VON ANGELA SCHWEIZER | 22.03.2016 14:22
Die Ethnisierung sexualisierter Gewalt
Sexualisierte Gewalt richtet sich meist gegen Mädchen und Frauen, häufig werden jedoch auch Jungs und Männer Opfer. Jede dritte Frau in Europa gibt an, bereits sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Die Täter kommen dabei insbesondere aus dem familiären und sozialen Umfeld und kennen ihre Opfer meist gut. Die Ausübung von Macht und Kontrolle gilt aus Hauptmotiv der Täter. Der „fremde“ Täter ist statistisch gesehen die Ausnahme. Warum hält sich die Angst vor dem übergriffigen Fremden trotzdem so hartnäckig?
Was ist sexualisierte Gewalt?
Sexualisierte Gewalt beginnt bei der Einschränkung persönlicher Freiheiten und beinhaltet alle Handlungen, die gegen den Willen einer Person ausgeführt werden. Dies beginnt bereits bei frauenfeindlicher Sprache, anzüglichen, herabwürdigenden Bemerkungen im Alltag, diskriminierender Werbung und sexistischen Witzen. Als Folge gilt tätliche sexualisierte Gewalt, wie aufgedrängte Küsse und Berührungen, oder das Erzwingen sexueller Handlungen wie Missbrauch und Vergewaltigung. Insbesondere bei Missbrauch und Vergewaltigung sind die Täter meist auf dem familiären Nahumfeld, die Übergriffe finden dort statt, wo sich die Täter am sichersten fühlen, beispielsweise in der Wohnung oder am Arbeitsplatz. Dabei geht es den Tätern weniger um sexuelle Befriedigung als um Demütigung, Diskriminierung und Machtausübung.
Die Ethnisierung sexualisierter Gewalt im Spiegel der Geschichte
Seit vielen Jahrhunderten gibt es kulturell fest verankerte Mythen, Bilder und Stereotype, die vorm „gewalttätigen und gefährlichen Fremden“ warnen. Diese finden sich in Geschichten, Märchen und werden auch in Filmen immer wieder reproduziert. Die Täter stammen dabei immer aus einer Minderheitengruppe, so waren es seit dem Mittelalter vor allem die Juden, Sinti und Roma.
Die antisemitische Ritualmordlegende stammt sogar aus dem Jahre 1144. Damals wurde das Gerücht verbreitet, Juden hätten ein christliches Kind, das als vermisst galt, entführt, misshandelt und getötet. Obwohl die Anklage abgewiesen wurde, hatte sie ein Pogrom an der jüdischen Bevölkerung zur Folge. Fast ein Jahrtausend hielt sich der Mythos vom „Kindermörder“, der schließlich im deutschen Vernichtungsfeldzug gegen die jüdische Minderheitenbevölkerung gipfelte.
Die rassistischen Mythen vom übergriffigen Fremden erlebten eine neue Hochphase während der Kolonialzeit, in der Europa den Großteil der Welt gewaltsam unterwarf. Die Legende vom wilden, potenten, übergriffigen und sexuell enthemmten schwarzen Mann rechtfertigte das brutale Vorgehen gegen die Einheimischen. Bis heute hält sich das Klischee hartnäckig und schränkt die Lebensqualität Betroffener oft ein, da ihnen mit hoher Aggression begegnet wird. Aktuell werden besonders muslimische Männer unter Generalverdacht gestellt, potentielle Sexualstraftäter zu sein.
Funktion und Mechanismus der Mythen
So kann sexualisierte Gewalt nach „Außen“ projiziert werden, ohne sich mit Sexismus und sexualisierter Gewalt in der eigenen Familie oder im sozialen Nahraum zu beschäftigen. Konflikte werden vermieden, die Auswirkungen auf die gesamte Familie haben könnten. Besonders pädophile Täter sind oft gesellschaftlich angesehene, statushohe Personen. Ihre Machtposition schützt sie gleichzeitig davor, diskreditiert und entdeckt zu werden, wie Berichte von Opfern sexualisierter Gewalt aus der Odenwaldschule belegen. Meist sind die Opfer in einer unterlegenen, machtlosen und auch abhängigen Position zum Täter.
Zudem ist das Thema ein Dauerbrenner von Rechtsextremen und Rechtspopulisten, da sie damit einfach an verbreitete Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung anknüpfen können und rassistische Argumentationsweisen wieder salonfähig machen. Um die Opfer geht es ihnen dabei nicht.
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