VON ANNETTE BUTENDEICH | 17.08.2012 16:25

Organspende: Das Dilemma um Leben und Tod

Durch den Organspende-Skandal ist das Thema Transplantation und Organspende wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangt. Gerade erst hat die Bundesregierung ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet, seither ist die Debatte um die Organspende in vollem Gange. Umstritten ist vor allem die Frage: Wann ist der Mensch eigentlich tot?

Im jüngsten Organspende-Skandal sollen Ärzte der Uniklinken Göttingen und Regensburg Labordaten von dutzenden Patienten manipuliert haben, sodass ihre Patienten auf den Wartelisten für Organe weiter nach oben rückten. 12.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organtransplantation, für die meisten ist es die einzige Überlebenschance. Doch die Spendenbereitschaft in Deutschland ist gering, viele warten erfolglos.

Organspende in Deutschland und Neu-Regelung

Um Organspenden zu fördern, hat die Regierung ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet, das Anfang August in Kraft getreten ist. Dazu gehört unter anderem, dass die Krankenkassen alle Versicherten ab 16 Jahren regelmäßig per Post befragen, ob sie zu einer Organspende bereit sind. Denn in Deutschland gilt: Wer nach dem Hirntod seine Organe spenden möchte, muss einer Entnahme ausdrücklich zustimmen, z.B. mithilfe eines Organspende-Ausweises. In diesem Ausweis kann jeder festlegen, ob er mit einer Organ- und Gewebespende einverstanden ist oder nicht. Auch eine Beschränkung auf bestimmte Organe ist möglich. Hat ein möglicher Spender zu Lebzeiten nichts verfügt, können bzw. müssen die Angehörigen entscheiden, ob sie einer Spende zustimmen. Voraussetzung für die Spende ist, dass zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod bestätigen.

In anderen europäischen Ländern wie etwa Österreich oder Belgien gilt dagegen eine Widerspruchslösung: Hier zählt jeder von Geburt an als Organspender, solange dem nicht ausdrücklich widersprochen wird. In diesen Ländern sind die Spenderaten deutlich höher. Befürworter einer solchen Regelung argumentieren, dass die meisten Deutschen zu einer Organspende bereit wären, aber keinen Organspende-Ausweis ausfüllen (nur etwa 15% besitzen einen solchen Ausweis).

Wann ist ein Mensch wirklich tot?

Soziale Kluft in Deutschland

Wer über Organspenden nachdenkt, muss sich unweigerlich auch mit der Frage nach Leben und Tod auseinandersetzen und damit mit unserem Menschenbild. Tot = Hirntot, und ohne Hirntod keine Organentnahme. Doch das Konzept „Hirntod“ ist bei näherem Hinsehen schwierig: Sobald man den Tod nicht nur juristisch und medizinisch, sondern biologisch und philosophisch betrachtet, ist man mittendrin in der Debatte. Wie sieht es etwa aus im Fall eines Patienten, der für hirntot erklärt wird, dessen biologischer Organismus aber weiterhin funktioniert? Was ist dieser Patient zu diesem Zeitpunkt: Noch Individuum? Noch Mensch? Eine Leiche, in der biologische Prozesse stattfinden? Was mehr ist der Mensch als sein Körper? Befürworter des Hirntod-Konzepts sagen, ein von außen künstlich aufrechterhaltener Körper mit totem Gehirn ist kein Individuum mehr. Menschsein wird also unmittelbar an Hirnaktivitäten geknüpft und an körperliche und geistige Autonomie des Individuums. Die Hirntod-Kritiker stellen dagegen die Sonderstellung des Gehirns infrage und sagen, Menschsein ist bestimmt durch die Einheit aller Organe.

Ein Dilemma wird diese Frage vor allem deshalb, weil unser Zeitgeist – im Gegensatz zu einem Schicksalsdenken – ein selbstbestimmtes, glückliches Leben preist und weil so viele Menschen in Deutschland verzweifelt auf ein Spenderorgan warten, das ihnen dieses Leben verspricht. Eine Organspende kann Leben retten, einen „Akt der Nächstenliebe“ nennt es Papst Benedikt. Demgegenüber stehen Zweifel und das Unbehagen bei der Entscheidung, Maschinen bei einem Mensch mit funktionierendem Organismus abzuschalten. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass diese Debatte neu geführt wird. Die Wahrscheinlichkeit, nach dem Tod zum Organspender zu werden, ist übrigens überraschend klein: Nur ca. 1% der Menschen, die im Krankenhaus sterben, erfüllen die nötigen Voraussetzungen.