VON CLEMENS POKORNY | 30.09.2016 00:02

Männer haben Rechte!

Männer, die für ihre Rechte kämpfen (müssen) – das ist für viele Menschen angesichts unserer noch immer in vieler Hinsicht von Männern dominierten Gesellschaft eine absurde Vorstellung. Dabei gibt es viele Bereiche, in denen Männer strukturell diskriminiert werden. Gerade wer über die sozialen Positionen von Frauen in der Gesellschaft spricht, muss konsequenterweise auch die männliche Perspektive berücksichtigen.

Wie würde unsere Gesellschaft reagieren, fragt ein Blogger im Internet, wenn eine Zeitung eine Kolumne mit dem Titel „Dumme schwarze Frauen“ herausbrächte, in der schwarze Frauen alleine wegen ihres Frau-Seins als dumm, vorurteilsgeladen und selbstgerecht herabgewürdigt würden? Natürlich eine rhetorische Frage: Es gäbe wohl einen massenmedialen Aufschrei, das Blatt würde mit Hassnachrichten („Frauenfeindlich!“, „Rassistisch!“) überschwemmt und vielleicht gar wegen Volksverhetzung (Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung, § 130 Abs. 1 StGB) verklagt. Tatsächlich gibt es so eine Zeitung in Deutschland. Es gibt nur einen kleinen Unterschied in der Kolumne: Sie heißt „Dumme weiße Männer“ und richtet sich gegen eben diese – sonst ist alles gleich. Breite Empörung? Fehlanzeige. Die Berliner Tageszeitung „taz“, in der „Dumme weiße Männer“ erscheint, gilt als grün – böse Zungen nennen sie eine „BILD-Zeitung für Grüne“ – und hatte auch in der Vergangenheit kein Problem damit, sich auf Kosten ganzer Bevölkerungsgruppen zu profilieren, zum Beispiel BILD-Zeitungsleser in einem Werbevideo.

Dass der Aufschrei über die menschenverachtende Kolumne ausbleibt, scheint symptomatisch für eine Gesellschaft zu sein, in der Männer als Opfer nicht vorstellbar sind. Während aber Wissenschaft, Publizistik und Politik allenthalben sexistische Inszenierungen anprangern, die Frauen vorgeben, wie sie zu sein haben, wird kaum wahrgenommen, wie die traditionellen sozialen Positionen (veraltet: Rollen), die wir auszufüllen haben, Frauen UND Männer gleichermaßen einengen. Männer waren zwar das mächtigere Geschlecht, so weit wir auf sicherem Grund in die Menschheitsgeschichte zurückschauen können (für die Theorie, es habe jemals irgendwo ein Matriarchat existiert, gibt es keinen einzigen Beleg, zumal es nicht einmal einen Konsens über eine Definition des Begriffs „Matriarchat“ gibt). Doch das bedeutete auch, dass die harte Arbeit außer Haus an ihnen hängen blieb und eine Ehefrau nur abbekam, wer genug Nahrung heranschaffte bzw. Geld verdiente. Noch heute können sich (nicht nur unemanzipierte) gut aussehende Frauen doch die gut verdienenden Männer aussuchen – aber kaum umgekehrt. Männer waren es, die immer den Kopf hinhalten mussten, wenn ihren Herrschern nach Krieg zumute war – noch heute wird deshalb in den Nachrichten eigens die Zahl der Frauen und Kinder unter den Verletzten und Toten eines Krieges hervorgehoben: Als wären sie als Opfer beklagenswerter als Männer oder als wäre es nicht erwähnenswert, wenn Männer im Krieg sterben! Wären Frauen unter Suizidopfern, Obdachlosen und Drogenabhängigen überrepräsentiert und nicht Männer, wäre die Ursache wohl schnell in der strukturellen Benachteiligung von Frauen gefunden – umgekehrt vermutet niemand verletzte Männerrechte in unserer Gesellschaft als Ursache dafür. Und wer als Junge oder Mann sich nicht durchsetzen kann – schlimmstenfalls weiblichen Menschen gegenüber –, sich feminin kleidet oder sonstigen geschlechtsbezogenen sozialen Erwartungen nicht gerecht wird, bekommt genauso die Herabwürdigung (Missbilligung oder Hohn) der Gesellschaft zu spüren wie Mädchen oder Frauen, die das Spektrum dessen verlassen, was als ihrem Geschlecht angemessen angesehen wird.

Traditionen, Konventionen und Rituale

Parallel zu den Frauen haben auch Männer ein Bewusstsein für ihre geschlechtsspezifischen Interessen entwickelt. Zu Anfang, also Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, richteten sich ihre Bemühungen allerdings vor allem gegen emanzipatorische Bestrebungen der Frauen: Männer traten gegen Gleichberechtigung und das Frauenwahlrecht ein. In einem Backlash gegen den Feminismus der 68-Bewegung erstarkte diese anti-feministische sogenannte Männerrechtsbewegung ab den 1970er Jahren erneut und existiert als bis heute. Neben solchen eher reaktionären Kräften setzen sich seit mehreren Jahrzehnten verschiedene weitere Strömungen für die Belange des körperlich starken Geschlechts ein. Viele in den 1960er und 1970er Jahren Politisierte hinterfragten als „Antisexisten“ die sozialen Positionen von Männern und Frauen gleichermaßen, waren (und sind) also pro-feministisch. Der in den 1980er Jahren entstandenen „mythopoetischen Bewegung“ ging es um Selbstbesinnung der Männer ohne Rückgriff auf sexistische Stereotype wie die Definition über Geld, Macht, Reichtum und schöne Frauen. Stattdessen wurde versucht, neue männliche Selbstbilder und Narrative (altgr. mythoi) aus der Auseinandersetzung mit anderen Männern, aber auch in Abgrenzung zu Frauen zu erzeugen (altgr. poiein), mit dem Ziel, emanzipierte Beziehungen zumal zu Frauen führen zu können, in denen wirklich beide Geschlechter gleichberechtigt sein sollten.

Aufgaben gibt es für Männerbewegte noch immer genug: Bis vor kurzem mussten junge Männer einen zuletzt neunmonatigen Zwangsdienst leisten, junge Frauen nicht. Lange Zeit wurde geschiedenen Vätern der Kontakt zu ihren bei der Mutter lebenden Kindern strukturell erschwert. Kuckucksväter müssen bis heute um ihre Rechte kämpfen. Frauenquoten ersetzen die frühere Bevorzugung von Männern durch diejenige von Frauen: In Betrieben mit geringem Frauenanteil führen sie dazu, dass Frauen in Führungspositionen überrepräsentiert sind. Bei Neubesetzungen von Lehrstühlen an Universitäten werden Insidern zufolge oft nur noch weibliche Bewerber zum „Vorsingen“ eingeladen – obwohl es genügend genauso gut oder gar höher qualifizierte männliche Bewerber gibt. Vor allem aber sehen noch immer zu viele auch politisch gebildete – darunter nicht wenige sich als feministisch verstehende – Menschen bis heute nicht, dass auch Männer Opfer der überkommenen Geschlechterklischees sind.