VON JANA NOSSIN | 25.12.2015 17:13

Die Zeit allein heilt keine Wunden - Traumata und ihre Therapie

Ein Sprichwort sagt: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Dass manche Wunden, vor allem die psychischer Natur, gar nicht mehr, oder nur sehr schwer wieder heilen, das müssen vor allem Menschen, die schwere leidvolle Erfahrungen gemacht haben, immer wieder beobachten.


Schwerwiegende körperliche oder/und psychische Verletzungen, wie Kindheitstraumata (ACE, frühkindliche Stress-Erfahrungen, Kindheits-Belastungsfaktoren), schwere Unfälle, lebensbedrohliche Situationen, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen, oder auch das Beobachten eines gewaltsamen Todes, können massive psychische Traumen auslösen. Menschen in Kriegsgebieten haben durch schwere emotionale Erlebnisse wie Folter, Kampfeinsätze, terroristische Anschläge, Vertreibung oder sexualisierte Gewalt, meist sogar mehrere Traumata erlebt und sehen sich plötzlich einem Zustand intensiver Hilflosigkeit oder einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die als Folge eines psychischen Traumas entstehen kann, ausgesetzt.

Aber auch vergleichsweise weniger dramatische Erlebnisse, wie Mobbing, schwere persönliche Angriffe, Schmähungen, emotionaler Missbrauch, Trennung oder der Verlust eines nahestehenden Menschen etc., können Traumata in uns auslösen, die unsere eigenen Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten.

Das Wort Trauma, das aus dem Griechischen stammt, bedeutet so viel wie „Wunde“ und bezeichnet ein Ereignis, das den Organismus verletzt oder schädigt. Als psychisches, seelisches oder mentales Trauma oder auch Psychotrauma, bezeichnet man in der Psychologie daher eine starke seelische Erschütterung, die durch ein traumatisierendes Erlebnis hervorgerufen wurde. In der Medizin verwendet man den Begriff Trauma ebenso für Verletzungen, die z. B. durch einen Unfall oder durch Gewalteinwirkung hervorgerufen wurde. Man unterscheidet hierbei unter anderem zwischen mechanischen, chemischen und physikalischen Traumen.

Zurück ins Leben

Insbesondere ein psychisches Trauma kann unser Gehirn nur sehr schwer verarbeiten. Dies ist möglicherweise auf chemische Prozesse zurückzuführen, die bei traumatischen Situationen in unserem Gehirn ausgelöst werden. In stressigen und traumatisierenden Situationen setzt unser Körper vermehrt Cortisol frei, ein körpereigenes Hormon, das in den Nebennieren gebildet wird. Cortisol ist an vielen Stoffwechselvorgängen des menschlichen Organismus beteiligt, besitzt entzündungshemmende Eigenschaften und sorgt darüber hinaus für eine sofortige Verbesserung der Lernfähigkeit, was vermutlich der Grund dafür ist, dass sich traumatische Ereignisse so stark ins Gedächtnis einbrennen.

Durch traumatische Erlebnisse wird das Ist- und Weltverständnis der Betroffenen oftmals zutiefst erschüttert. Alles, woran sie jemals geglaubt haben, scheint wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Schmerzliche Erinnerungen werden nur schwer verarbeitet und kommen oft auch noch nach vielen Jahren, etwa durch einen auslösenden Schlüsselreiz - das können Geräusche, eine Melodien, Düfte oder Gedanken sein - schnell wieder an die Oberfläche. In der Psychologie nennt man dieses Wiederaufleben auch „Flashback“. So kann es passieren, dass die Betroffenen das Erlebte immer und immer wieder durchleben müssen, wobei die Erinnerung dann oftmals so stark ist, dass die traumatisierte Person in schweren Fällen meist gar nicht erkennt, dass es sich „nur“ um eine Erinnerung des bereits durchlebten handelt.

Mit den psychischen Belastungen des erlebten Traumas, die die Betreffenden – trotz Therapie – oft ein Leben lang begleiten, können auch psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Suizidalität, somatoforme Störungen, Essstörungen, Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen einhergehen. Auch psychosomatische Symptome wie Schlafstörungen, Herzrasen, Schwindel, Magenverkrampfungen, Bauchschmerzen, begleiten die leiderfahrenen Menschen oft chronisch, manchmal sogar ein Leben lang.

Bei vielen traumatischen Erlebnissen ist eine Therapie daher unumgänglich, um den Betroffenen wieder zurück ins Leben zu helfen. Bei einer Therapie geht es nicht darum, das Erlebte zu vergessen. Dies wäre sicher auch gar nicht möglich. Vielmehr müssen die Betroffenen lernen, mit dem Schmerz zu leben und an die Situationen zu denken, ohne das Ereignis immer wieder neu zu erleben. Eine Therapie muss möglichst schnell erfolgen. Denn je länger das traumatisierende Ereignis zurück liegt und je traumatischer das Erlebte war, desto schwieriger und mühesamer können Gefühl und Erinnerung wieder entknotet werden. Doch gerade zu Therapiebeginn haben viele Menschen große Angst, sich dem Erlebten erneut zu stellen. So geht es ihnen zu Therapiebeginn meist noch schlechter als zuvor. Ein langer und beschwerlicher Weg liegt vor den Betroffenen. Doch soll dieser den Menschen in erster Linie helfen, die Erlebnisse zu verarbeiten, das Geschehene anzunehmen und mit den seelischen Schrammen umzugehen.

Aber auch die Psychologen und Therapeuten der Psychotraumatologie sind in der Therapiearbeit mit großen emotionalen Herausforderungen konfrontiert. Denn die Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen geht auch an ihnen nicht spurlos vorüber. Sich von den schweren, leidvollen Erfahrungen der Patienten zu distanzieren, ist oftmals nicht leicht. Nur durch spezielle Kenntnisse, Kompetenzen und Psychohygiene, können Therapeuten ihre verantwortungsvollen Aufgaben bewältigen.

Eine Traumabehandlung setzt viele Spezialkenntnisse voraus, unter anderem im Bereich der Neurobiologie. Das Wissen über die Zusammenhänge damit steckt allerdings noch immer in den Kinderschuhen und bringt ständig neue Ergebnisse, die für eine erfolgreiche Behandlung und das Leben der Patienten jedoch immens wichtig sein können. Eine allgemeine Ausbildung in Psychotherapie reicht daher nicht aus, um den Aufgaben eines Therapeuten in der Psychotraumatologie gerecht zu werden. Zudem gibt es verschiedene Therapieformen, die ein breites Wissen des Therapeuten über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten erfordern, um für die jeweiligen Klienten schließlich die angemessenste und beste Therapieform zu wählen. Dennoch stellt die Psychotraumatologie ein interessantes Aufgabenfeld dar, um Menschen in den schwersten Lebenssituationen zu helfen.

Denn allein durch die Zeit können Wunden meistens nicht heilen; aber vielleicht durch die richtige Therapie im Laufe der Zeit nicht mehr so weh tun.