VON JASCHA SCHULZ | 23.02.2016 18:28

Rechtsextremistische Gewalt in Deutschland

Die politisch motivierte rechtsextreme Gewalt hat deutlich zugenommen. Gefühlt hört man beinahe täglich von einem neuen Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Wie die genauen Zahlen bezüglich rechtsextremistischer Gewalt aussehen und welche Entwicklungen sich abzeichnen, hat UNI.DE untersucht. Dabei wurde vor allem der Frage nach den Gründen für die neue Welle der rechtsextremistischen Gewalt nachgegangen.

Im ersten Halbjahr 2015 hat das Bundesinnenministerium 202 rassistische Übergriffe auf Asyl- oder Flüchtlingsheime registriert. Das sind genauso viele wie im gesamten Jahr 2014 und dreimal so viele wie 2013. Die Anschläge auf Asylbewerberheime richten sich dabei immer häufiger gegen bewohnte Unterkünfte. Viele Fachleute sehen es als glücklichen Zufall, dass bisher niemand getötet wurde. Zum einen haben die Anschläge eine praktische Komponente: Auf diese Weise wird eine Unterbringung von Flüchtlingen in den zerstörten Häusern unmöglich. Die Gewalt gegen Asylbewerberheime gehört jedoch auch zur politischen Kommunikation der Fremdenfeinde: Sie möchten auf diese Weise ihren Standpunkt klarmachen, was die Unterbringung und Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland betrifft. Außerdem ist es eine Warnung an diejenigen Flüchtlinge, die sich noch auf der Flucht nach Deutschland befinden. Die Bereitschaft zur fremdenfeindlichen Gewalt ist demnach enorm gestiegen und das, obwohl die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland seit Jahren rückläufig ist. Gegen Ende 2014 gehören lediglich noch 21.000 Personen der rechtsextremistischen Szene an. Allerdings steigt der Anteil der gewaltorientierten Rechten. Von diesen gibt es laut Verfassungsschutz rund 10.500 in unserem Land, was einen Anteil von 50 Prozent am gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial ausmacht. Die allgemeine Gewaltbereitschaft im Rechtsextremismus bleibt somit hoch.

Insgesamt gab es 2014 16.559 rechtsextremistisch motivierte Straftaten, darunter 990 Gewalttaten, was den höchsten Wert seit 2008 (1.042) bedeutet. Im Gegensatz zu 2013 (801) ist die Zahl der Gewalttaten damit um 23,6 Prozent angestiegen. 512 Gewalttaten hatten einen fremdenfeindlichen Hintergrund, was einen Höchststand seit der Einführung des Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“ bedeutet. 30 Gewalttaten hatten einen antisemitischen Motivationsgrund. Gegen Linksextremen gab es 139 rechtsextremistische Gewalttaten und gegen sonstige politisch Andersdenkende 60.

Dass die Dunkelziffer wahrscheinlich um einiges höher ist, zeigte unter anderem eine Anfrage von Grünen-Abgeordnete Monika Lazar, Rechtsextremismus-Expertin ihrer Fraktion. In dieser verlangte sie Auskunft über die Hintergründe von mehreren Attacken gegen Abgeordnete im Jahr 2015. Insgesamt wurden dabei 75 politisch rechts motivierte Strafdelikte festgestellt, die gegen Bundestags- und Landtagsabgeordnete oder deren Büros gerichtet waren. Vor allem Politikerinnen und Politiker der Linken (46) und SPD (22) waren Opfer der rechtsextremistischen Attacken. „Die Hemmschwelle, Gewalt als Mittel in der politischen Auseinandersetzung einzusetzen, ist gefährlich gesunken.“, konstatierte Lazar. Sie fordert deshalb eine Aus- und Weiterbildung von Polizei und Justiz, so dass rechtsextremistische Gewaltattacken auch als solche erkannt werden.

Linksextremistische Gewalt in Deutschland

Auch anderweitig gab es in letzter Zeit immer wieder Kritik an der Statistik des Verfassungsschutzes. Zum einen beobachte er rechte Organisationen zu wenig, weshalb er viele Gewaltaktionen dieser nicht im Blick habe. Auch gingen die Ermittlungen, ob eine Straftat nun einen rechtsextremistischen Hintergrund habe oder nicht, keinesfalls weit genug. Fachleute vermuten deshalb, dass viele rechts motivierte Gewalttaten nicht in die Statistik gelangten, da sie nicht als solche identifiziert würden. Aus dem NSU-Skandal habe der Verfassungsschutz nur unzureichend gelernt. Zivile Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt kommen deshalb zu anderen Zahlen als der Verfassungsschutz. Zum Beispiel geben diese statt 410 rechtsextremistischer Gewalttaten im Osten Deutschlands 781 solcher Taten an.

Des Weiteren ändert sich die Qualität der Attacken: Übergriffe durch Rechtsextreme werden mittlerweile immer häufiger geplant und nicht spontan, etwa im Alkoholrausch, begangen. In die Kategorie der geplanten Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund fallen zum Beispiel die Morde an Migranten, die von der Leipziger Terrorzelle NSU verübt wurden. Der schwerwiegendste deutsche Terrorakt der Nachkriegsgeschichte war ebenfalls rechtsextremistisch motiviert: Am 26. September 1980 starben bei einem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 13 Menschen, 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Bombe hatte der Rechtsextremist Gustav Köhler gezündet. Insgesamt gibt die Bundesregierung an, dass im Zeitraum von 1990 bis 2011 60 Menschen von Rechtsextremen getötet wurden. Auch hier kommen zivile Stellen zu völlig anderen Ergebnissen. Die Amadeo Antonio Stiftung geht von 184 Todesopfern im selben Zeitraum aus. Grund hierfür ist, dass die Bundesregierung nur solche Taten als politische wertet, bei denen die Tatmotivation deutlich erkennbar ist. Bei vielen zivilen Organisationen hingegen reicht bereits eine rechtsextreme Gesinnung als Beleg für eine Einstufung der Tat als rechtsextrem aus.

Durch die neue Welle der Gewalt scheinen viele Rechtsextreme in eine gefährliche Euphorie versetzt zu sein. Die Lage im Leipziger Stadtteil Connewitz steht exemplarisch für das Erstarken des gewaltorientierten politischen Rechtsextremismus. In diesem herrscht laut Medienberichten eine „Pogromstimmung“. Rechtsextreme setzen Schusswaffen, Sprengstoffe und Brandsätze ein, um Schrecken zu verbreiten. Schwere Verletzungen oder Tote werden häufig billigend in Kauf genommen. Drohungen und Angriffe auf sogenannte Flüchtlingshelfer oder Politikerinnen und Politiker gibt es zu Hauf. Dass die Rechtsradikalen gerade Connewitz ausgewählt haben, ist kein Zufall: Der Stadtteil gilt schon lange als Hochburg der linken und linksextremistischen Szene.

Die neue rechtsextremistische Gewaltwelle wird von Experten zum einen mit dem Niedergang der NPD in Verbindung gebracht. Denn eine ähnliche Form der politischen Gewalt durch Rechtsextreme gab es bereits Anfang der 90er. Auch hier waren Angriffe auf Asylbewerberheime an der Tagesordnung. Dann begannen Rechtsextreme durch zivilpolitischen Aktivismus oder der Gründung von Parteien wie der NPD, einen Weg der „taktischen Zivilisierung zu wählen“. Dieser scheint mit dem Niedergang der NPD – diese sitzt nur noch in einem Landtag – gescheitert zu sein. Viele NPD Mitglieder treten aus und suchen den Weg zu radikaleren Gruppen, die durch Gewalt politisch wirken wollen.

Als weiteren Grund für die Entwicklung hin zur Gewalt sehen viele Fachleute auch die vermehrt auftretenden fremdenfeindlichen Proteste, vor allem seitens Pegida. Die große Medienpräsenz der Organisation verstärkt für viele Rechtsextremen den Eindruck, dass eine Art „Volkserhebung“ gegen bestehende Verhältnisse im Gange oder im Bereich des Möglichen sei. Fremdenfeindliche Positionen scheinen mittlerweile salonfähig, was Rechtsextreme als Vollstrecker dieser xenophoben Positionen auf den Plan ruft. Auf immer mehr gesellschaftlichen Ebenen sind rassistische Äußerungen keine Seltenheit mehr. Auch einige Mitglieder etablierter Parteien geben mit rechtspopulistischen Parolen fremdenfeindlichem Gedankengut Aufwind. Häufig werden die Anschläge auf Asylheime, wenn nicht gutgeheißen, so zumindest stillschweigend gebilligt: „Viele Geflüchtete haben den Eindruck, das ganze Dorf will, dass ihr Haus brennt“, berichtet eine Sprecherin des Dachverbandes für Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Auch Frank Metzger, vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentren ist der Ansicht, dass die Rechtsextremen in ihrem gewaltsamen Vorgehen gegen Fremde immer häufiger von konservativen Stadt- oder Dorfbewohnern unterstützt werden. Das alles stärkt die Extremisten in der Auffassung, mit ihrem Weg nur den Willen des Volkes durchzusetzen. Die Tatsache, dass es in der Gesellschaft eine nie dagewesene Unterstützungs- und Sympathiewelle für Geflüchtete gibt, blenden Rechtsextreme aus.