VON CLEMENS POKORNY | 04.12.2013 13:28

Die Rote Flora – basisdemokratisches Stadtteilzentrum oder linksextreme Zelle?

Selbstverwaltet, nicht-kommerziell, alternativ: Für weltoffene junge Menschen ist die „Rote Flora“, ein autonomes Projekt in Hamburg, ein beliebter Treffpunkt. Es gibt herrschaftsfreie Diskussionen und Aktionen und am Wochenende Konzerte, deren Einnahmen gespendet werden. Doch die Betreiber des Stadtteilzentrums halten das Gebäude seit 24 Jahren illegal besetzt und stellen die Demokratie in Frage. Nun will der Besitzer, der Investor Hansmartin Kretschmer, den Komplex verkaufen – egal, an wen. Die Stadt sollte die Gelegenheit nutzen.


Das schäbige Äußere trügt: Im autonomen Stadtteilzentrum „Rote Flora“ im Hamburger Schanzenviertel herrscht reger Betrieb. Seit 24 Jahren ist das Gebäude mit wechselhafter Geschichte von Linksautonomen besetzt, ursprünglich aus Widerstand gegen ein geplantes Musical-Theater heraus. Seitdem gibt es – wie in anderen ähnlichen Projekten auch – veganes Essen in der „Vokü“ („Volxküche“), Raum für politische Diskussion und Aktion sowie jedes Wochenende Feiern mit Auftritten oft überregional bekannter Musikgruppen. Im alternativen Schanzenviertel ist die Rote Flora beliebt, niemand will dem Projekt an den Kragen – obwohl die Besetzer seit Jahr und Tag weder Steuern noch Miete zahlen. Doch jetzt will der Besitzer das Hamburger Filetstück zu Geld machen.

Institut für vergleichende Irrelevanz musste geräumt werden

Nachdem sich die Besetzer zweimal geweigert hatten, mit der Stadt als damaliger Eigentümerin einen Vertrag über die Nutzung zu unterzeichnen, verkaufte diese im Jahr 2001 das ehemalige Theater „Flora“ zum Schnäppchenpreis von umgerechnet 185.000 Euro an den Investor Hansmartin Kretschmer. Der ließ die Nutzer neun Jahre lang in Ruhe. Nachdem die Rote Flora im Vorfeld der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (wohl zu Unrecht) ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten und ein Jahr später wegen des Verdachts der Beihilfe zu einer Straftat erneut durchsucht worden war, dachte Kretschmer 2009 erstmals öffentlich über einen Verkauf der Immobilie nach. Das bis 2011 bestehende Rückkaufrecht der Stadt Hamburg, die das Stadtteilzentrum erhalten wollte, blieb ungenutzt. Laut Kaufvertrag kann Kretschmer das Gebäude an jeden Interessenten verkaufen, muss allerdings im Falle eines Abschieds von der Nutzung als Kulturzentrum einen Teil des Erlöses an die Stadt abführen. Viele Beobachter werten Kretschmers anhaltendes Taktieren um die „Rote Flora“ daher als Geldgier, indem sie unterstellen, der Immobilienkaufmann bringe angebliche weitere Kaufinteressenten nur ins Spiel, um den Preis in die Höhe zu treiben, wenn die Stadt sich nachträglich doch noch zum Kauf entschließt. Kretschmers Konter: U.a. Neben- und Anwaltskosten der vergangenen Jahre rechtfertigten die Preissteigerung von mindestens anderthalb Mio. Euro.

Eigentum verpflichtet, nämlich dazu, der Gesellschaft zu dienen. Enteignungen aber setzen eine dringende Notwendigkeit voraus, die im Falle der Roten Flora kaum gegeben sein dürfte. Die Spielregeln des Kapitalismus, den die Besetzer nach Aussage eines ihrer Exponenten auch mit Gewalt überwinden wollen, lassen sich nicht dauerhaft umgehen. Letztendlich bekräftigen die Hamburger Besetzer ihn selbst, wenn sie unausgesprochen für sich das alleinige Besitzrecht an der Roten Flora markieren. Man muss den kaum belegten Befürchtungen, das autonome Zentrum sei eine Zelle linksextremer Gewalt, keinen Glauben schenken. Man kann die Praxis der Nutzer, unentgeltlich für ihr Projekt zu arbeiten und alle Überschüsse aus den Konzerteinnahmen für andere soziale und politische Projekte zu spenden, gut heißen. Man muss – wie der zuständige Bezirksrat Altona – anerkennen, dass die Rote Flora eine kaum zu ersetzende soziale Integrationsfunktion für das Schanzenviertel leistet. Und doch sollte sich der Staat, dessen repräsentative Demokratie die Besetzer als Herrschaft der Mehrheit ablehnen, überlegen, ob er weiterhin die Rote Flora als rechtsfreie Zone belassen kann. Vielleicht wäre die für Alle beste Lösung, den Komplex bald von Kretschmer zurückzukaufen und einen unbefristeten Vertrag über die Nutzung des Stadtteilzentrums abzuschließen. Der Zeitpunkt gebietet es: Zwar hat die Bezirksversammlung in Altona die Rote Flora schon 2011 als „Fläche für den Allgemeinbedarf“ und Stadtteilkulturzentrum ausgewiesen. Doch Kretschmer macht Druck: Ende Oktober 2013 sprach er der Band „Fettes Brot“ ein Hausverbot aus, das diese bei ihrem Auftritt am 3. November in der Roten Flora ignorierte. Seitdem wird eine Anzeige wegen Hausfriedensbruches bearbeitet. Ein Rückkauf durch die Stadt schüfe nun endlich Rechtssicherheit für das Projekt.