VON MAXIMILIAN REICHLIN
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29.06.2016 13:36
Die neue Querfront – Rechtsradikale gegen Imperialismus und Kapitalismus
Immer mehr Rechtsradikale bedienen sich mittlerweile eigentlich linkspolitischer Parolen und Werkzeuge, um Anhänger zu gewinnen. Besonders auf öffentlichen Veranstaltungen sowie in den Neuen Medien verwischt dabei die Grenze zwischen Neonazi- und Linken-Ideologie immer mehr. Fachleute sprechen bereits von einer neuen Querfront. Was ist dran an der gefürchteten Hochzeit von rechts und links? UNI.DE hat sich umgehört.
„Es geht nicht um links oder rechts, sondern um unten gegen oben.“ Mit diesen Worten lässt sich die Idee hinter der „neuen Querfront“ knapp zusammenfassen. Der eingängige Slogan stammt aus einer Rede anlässlich der Demonstrationen gegen die Bilderberg-Konferenz in Dresden vor einigen Wochen. Unter dem Deckmantel von Antikapitalismus und Antiimperialismus trafen sich vor dem Taschenbergpalais einige Neonazi-Gruppierungen, um gegen die Konferenz zu demonstrieren – eigentlich das Metier der Linken. Doch wenn es gegen die finanzielle Elite geht, die hinter verschlossenen Türen die Zukunft der Weltwirtschaft plant, scheinen die Waffen zwischen den verfeindeten Lagern zu ruhen.
Früher – Versuche der Querfront scheitern
Kein neuer Trend. Auch in der jüngsten Vergangenheit gibt es immer wieder Fälle, in denen Neonazis vom rechten Rand aus den Versuch unternahm, sich unter dem Vorwand linker Ideologien an die Gegenseite „anzubiedern“. Meist mit mäßigem Erfolg. So zum Beispiel bei einer Großdemonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 oder bei Protesten gegen den Irakkrieg 2003.
Der deutsche Soziologe Prof. Dieter Rucht weiß: „Solche Annäherungen von rechter Seite gab es immer wieder, aber die Reaktion war in der Regel: Wir wollen mit Euch nichts zu tun haben, wir wollen nicht nebeneinander stehen auf einer Demonstration.“ Auch die sogenannten „Autonomen Nationalisten“ bedienten sich zwar in Dresscode und Vorgehen bei der linken Antifa-Bewegung, setzten aber ebenfalls keinen Trend. Trotz gleicher Marschrichtung entstand keine Zusammenarbeit zwischen Neonazis und Linken. Freundschaft schon gar nicht.
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Heute – Rechte und Linke, gemeinsam für Russland
Das scheint sich nun geändert zu haben. Immer öfter ist in den Medien von einer neuen Querfront die Rede, vom Verwischen der Grenzen zwischen rechts und links. Einigkeit zwischen den Lagern besteht beispielsweise in der antiimperialistischen Kritik an den USA, in der
kritischen Einstellung zu Erdogan und der Türkei sowie in den Sympathien für Russland und den amtierenden Präsidenten Putin. Sowohl Neonazis als auch Linke scheinen sich Putin als neuen Helden erkoren zu haben – die Neonazis wohl aufgrund seines autoritären Stils.
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Für den Dialog mit Russland“ lautet beispielsweise die Parole auf einer rechten Demo der PEGIDA in Karlsruhe, auf einer Linken-Demo in München dagegen: „Gegen die NATO, für Russland“. In München kooperieren die Neonazis der rechten Nichtregierungsorganisation „Neue Rechte“ auch mit Mitgliedern der linken „Antiimperialistischen Aktion“. Linke Friedensaktivisten engagieren sich bei rechten Mahnwachen. Die politische Welt scheint Kopf zu stehen.
Die Geschichte der Querfront in Deutschland
Viele befürchten, dass hier tatsächlich eine Bewegung
nach Art der Querfront entstehen könnte. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Zeit vor und während des Dritten Reiches, in der politische Kreise der Nazis die Idee eines „nationalen Sozialismus“ propagierten, eine über die Parteigrenzen sich erhebende Ideologie, mithilfe derer sich Linke und Rechte zu einer sogenannten „Volksgemeinschaft“ einen lassen sollten. Ob eine reale Zusammenarbeit zwischen Linken und Nazis in dieser Zeit allerdings tatsächlich bestand, ist unter Fachleuten bis heute umstritten.
AfD und PEGIDA – Die „Neue Querfront“ im Netz
Bislang gab es in Deutschland vor allem zwei Neonazi-Organisationen, die die Strategie der Querfront für sich entdeckten: Die bereits erwähnten Autonomen Nationalisten sowie die Nationalrevolutionäre. Zwei vergleichsweise kleine radikale Gruppierungen ohne großen Einfluss. Nun mischen aber auch die weitaus populäreren ideologischen Brüder PEGIDA und AfD in der Querfront mit und gehen mit linken Parolen auf Anhänger- und Stimmenfang. Vor allem in den Neuen Medien und
auf Sozialen Netzwerken schlägt sich die Strategie nieder: Hier tauchen immer öfter antiamerikanische und prorussische Beiträge auf, die eine große Menge an „Likes“ generieren.