UNI.DE: Die Terroranschläge von Oslo und Utøya im vergangenen Juli haben – nicht in Norwegen selbst, aber in Deutschland – eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die norwegische Polizei die Taten hätte verhindern können, wenn sie weitergehende Befugnisse und Überwachungsmöglichkeiten gehabt hätte. Der Netzaktivist und Kritiker der Vorratsdatenspeicherung Anders Brenna widerspricht dem und verweist unter anderem auf das große Vertrauen der Norweger in ihre Polizei, das bei einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze verloren gehen könnte. Stimmen Sie ihm zu? Oder sprechen die Taten von Anders Behring Breivik nicht für die Richtigkeit des alten Sprichworts: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“?
Martin Schweer: Es handelt sich stets um eine schwierige Güterabwägung einer Gesellschaft dahingehend, in welchen Bereichen ein Mehr an Kontrolle aufgrund einschneidender Ereignisse erforderlich erscheint. Meines Erachtens lassen sich derartige Anschläge, und dies zeigen ja die Erfahrungen aus anderen Ländern, auch bei einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze niemals vollständig verhindern. Hohes Vertrauen in die Polizei ist ein wichtiges Gut , allerdings müsste im konkreten Beispiel untersucht werden, ob nicht gerade auch eine Verschärfung von Maßnahmen und eine damit verbundene Steigerung des Sicherheitsempfindens zu einer subjektiven Vertrauensintensivierung innerhalb der Bevölkerung beitragen kann.
UNI.DE: Wie steht es Ihrer Meinung nach hierzulande mit dem Vertrauen der Menschen in ihren Staat?
M. S.: Das Vertrauen der Bevölkerung ist vor allem mit Blick auf die politischen Systeme, aber auch bezogen auf die Wirtschaft und Finanzunternehmen fragil. Fehlende Transparenz und eine damit verbundene mangelnde Durchschaubarkeit und Berechenbarkeit sind hierfür wichtige Ursachen, genau an diesen Punkten müsste angesetzt werden, um das Vertrauenserleben steigern zu können.
UNI.DE: Kommen wir zum Vertrauen zwischen zwei Menschen. Wie entsteht das überhaupt, psychologisch betrachtet?
M. S.: Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen haben wir Vorstellungen darüber, welche Merkmale einen vertrauenswürdigen Freund, Lehrer, Richter usw. auszeichnen. Im Kontakt mit anderen Menschen kommt es dann zu einem Abgleich zwischen erwarteten und wahrgenommen Merkmalen. Das Ergebnis bestimmt, wie wir weiter mit diesen Menschen umgehen - im positiven Fall steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Vertrauensbeziehung entwickeln wird (man sendet positive Signale, diese werden vom anderen registriert, er reagiert darauf positiv usw.), im negativen Fall sinkt die Chance für eine Vertrauensbeziehung.
UNI.DE: Spielt das Urvertrauen des Säuglings eine Rolle dabei, ob der Mensch später besonders vertrauensselig bzw. eher misstrauisch ist? Wenn nicht: Was ist dann dafür verantwortlich?
M. S.: Die frühkindlichen Erfahrungen mit den relevanten Bezugspersonen sind sehr wichtig für das Erleben, vertrauen zu können, es kommt aber im Laufe der Sozialisation eine Vielzahl von weiteren Erfahrungen hinzu. Sicherlich wird ein Mensch umso vorsichtiger sein, Vertrauen zu investieren, je mehr negative Erfahrungen er bereits in seiner Vergangenheit gemacht hat.
UNI.DE: Warum ist Vertrauen eigentlich so wichtig für unser Zusammenleben?
M. S.: Wir sind in ganz vielen Situationen unseres Lebens gezwungen, Kontrolle abzugeben und über das Vertrauen dennoch unser Kontrollbedürfnis zu befriedigen und Sicherheit zu gewinnen - als Kind gegenüber den Eltern, als Patient gegenüber dem Arzt, als Beklagter gegenüber dem Anwalt usw. Ob wir also wollen oder nicht, Vertrauen ist ein lebensnotwendiger Mechanismus.
UNI.DE: Welche Ergebnisse hat die Vertrauensforschung bislang erbracht, und welche Forschungsvorhaben verfolgen Sie derzeit?
M. S.: Vertrauen ist in allen Lebensbereichen ein Mechanismus, der bereichernde Beziehungen fördert. In einem Klima von Vertrauen sind Menschen engagierter und motivierter, sie fühlen sich wohler. Aktuell untersuchen wir die Frage, inwieweit Vertrauen dazu beitragen kann, die Herausforderungen des demografischen Wandels positiv zu gestalten. Aber auch dem Stellenwert von Vertrauen für die sich deutlich veränderten Bedingungen im Bereich der Hochschullehre wird derzeit von uns in einem Forschungsprojekt nachgegangen.
UNI.DE: Sie betreuen Tennisspieler und Golfer. Welche Unterstützung leisten sie denen, und welche Rolle spielt Vertrauen für einen Hochleistungssportler?
M. S.: Vertrauen spielt für den Erfolg sportpsychologischer Beratung in der Beratungssituation eine ganz entscheidende Rolle, das wissen wir auch aus Ergebnissen der Psychotherapieforschung zur Klient - Berater - Beziehung. Ferner ist das Vertrauen in andere immer auch mit dem Vertrauen in die eigene Person verbunden, dieses Selbstvertrauen ist ein wichtiger Faktor für mentale Fitness. Im Beratungsprozess geht es letztendlich immer darum, sich positiv den Herausforderungen zu stellen, sie nicht als Bedrohung zu erleben sowie Erfolge und Misserfolge konstruktiv zu verarbeiten.
UNI.DE: Sie sind auch als Unternehmensberater tätig. Wie groß ist der Stellenwert des Vertrauens in der Wirtschaft, wo sich jedes größere Unternehmen wenigstens einen Syndikus leistet, der jeden Vertrag vor dessen Abschluss gründlich kontrolliert?
M. S.: Selbstverständlich können Unternehmen nicht gänzlich ohne Formen der Kontrolle auskommen, aber auch hier gilt: Vertrauen fördert positive Ergebnisse in der Wirtschaft, denn Unternehmen sind auf die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, aber auch mit externen Kunden angewiesen. Ein Klima des Misstrauens kann nicht zielführend und damit im Sinne der Unternehmen sein.
UNI.DE: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage, wenn Sie gestatten: Wem vertrauen Sie?
M. S.: Meiner Familie, wenigen sehr engen Freunden und meinem engsten beruflichen Umfeld.
Die Fragen stellte Florian Wieckert.