzellenabfragen noch vor Abschluss der Spurensicherung am Tatort, sowie das Unterlassen der Löschung von nicht mehr benötigten Daten.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Vorkommnisse um die Prism-Affäre, würde es nicht verwundern, wenn in Zukunft weitere Rechtswidrigkeiten in der Sicherheitspolitik ans Licht kämen.