VON JASCHA SCHULZ | 23.02.2016 17:55

Linksextremistische Gewalt in Deutschland

Immer öfter wird in den Medien eine höhere öffentliche Wahrnehmung linksextremistischer Gewalt gefordert. Diese werde zu häufig verschwiegen und von der, mit linken Positionen sympathisierenden bürgerlichen Mitte verharmlost. Die emotional geführte Debatte mündet oftmals in gegenseitigen Anschuldigungen und birgt die Gefahr, entweder Gewalt aus dem rechten oder aus dem linken Spektrum zu relativieren. Im folgenden Artikel hat der Autor sich deshalb über konkrete Fakten und Trends zu linksextremistischer Gewalt informiert.


Am 28.11.2015 demonstrierten hunderte Menschen, angeführt vom Schwarzen Block der Antifa, gegen den Parteitag der AfD. Auf der Demonstration befand sich auch das „bürgerliche Bündnis“, bestehend unter anderem aus dem Bürgermeister Thomas Hermann (SPD), SPD-Chef Alptekin Kirci, Wirtschaftsdezernentin Sabine Tegtmeyer-Dette (Grüne), FDP-Ratsherr Wilfried Engelke und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne).

Das Problem dabei: Der Schwarze Block der Antifa ist dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen und gilt als gewaltbereit. Wie andere sogenannten autonome Gruppen lehnen sie den Staat in seiner derzeitigen Form ab. Sie kämpfen gegen die bürgerlichen Eliten und streben ein freies, selbstbestimmtes Leben in herrschaftsfreien Räumen an. Gewalt gilt vielen dieser Autonomen grundsätzlich als legitimer Bestandteil in dem Kampf gegen die Unterdrückung durch Politik und Wirtschaft.

Kurz gesagt: Die Autonome Linke fordert eine Neuordnung bestehender politischer Verhältnisse und ist in großen Teilen bereit, diese gewaltsam umzusetzen. Dass führende Politiker sich hinter diese Gruppe einreihen zeigt, wie unterschiedlich gewaltbereite Gruppen aus dem linken Spektrum gegenüber solchen aus dem rechten wahrgenommen werden. Extremismus-Forscher Werner Patzelt stellt bezüglich der Aktion von Roth die Frage, was wohl ein CDU-Landtagsabgeordneter zu hören bekommen hätte, wenn er sich auf diese Weise mit Pegida-Demonstranten gemeingemacht hätte. Auch Maas demonstrierte bereits mit Linksextreme. Anschließend wurde kritisiert, dass er auf der einen Seite Pegida vorwerfe, Rechtsradikale auf ihren Demonstrationen zu dulden und zugleich mit Linksradikalen demonstriere. Maas antwortete darauf, dass er nicht jeden kennen könne, mit dem er marschiere.

Rechtsextremistische Gewalt in Deutschland

Wie sehen allerdings die konkreten Zahlen aus? Laut Verfassungsschutz gab es 995 linksextremistische Gewalttaten im Jahr 2014 und somit genauso viele Gewalttaten wie aus dem rechtsextremistischen Spektrum (990). Im Gegensatz zu 2013, als es noch 1.110 linksextremistisch motivierte Gewalttaten gab, sind diese 2014 somit leicht zurückgegangen. Allgemein wird allerdings kein Abwärtstrend bezüglich linker Gewalt erkannt. Insgesamt gibt es eine relativ gleichbleibende Zahl von 7.600 gewaltorientierten Personen aus dem linksextremistischen Bereich. Darunter finden sich wie 2013 6.100 Autonome, denen nahezu alle Gewalttaten zugeschrieben werden. Allerdings gibt es in der linksextremistischen Szene, im Gegensatz zur rechtsextremistischen, eine breite Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit von gewalttätigen Aktionen. Vor allem unpolitische Ausschreitungen werden in weiten Teilen verurteilt. Gewalt als Instrument um politische Ziele zu erreichen wird gemeinhin akzeptiert. Über die Frage, wie radikal der Kampf gegen die politischen Verhältnisse geführt werden soll, gibt es jedoch keine Einigkeit in der Szene.

Das Problem der fehlenden öffentlichen Wahrnehmung von linksextremistischer Gewalt ist auch an den Medien festzumachen, wie eine Studie der FU Berlin in einer Studie zu linksextremistischer Gewalt darstellt. Rechter und islamistischer Extremismus erhielten hohe mediale Aufmerksamkeit, während linksextreme Gewalttaten häufig untergingen. Die FU-Studie sieht außerdem eine Verwischung der Grenzen "zwischen extremen, aber demokratischen Linken, so dass alle Linksextreme unter dem Schutz des gesamten linken Milieus stehen", so die Fachleute der FU.

Auch Alexander Kissler ist in seinem Artikel der Ansicht, dass die eher links der Mitte orientierte politische Mehrheitsmeinung zu einer fatalen Akzeptanz linksextremistischer Straftaten führe. Wer erklärte Feinde der Demokratie auch noch in der Öffentlichkeit protegiere, gefährde unsere Demokratie selbst. Die unterschiedliche Wahrnehmung führe dazu „dass Kriminelle, die sich ein linkes Mäntelchen umhängen, leicht auf der Klaviatur der Weltverbesserung spielen können“.

Kissler spielt darauf an, dass die Motivation hinter linken Gewalttaten häufig als ehrbar oder zumindest als teilweise sympathisch angesehen wird. So ist zum Beispiel das häufigste Ziel linker Extreme der Polizeiapparat. Gegen Polizeibeamte gab es 2014 623 Gewalttaten. Angriffe auf die Polizei sehen Autonome als Kampf gegen den ‚Repressionsapparat‘, den unser Staat darstellen soll, und dessen Aufrechterhaltung vor allem durch die Polizei als Unterdrückungsinstrument gewährleistet ist. Ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne übermäßigen Polizeieinsatz ist vielen linksorientierten Personen grundsätzlich sympathisch, weswegen über die gewaltsamen Mittel der Linksextremen und deren radikalen Ziele häufig hinweggesehen wird.

Die zweite Opfergruppe linksextremistischer Gewalt sind Rechtsextreme, gegen die 2014 367 Gewalttaten verzeichnet wurden. Die Gewalt gegen Rechtsextreme ist somit zu 2013 mit 566 Gewalttaten deutlich rückläufig. Von vielen wird auch die Gewalt gegen Rechtsextreme relativiert. Rechte forderten in ihren Hetzreden zur Gewalt auf oder übten selbst Gewalt gegen Andersdenkende oder Schwache aus und seien deshalb zu einem gewissen Teil selbstverantwortlich für Gegengewalt.

Die weiteren Gewalttaten sind fast gänzlich auf das Themenspektrum ‚Kampf gegen Umstrukturierung‘ zurückzuführen. Hierbei wird versucht, der Gentrifizierung und dem Kapitalismus entgegenzuwirken, wie bezüglich des Erhalts der roten Flora als linkem Zentrum in Hamburg. Auch diese Ziele werden von vielen Teilen der Bevölkerung gutgeheißen, was eine Verharmlosung der gewaltsamen Mittel zur Folge hat.

Allerdings werden linkextremistische Straf- und Gewalttaten nicht überall derart verharmlost. Der Hamburger Verfassungsschutz warnte 2013 eindringlich vor linker Gewalt und sieht in „einschlägigen Aktionen und einer zunehmenden Gewalt-Rhetorik“ ein Indiz darin, „dass sich der generelle Szenekonsens, direkte Angriffe auf Leib und Leben zu unterlassen, zunehmend auflösen und die Schwelle zu terroristischen Handlungen erreicht werden können."

Unterstützt sah er sich durch einen scheinbaren bundesweiten Trend. Denn die Straftaten durch Linksextreme wurden 2013 zunächst auf 8.673 Delikte festgesetzt. Recherchen ergaben allerdings, dass hinter den meisten Straftaten vor allem Sachbeschädigungen sowie "Verstöße gegen das Versammlungsgesetz" steckten. Auch Sitzblockaden gegen Demonstrationen von Nazis gehörten dazu. Das Problem ist dabei auch, dass zumeist nicht sicher festgestellt wird, ob straffällige Personen tatsächlich aus dem linksextremistischen Spektrum stammten oder nicht. Denn auch viele Menschen, die nicht politisch organisiert sind, stören mittlerweile Nazi-Aufmärsche durch Sitzblockaden. Ob die Straftat dann als linksextremistische verzeichnet wird, hängt davon ab, ob die Behörden sie als solche einstufen. Die aktuellen Zahlen besagen nun, dass es 2013 4.491 Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund gegeben hat. 2014 ist diese Zahl mit 4.424 Straftaten nur minimal zurückgegangen.

Aus diesen Gründen werfen Sympathisanten der linken Szene dem Verfassungsschutz Alarmismus vor. Da deutlich festgestellt wurde, dass es keine terroristischen Strukturen innerhalb linksextremistischer Organisationen gebe, sei die Warnung des Verfassungsschutzes nicht gerechtfertigt. Insgesamt passe die Panikmache des Verfassungsschutzes allerdings ins Bild. Denn dieser sei seit Jahren auf dem rechten Auge blind, während die Gewaltbereitschaft linker Organisationen überschätzt würde. Die Grünen etwa verurteilten, dass bis heute einzelne Gruppierungen innerhalb der Linkspartei vom Verfassungsschutz überwacht werden, während Pegida nicht beobachtet wird. Auch wird häufig angeführt, dass im Gegensatz zur rechtsextremistischen Terrorzelle NSU von Linksextremen keine Anschläge mehr verübt wurden, bei denen Menschen starben. Allerdings gab es 2014 zumindest sieben versuchte linksextremistische Tötungsdelikte.